Bessere Leistungen, mehr Chancengleichheit – Darum sind Europäische Schulen so erfolgreich

Europäische Schulen erzielen in Schulleistungsuntersuchungen wie PISA regelmäßig Ergebnisse über dem Durchschnitt. In ihrem Gastbeitrag beleuchtet Kristin Peschutter, welche Faktoren zu diesem Erfolg beitragen und wie deutsche Schulen von den Ansätzen der Europäischen Schulen profitieren können.
Europäische Schulen sind von den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union errichtete Bildungseinrichtungen, die speziell für Kinder von EU-Mitarbeitenden gegründet wurden. Sie bieten eine mehrsprachige und interkulturelle Ausbildung mit einheitlichen Lehrplänen und Abschlüssen. Der Sprachunterricht erfolgt in der Muttersprache der Schülerinnen und Schüler, ergänzt durch den Erwerb weiterer EU-Sprachen im Fachunterricht. Neben der Vermittlung europäischer Werte legen die Schulen großen Wert auf Inklusion und pädagogische Unterstützung. Der Abschluss, das europäische Abitur, ermöglicht den Zugang zu Universitäten in ganz Europa.
1. Multilinguale Bildung
Ein Kernmerkmal der Europäischen Schulen ist die Mehrsprachigkeit. Bereits ab dem Kindergarten lernen Schülerinnen und Schüler mehrere Sprachen, was sprachliche und interkulturelle Kompetenzen fördert (Woerfel, 2022). Während Mehrsprachigkeit an deutschen Schulen oft als Herausforderung gilt, wird sie an Europäischen Schulen als Chance betrachtet. Die inhaltliche Fokussierung im Fachunterricht statt Fehlerkorrektur stärkt das Vertrauen in sprachliche Fähigkeiten. Darüber hinaus beeinflusst Mehrsprachigkeit die Tiefenstrukturen des Unterrichts und fördert Identität, da viele europäische Schülerinnen und Schüler zwei Muttersprachen haben. Auch deutsche Schulen sollten Mehrsprachigkeit als Ressource und Normalfall begreifen (Plöger, 2022).
2. Individuelle Förderung
An Europäischen Schulen steht die individuelle Förderung im Mittelpunkt. Schülerinnen und Schüler erhalten Unterstützung, bis sie die Lernziele erreichen – Sitzenbleiben ist die Ausnahme. Diese Philosophie basiert auf der Verantwortung der Lehrkräfte, alle mitzunehmen. Laut Hattie (2009) sind individualisierte Lernwege ein Schlüssel zum Schülererfolg, was die 100%-Abiturquote der Europäischen Schule Karlsruhe exemplarisch belegt.
Hattie kritisierte auf dem Schulleiterkongress 2024 in Heilbronn zudem die frühe und dauerhafte Selektion in Deutschland, die Kindern Entwicklungsmöglichkeiten nimmt. Eine längere Durchmischung könnte Chancengleichheit fördern. Europäische Schulen führen Kinder vom Kindergarten bis zum Abitur bis zu 16 Jahre im Klassenverbund. Ergebnisse von PISA-for-Schools (2022) zeigen, dass Europäische Schulen oft über dem Landesdurchschnitt liegen. Dies liegt nicht zuletzt an der gezielten Förderung, aber auch am sozioökonomischen Hintergrund vieler Familien, was zusätzliche Lernressourcen ermöglicht.
PISA-for-Schools-Ergebnisse für Europäische Schulen
Ähnlich wie die PISA-Studie misst der PISA-basierte Test für Schulen die Kompetenzen 15-Jähriger in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften sowie ihre Lernhaltung und das Schulumfeld. Er bewertet nicht nur Wissen, sondern auch die Fähigkeit, es kreativ in neuen Kontexten anzuwenden. PISA for Schools ermöglicht Schulen, Lernergebnisse zu vergleichen und globales Benchmarking durchzuführen.
Für die Europäischen Schulen zeigen die Ergebnisse:
- Die Schülerinnen und Schüler der Europäischen Schulen erreichen in den Bereichen Lesen (547 Punkte), Mathematik (546 Punkte) und Naturwissenschaften (543 Punkte) Punktzahlen, die statistisch signifikant über dem OECD-Durchschnitt (Lesen: 476 Punkte, Mathematik: 472 Punkte, NWT: 458 Punkte) und dem deutschen Durchschnitt (Lesen: 480 Punkte, Mathematik: 475 Punkte, NWT: 492 Punkte) liegen.
- Die Leistungsunterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher sozioökonomischer Hintergründe sind geringer als in vielen anderen Bildungssystemen.
- Die Schülerinnen und Schüler berichten von einem positiven Schulklima und hoher Motivation
3. Lehrkräftezentrierte Klassenzimmer
Ein weiterer Unterschied gegenüber Regelschulen liegt in der Raumstruktur: An zumindest den kleineren Europäischen Schulen haben Lehrkräfte oft eigene, individuell gestaltbare Klassenräume, was die Arbeitsatmosphäre verbessert und die Unterrichtsvorbereitung erleichtert. An deutschen Schulen teilen sich Lehrkräfte oft Räume, was organisatorische Herausforderungen mit sich bringt.
Europäische Schulen haben meist kleinere Klassen, teils mit 1:1-Betreuung im Sprachunterricht. Hattie (2009) betont jedoch, dass kleinere Klassen nur wirken, wenn Lehrkräfte differenziert fördern, zum Beispiel indem Lehrkräfte den Kindern mehr Redeanteil einräumen. Entscheidend für den Lernfortschritt sind kognitive Aktivierung und eine wertschätzende Schüler-Lehrer-Beziehung. Einheitliche Curricula und formative wie summative Assessments fördern individuelles Feedback und ein unterstützendes Unterrichtsklima.
4. Digitalisierung als Norm
Die Digitalisierung ist an Europäischen Schulen weit fortgeschritten: Bring-Your-Own-Device-Konzepte und digitale Medien sind Standard, was die Medienkompetenz stärkt. Laut OECD (PISA for Schools, 2022) verbessern diese Ansätze Problemlösung und Teamarbeit. Entscheidend ist jedoch die didaktische Nutzung digitaler Medien (Eder et al., 2023). Deutsche Schulen kämpfen dagegen mit technischer Ausstattung und WLAN-Zugang (nur 26,2 Prozent der Schulen, ICILS 2018).
5. Umfangreiche Unterstützungsangebote
Europäische Schulen bieten umfassende Unterstützung, von individuellem und gruppenbasiertem Support über schulpsychologische Beratung bis hin zu Förderprogrammen für Begabte. Dies ermöglicht allen Schülerinnen und Schülern, ihr Potenzial auszuschöpfen, auch im inklusiven Unterricht bis zum European BAC, dem europäischen Abitur.
Individuelles Coaching und die Förderung selbstregulatorischer Kompetenzen sind zentrale Lehren der pandemiebedingten Schulschließungen (IBBW 2022). Allerdings führt die hohe Arbeitsbelastung häufig zur Rückkehr abgeordneter Lehrkräfte in ihr nationales System (Eichhorn et al. 2020; Eickelmann 2020).
6. Chancen des European Bac
Das European Baccalaureate (BAC) ermöglicht den Zugang zu renommierten Universitäten weltweit. Dank einheitlicher Prüfungsanforderungen an allen Europäischen Schulen und des hohen akademischen Niveaus gilt der Abschluss als exzellente Vorbereitung. Die Absolventinnen und Absolventen werden gezielt auf anspruchsvolle Studiengänge vorbereitet, die sie für zukünftige Führungsaufgaben qualifizieren – etwa an Universitäten wie Cambridge oder Harvard.
7. Starker Zusammenhalt
Respekt ist laut Meyer “der wichtigste Baustein für ein lernförderliches Unterrichtsklima“ (2019) und muss gegenseitig bestehen. Laut Prengel (2016) sind 25 Prozent der Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden verletzend, wobei sich respektvolles Lehrkräfteverhalten seit dem 20. Jahrhundert verbessert hat, während sich das Verhalten von Schülerinnen und Schülern verschlechtert hat.
Der Zusammenhalt an Europäischen Schulen wird durch internationale Projekte, Schüleraustauschprogramme und starke Eltern- sowie Schülerbeteiligung gefördert. Dieses Netzwerk bietet nicht nur Lernenden, sondern auch Lehrkräften die Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen. Auch das deutsche Bildungssystem könnte von einem stärkeren Fokus auf schulische Netzwerke und inklusiven, regionalen und internationalen Kooperationen profitieren.