„Es wird in der ganzen Schulgemeinde gelebt”

Wie gut ist BNE in den Schulalltag eingebunden und wo liegen die Herausforderungen? Ein Vor-Ort-Besuch bei einer Unesco-Projektschule in Hamburg

Bildung für nachhaltige Entwicklung, kurz BNE, ist ein internationaler gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Die Bundesregierung hat sich unter anderem in der Berliner Erklärung von 2021 verpflichtet, „sicherzustellen, dass BNE ein grundlegendes Element unserer Bildungssysteme auf allen Ebenen ist”. Doch wie nähert man sich diesem Ziel konkret vor Ort? Wie manifestiert sich BNE im Alltag deutscher Schulen 2024? Das Online-Magazin schulmanagement hat das Gymnasium Grootmoor in Hamburg besucht, um dem nachzugehen.

Das Gymnasium Grootmoor ist eine von 180 Unesco-Projektschulen in Deutschland mit etwa 1200 Schülerinnen und Schülern, die schon heute eine besondere Sensibilität für Nachhaltigkeitsthemen wie Umwelt- und Klimaschutz entwickelt haben. Tina Herzog, seit 2014 Schulleiterin am Gymnasium Grootmoor, macht deutlich, dass BNE mehr ist als ein Aspekt im Unterricht. „Es wird in der gesamten Schulgemeinde gelebt. Uns ist es wichtig, Nachhaltigkeit im Schulalltag und in unserer Schulkultur zu verankern, sie bei Veranstaltungen sichtbar und spürbar zu machen.”

Unesco-Projektschulen

Unesco-Projektschulen sind Teil eines weltweiten Netzwerks von etwa 12.000 Schulen in 180 Ländern, die sich verpflichten, die Prinzipien und Werte der Unesco zu fördern. Dazu gehören etwa Frieden, interkultureller Dialog, nachhaltige Entwicklung, Menschenrechte und globales Bewusstsein. Unesco-Schulen setzen sich für eine qualitativ hochwertige Bildung ein, die auf Vielfalt, Toleranz und einem ganzheitlichen Ansatz basiert. Sie arbeiten eng mit der Unesco zusammen, um innovative Bildungsansätze zu entwickeln und Best Practices auszutauschen. Das Netzwerk ist Akteur und Impulsgeber zur Erreichung der Bildungsagenda 2030 und trägt im Rahmen der Bereiche Global Citizenship Education und Bildung für nachhaltige Entwicklung dazu bei, junge Menschen zu verantwortungsbewussten globalen Bürgern heranzubilden und den interkulturellen Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Schulen auf internationaler Ebene zu fördern. In Deutschland gibt es rund 300 Unesco-Projektschulen.

Der Whole School Approach, wie diese Haltung im Bildungskonzept von BNE heißt, bedeute, dass die gesamte Schulgemeinde  an einem Strang ziehe, erläutert Tina Herzog: „Der Hausmeister ist mit im Boot, die Eltern, die Kantine liefert nachhaltiges und abfallarmes Essen, selbst die Reinigungskräfte sind angehalten, den Müll entsprechend zu trennen.”

Dazu kommen eine Reihe von Projekten am Gymnasium Grootmoor, die Nachhaltigkeitsaspekte widerspiegeln: Von der naturnahen Schulhofgestaltung, bei der an mehreren Gartentagen Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte zusammen Blumen und nachhaltige Sträucher pflanzen, über eine Sammelstelle für Elektrogeräte und alte Handys, eine Fahrradsäule, an der Kinder lernen, ihre Räder instand zu halten, bis hin zu einem umfangreichen Klimaschutzplan, „mit unzähligen Maßnahmen aus den Bereichen Ernährung, Gebäudetechnik, Wärme, Strom, Energie”, wie Dirk Gellermann, Lehrer für Biologie und Informatik und Klimaschutzbeauftragter an der Schule erläutert. „Es ist sehr umfangreich und es wird mit Schülerinnen und Schülern auf sehr vielen Ebenen gearbeitet.“

Viel Aufwand, keine zusätzlichen Ressourcen

Es gibt Gruppen von Schülerinnen und Schülern, die kontrollieren, ob die Fenster im Gebäude geschlossen sind, die fünften Klassen legen Hochbeete an und bekommen die Verantwortung, sie langfristig zu bewirtschaften. „Uns geht es darum, den Schülerinnen und Schülern das Gefühl zu geben, selbstwirksam zu sein und neben dem recht intensiven Unterrichtsalltag etwas an ihrer Schule zu bewirken”, erläutert Andrea Diederich, Lehrerin für Deutsch, Englisch und Theater am Gymnasium Grootmoor und Teil des Unesco-Teams.

So viel Arbeit kostet natürlich Energie und Zeit. Zusätzliche Ressourcen bekommt aber auch eine Unesco-Schule für all den Aufwand nicht. Alles werde mit eigenem Einsatz und Engagement gestemmt, berichtet Herzog. „Der Arbeitsaufwand ist schon enorm”, sagt Gellermann. Sein Kollege Tim Wuttig, Lehrer für Englisch, Geschichte und PGW (Politik, Gesellschaft, Wirtschaft) stimmt ihm zu: „Es steht und fällt mit dem eigenen Engagement.” Für die Gartentage habe man sich am Wochenende getroffen, Austauschrunden mit anderen Unesco-Schulen würde man oft unter der Woche in die Abendstunden legen. „Wir müssen uns da viel selbst zurechtschustern. Ressourcen und Finanzierung gibt es nicht. Da wünscht man sich schon mehr Unterstützung von Seiten der Politik”, sagt Wuttig.

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Rückhalt im Kollegium essenziell

Wie schafft die Schulleitung mit ihrer Lehrerschaft dennoch, so viel auf die Beine zu stellen? „Wir organisieren uns, so viel es geht, Hilfe von außen, etwa durch engagierte Eltern. Und wir profitieren sehr von unseren Zugpferden”, sagt Herzog und deutet auf ihre engagierten Lehrkräfte und Unesco-Teammitglieder. „Der Idealismus meiner Kolleginnen und Kollegen überträgt sich. Und dann wird vieles eben gut vorstrukturiert, eng im Team zusammen gearbeitet, so dass die Hemmschwelle, sich zusätzlich mit BNE-Themen zu befassen, gering gehalten wird.“ Ohne den Rückhalt im Kollegium brauche man aber gar nicht anzufangen. Und selbst wenn der vorhanden ist, sei es bei vollgestopften Lehrplänen und dem fordernden Alltag immer noch sehr zäh und schwierig, zu motivieren und am Ball zu bleiben.

Das gelte übrigens auch für die Schülerinnen und Schüler: „Man merkt auch, dass die nur ein gewisses Maß an Zeit aufbringen können”, sagt Lehrerin Andrea Diederich. Viele würden gern mehr machen, müssen sich aber auf ihre Klausuren vorbereiten.

Die Wirkung und die Ergebnisse von BNE-Projekten belohnten aber meistens den Aufwand, sagt Schulleiterin Herzog: „Gerade bei den großen Veranstaltungen habe ich den Eindruck, dass das Thema überschwappt und sichtbar wird, weil man sich zusammen engagiert – auch wenn natürlich gerade solche größeren Events viel Arbeit machen.”

Bürokratische Hindernisse, Personalknappheit

Insbesondere dann, wenn die bürokratischen Anforderungen zur Herausforderung werden. „Ich habe sehr viel mit Rahmenverträgen und Verordnungen zu tun”, erzählt Schulleiterin Herzog. „Ein kleines Beispiel: Wir haben einen Ort gesucht, an dem wir Kleider für die Kleiderbörse sammeln und lagern können. Allein das ist hochkompliziert. In den Fluren geht es nicht wegen Brandgefahr, es gibt zig Auflagen vom Gebäudeschutz. Da sind einfach eine Menge rechtliche Hürden, die uns Zeit und Nerven kosten.”

Ein weiteres großes Problem sei aber die drohende Personalknappheit für die vielen Initiativen und BNE-Projekte. Schulleiterin Herzog weiß sich an einem Gymnasium mit gutem Ruf in einer Großstadt in einer verhältnismäßig guten Position, noch hat sie nicht in dem Umfang mit Lehrkräftemangel zu kämpfen wie andere Schulen und Schularten. Dennoch spürt sie bereits, dass es deutlich schwerer wird, Lehrkräfte zu bekommen.

In Zweifel müsse sie Prioritäten setzen. “Wenn es hart auf hart kommt, werden alle zusätzlichen Initiativen und Projekte gestrichen, um die regulären Unterrichtsstunden abzusichern. So weit sind wir noch nicht, aber natürlich mache ich mir da auch im Austausch mit anderen Schulleiter:innen Gedanken.” Auch für eine erfolgreiche Umsetzung von BNE brauche es Nachhaltigkeit und das bedeute eben besonders auch nachhaltig verfügbare Personalressourcen.