Damit der digitale Unterricht gelingt, brauchen Lehrkräfte vor allem eines: Zeit
Der digitale Wandel benötigt mehr als technische Geräte. Für Fortbildungen und Kooperationen fehlt es Lehrkräften jedoch häufig an Zeit.
Bildungspolitische Initiativen fördern vor allem die technische Ausstattung von Bildungseinrichtungen. Studienergebnisse der Universität München unterstreichen, dass insbesondere mehr zeitliche Freiräume für Lehrkräfte die digital-orientierte Unterrichtsentwicklung fördern können. Tobias Hackenberg und Lisa Matuschek erläutern, was Deutschland von Arbeitszeitmodellen wie in Dänemark lernen kann.
Was eine digital-orientierte Unterrichtsentwicklung ausmacht
Spätestens seit der Coronapandemie ist die Digitalisierung des Bildungssystems in vollem Gange. Bildungspolitische Initiativen, wie der DigitalPakt Schule, sollen hierfür die nötigen Voraussetzungen schaffen. Zwar ist die Bereitstellung von Geldern für digitale Medien als Basis einer digital-orientierten Unterrichtsentwicklung notwendig und unumgänglich, die tragende Rolle von Lehrkräften bei der zielführenden Implementierung wird dabei jedoch häufig unterschätzt. Denn eine erfolgreiche digital-orientierte Unterrichtsentwicklung bedeutet, den Unterricht so umzugestalten, dass eine gewinnbringende Integration digitaler Medien stattfindet. Für einen zielführenden Einsatz oder gar eine Verbesserung des bestehenden Unterrichts bedarf es deshalb auch neuer didaktischer Überlegungen und Konzepte. Auf individueller Ebene gilt: Sind Lehrkräfte intrinsisch motiviert und digital affin, steigt die Chance, dass sie digitale Medien in ihren Unterricht implementieren, ihren Unterricht also digital-orientiert entwickeln.
Neben der intrinsischen Motivation von Lehrkräften zur digital-orientierten Unterrichtentwicklung ist eine Vielzahl weiterer Bedingungsfaktoren für eine erfolgreiche Umsetzung relevant – dazu zählen die digitale Ausstattung, digitale Kompetenzen oder Kooperationen. Diese Bedingungsfaktoren wurden im Rahmen unserer qualitativen Interviewstudie tiefergehend beleuchtet. Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Thema Zeit beziehungsweise zeitliche Restriktionen ein entscheidendes Hindernis bei der digital-orientierten Unterrichtsentwicklung darstellt.
Wofür Lehrkräfte im Schulalltag mehr Zeit bräuchten
Bereits durch den möglichen Einsatz von digitalen Medien im Unterricht sehen sich die befragten Lehrkräfte dem Risiko von technischen Problemen gegenüber, welche zu Verzögerungen im Unterrichtsablauf führen können. Aus diesem Grund wird der Zeitaufwand für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht oft höher bewertet als dessen Mehrwert.
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Medien im Unterricht sollen helfen, oft verursachen sie aber vor allem Frust: Was sich ändern muss, erläutert Dr. Frank Mußmann im Interview.
Zudem bewirkt die kontinuierliche technische Weiterentwicklung, dass sich Lehrkräfte mit einer Fülle digitaler Anwendungen konfrontiert sehen. Um hierbei den Überblick zu behalten, werden von Schulen und Bildungsträgern regelmäßig Fortbildungen angeboten. Viele Lehrkräfte scheinen jedoch unsicher, inwiefern der Besuch einer Fortbildung dazu beiträgt, den eigenen Unterricht zu verbessern. Unsere Studienergebnisse zeigen, dass Lehrkräfte davor zurückschrecken, Zeit und Ressourcen aufzuwenden, wenn sie im Vorfeld nicht abschätzen können, ob sie durch eine Fortbildung neue Impulse, Konzepte und Methoden kennenlernen und einen Nutzen für den eigenen Unterricht generieren können.
Ein weiterer relevanter Bedingungsfaktor für eine qualitativ hochwertige Unterrichtsentwicklung liegt darüber hinaus in der Kooperation von Lehrkräften. Dabei kann zwischen verschiedenen Arten der Kooperation differenziert werden, welche sich in ihrer Intensität unterscheiden. Die ko-konstruktive Kooperation stellt die intensivste, aber damit auch zeiteinnehmendste Art der Kooperation dar. Gleichzeitig zeigen verschiedene Studien jedoch, dass die ko-konstruktive Kooperation für eine erfolgreiche Unterrichts- und somit auch für die digital-orientierte Unterrichtsentwicklung von Vorteil ist. Dies spiegelt sich auch in unserer Studie wider: Lehrkräfte bewerten die Kooperation über den gesamten Entwicklungsprozess hinweg positiv, um neue Ideen für den eigenen Unterricht zu erhalten, den Umgang mit neuen Medien zu erlernen, sich in Arbeitsteams aufzuteilen oder Feedback zu ihrem Unterricht zu bekommen.
Trotz des Bewusstseins über die langfristigen Vorteile wie Arbeitserleichterung und Zeitersparnis berichtet ein Großteil der befragten Lehrkräfte lediglich von einer eher informellen Kooperation, um Ideen auszutauschen oder Probleme zu diskutieren. Nur vereinzelt schildern Lehrkräfte von einer aktiven Zusammenarbeit im Sinne einer ko-konstruktiven Kooperation, um den Unterricht digital-orientiert weiterzuentwickeln. Einem Großteil der Lehrkräfte fehlt für eine solche Form der intensiven Kooperation im laufenden Schulalltag schlicht die Zeit.
Wie die Bildungspolitik gegensteuern kann
Ein zentrales Problem scheint aktuell darin zu liegen, dass die Entwicklung des Unterrichts nur oberflächlich im Tätigkeitsprofil von Lehrkräften zu finden ist. Ebenso wie für Beratungsgespräche und Verwaltungsaufgaben ist dafür im Deputatsmodell von Lehrkräften kein fester Rahmen verankert. Dabei ist die Unterrichtsentwicklung besonders wichtig, um die hohe Qualität des deutschen Bildungssystems aufrecht zu erhalten und den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler in einer sich stetig wandelnden digitalen Welt zu gewährleisten.
Viele Experten sind sich einig, dass eine sinnvolle Regelung der Lehrerarbeitszeit mit einer angemessenen Berücksichtigung und Bewertung aller Arbeitsbereiche und Aufgaben längst überfällig ist. Dänemark, welches zu den Pionieren hinsichtlich digitalen Unterrichts gilt, wird dabei oft als „Best Practice“-Beispiel für eine mögliche Anpassung des Arbeitszeitmodells herangezogen. Anders als in Deutschland werden hier Arbeitszeiten transparent und individuell für jede Lehrkraft vereinbart. Neben der Anzahl an Unterrichtsstunden werden dabei alle weiteren Aufgaben wie Vorbereitungen, Konferenzen, Teamtreffen, Gespräche und Fortbildungen geregelt.
Durch das Schaffen von festen geregelten Zeiten für eine digital-orientierte Unterrichtsentwicklung besteht die Möglichkeit, das Engagement von Lehrkräften zu würdigen und die Sorge vor einer vermeintlichen Fehlinvestition in zeitliche Ressourcen abzumildern.