Der OECD Lernkompass 2030: Welche Kompetenzen brauchen Schüler:innen?

Der OECD Lernkompass 2030 steht im Fokus der diesjährigen Bildungskonferenz der Akademie für Innovative Bildung und Management. Die wichtigsten Kernaussagen haben wir hier für Sie zusammengefasst.

This is an adaptation of an original work by the OECD. The opinions expressed and arguments employed in this adaptation are the sole responsibility of the author or authors of the adaptation and should not be reported as representing the official views of the OECD or of its member countries.

Am 25. März 2023 eröffnet OECD-Direktor Professor Andreas Schleicher die Bildungskonferenz der Akademie für Innovative Bildung und Management. Mit dem Lernkompass 2030 hat die OECD ein wegweisendes Konzept vorgelegt, wie die Bildung der Zukunft gestaltet werden kann und welche Kompetenzen junge Menschen brauchen, um sich für ihr persönliches und das gesellschaftliche Wohlergeben einzusetzen.

Wie können junge Menschen auf eine ungewisse Zukunft vorbereitet werden? Welches Wissen und welche Kompetenzen benötigen sie, um sich in Arbeitsplätzen zurechtzufinden, die es heute so noch nicht gibt, um Herausforderungen zu bewältigen, die noch nicht absehbar sind, um Technologien zu nutzen, die gerade erst entwickelt werden? Welchen Beitrag kann und sollte Bildung leisten, um Schülerinnen und Schüler zu befähigen, ihr persönliches und das gesellschaftliche Wohlergehen positiv zu gestalten? Auf diese Fragen gibt der Lernkompass 2030 eine Antwort.

Was gab den Anstoß für den OECD Lernkompass 2030?

Vorangegangen ist dem Lernkompass 2030 das Projekt „Future of Education and Skills 2030“, das der Ausschuss für Bildungspolitik der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) im Jahr 2015 ins Leben gerufen hat, um die Bildungssysteme der OECD-Länder zukunftsfähig zu gestalten. In zwei Phasen haben über 300 Beteiligte aus Forschung, Politik und Praxis sowie zivilgesellschaftliche Partnerorganisationen international und interdisziplinär gemeinsam gearbeitet. Aus dieser Arbeit hervorgegangen ist hier der OECD „Learning Compass 2030“, in der deutschen Übersetzung „Lernkompass 2030".

Warum wird das Rahmenkonzept als Kompass bezeichnet?

Die Metapher des Kompasses wurde bewusst gewählt. So wie ein Kompass Reisenden Orientierung bietet, will der OECD Lernkompass 2030 jungen Menschen ermöglichen, sich mit Kompetenzen, Wissen und Haltungen selbstständig in einem für sie unbekannten Umfeld zu navigieren.

Dafür liegen dem Lernkompass sieben Komponenten zugrunde: die Student Agency und Co-Agency, Transformationskompetenzen, Lerngrundlagen, Wissen, Skills, Haltungen und Werte sowie der Antizipations-, Aktions- und Reflexionszyklus (AAR-Zyklus).

Was bedeuten Student Agency und Co-Agency?

Im Zentrum des OECD Lernkompasses steht die Entwicklung einer eigenständigen Gestaltungs- und Handlungskompetenz, die als Student Agency bezeichnet wird. Hierbei geht es darum, dass Schülerinnen und Schüler Verantwortung für ihr Lernen übernehmen, um ihr persönliches, aber auch das gesellschaftliche Wohlergehen positiv zu gestalten. Die Vision des Lernkompasses ist es, dass Kinder und Jugendliche selbstbestimmt handeln, wählen, entscheiden und ihr Leben gestalten können. Einige wichtige Schlüsselbegriffe auf dem Weg zur Entwicklung von Student Agency sind Identität, Zugehörigkeit, Motivation und Selbstwirksamkeit. Diese tragen dazu bei, dass Schülerinnen und Schüler ihre Handlungen als sinnhaft empfinden.

Um die Student Agency im Bildungsbereich zu fördern, gilt es, sich von klassischen Rollenverständnissen zu lösen. Die Wissensvermittlung sollte sich demnach nicht mehr nur darin erschöpfen, dass Schülerinnen und Schüler von Lehrkräften instruiert werden. Vielmehr sieht der Lernkompass eine Ko-Konstruktion vor, bei der Lehr-Lernprozesse gemeinsam gestaltet werden. Die Student Agency kann sich somit nur in Zusammenhang mit dem Umfeld der Schülerinnen und Schüler entwickeln. Dazu zählt auch die Beziehung zu Eltern, Gleichaltrigen und der kollektiven Gemeinschaft. Für diese Ko-Gestaltungsfähigkeit ist es wichtig, dass Lehrkräfte in die Lage versetzt werden, Lernbedingungen zu gestalten, die die Student Agency fördern.

Was ist unter Transformationskompetenzen zu verstehen?

Um die Zukunft gestalten zu können, hat der Lernkompass drei Transformationskompetenzen ermittelt, die für junge Menschen entscheidend sein werden.

  1. Die „Schaffung neuer Werte“ zielt darauf ab, Innovationen für die Zukunft anzustoßen – sei es durch das Erschließen neuer Geschäftsfelder oder die Erweiterung des Wissenskanons. Um diese Transformationskompetenz umzusetzen, müssen Lernenden in der Lage sein, unkonventionelle Perspektiven einzunehmen, den Status quo zu hinterfragen und Alternativen ausprobieren.
     
  2. Den „Ausgleich von Spannungen und Dilemmata“ zu suchen, ist ein Wesensmerkmal unserer komplexen und stark vernetzten Welt. Bei dieser Transformationskompetenz geht es darum, dass Schülerinnen und Schüler lernen, widersprüchliche Positionen miteinander zu verbinden und Kompromisse zu finden. Dies erfordert unter anderem, die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln wahrnehmen zu können und andere Sichtweisen Respekt entgegenzubringen.
     
  3. Wenn Kinder und Jugendliche ihr eigenes Handeln anhand persönlicher Erfahrungen, aber auch gesellschaftlicher Ziele reflektieren können, besitzen sie die Transformationskompetenz der „Verantwortungsübernahme“. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Kompetenz sind die Fähigkeiten zur Selbstwahrnehmung, Selbstregulierung und zu reflektiertem Denken. Hierfür ist es wiederum erforderlich, dass Schülerinnen und Schüler die Chance erhalten, Vertrauen zu ihrem Umfeld aufzubauen. Der OECD Lernkompass verweist bei dieser Transformationskompetenz auch auf Freiwilligenarbeit und Service Learning, um jungen Menschen Verantwortungsübernahme nahebringen zu können.

Auf welchen Grundlagen baut das Lernen der Zukunft auf?

Damit Schülerinnen und Schüler Student Agency und Transformationskompetenzen entwickeln sowie Wissen und Kompetenzen erlangen können, legt der Lernkompass wesentliche Lerngrundlagen (im Englischen: Core Foundations) fest. Zu den Lerngrundlagen gehören die Fähigkeiten zu lesen, zu schreiben und zu rechnen, aber auch eine datenbezogene und digitale Literalität, ohne die ein aktives Gestalten und die Teilnahme an der Gesellschaft schon heute nicht mehr denkbar sind. Daneben werden die physische und geistige Gesundheit (gesundheitliche Grundlagen) sowie die Emotionsregulation, Zusammenarbeit, Moral und Ethik (soziale und emotionale Grundlagen) zu den Lerngrundlagen gezählt.

Welches Wissen brauchen Lernende für die Welt von morgen?

„Die Welt belohnt uns nicht mehr allein für das, was wir wissen – Google weiß ja fast alles – sondern für das, was wir mit unserem Wissen tun können“, erläutert OECD-Direktor Andreas Schleicher im Vorfeld der aim-Biko. Welches Wissen also brauchen Lernende in der Welt von morgen? Der OECD-Lernkompass unterscheidet zwischen vier unterschiedliche Arten von Wissen.

  1. Das disziplinäre Wissen enthält fachspezifische Konzepte und Inhalte, wie sie Schülerinnen und Schüler beispielsweise im Physik- oder Englischunterricht lernen.
     
  2. Das interdisziplinäre Wissen meint die Verknüpfung von Inhalten aus einem Fach mit den Inhalten eines anderen Fachs.
     
  3. Das epistemische Wissen bezieht sich auf das Verständnis über die Art und den Ursprung von Wissen und Erkenntnissen.
     
  4. Mit dem prozeduralen Wissen wird das Verständnis für Arbeitsprozesse beschrieben, um gesetzte Ziele erreichen zu können.

Mit welchen Skills begegnen Schüler:innen der Zukunft?

Wissen und Skills werden im OECD Lernkompass eng miteinander verknüpft. Als Skills werden unter anderem Fähigkeiten definiert, die es den Lernenden ermöglichen, ihr eigenes Wissen zu mobilisieren und dieses auf verantwortungsvolle Weise einzusetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Der Lernkompass unterscheidet drei Arten von Skills:

  1. Zu den kognitiven und metakognitiven Skills zählen unter anderem kritisches und kreatives Denken, das Lernen zu lernen und die Selbstregulierung.
     
  2. Auf sozialer und emotionaler Ebene beschreibt der Lernkompass Skills wie Empathie, Selbstwahrnehmung, Verantwortung und Zusammenarbeit. Besonders im Hinblick auf eine ethisch, kulturell und sprachlich diverse Gesellschaft, die sich zunehmend auch in den Klassenzimmern widerspiegelt, sind soziale und emotionale Skills unerlässlich. Aber auch für die Teilnahme und die Leistungen in der Schule sind soziale und emotionale Skills wichtig. Nur durch Neugierde, Durchhaltevermögen und Selbstkontrolle können Lernende auch ihre vollen kognitiven Skills entfalten.
     
  3. Physische und praktische Skills umfassen nicht nur alltäglich auszuführende Aufgaben oder den Umgang mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, sondern auch das Erlernen von Künsten, wie es im Musik- oder Kunstunterricht der Fall ist. Dies fördert wiederum die kognitive Leistungsfähigkeit.

Warum sind Haltungen und Werte so wichtig?

Für die Bildung waren Haltungen und Werte schon immer von zentraler Bedeutung. Im OECD Lernkompass beschreiben Werte all jene Prinzipien, die Menschen bei Entscheidungen als bedeutsam erachten. Haltungen wiederum bauen auf Werten und Überzeugungen auf und leiten so das Verhalten von Schülerinnen und Schülern. Als Beispiele für gemeinsame Werte nennt der Lernkompass unter anderem Respekt, Fairness, persönliche und soziale Verantwortung oder auch Selbstbewusstsein, die schon in der Schule aufgebaut werden sollten. Insbesondere im Hinblick auf einen gerechten Einsatz von technologischen Entwicklungen, hebt der Lernkompass die Bedeutung des Ausbildens eines ethischen Urteilsvermögens hervor.

Was beschreibt der Antizipations-, Aktions- und Reflexionszyklus?

Mit dem Antizipations-, Aktions- und Reflexionszyklus (AAR-Zyklus) ist ein sich stetig wiederholender Lernprozess gemeint. In jeder Iteration verbessern die Lernenden ihr Denken und können ihre Handlungen zielgerichteter und verantwortungsvoller ausrichten.

  1. Als Antizipation wird die Phase bezeichnet, in der Lernende daran arbeiten, die Konsequenzen ihrer Handlungen einzuschätzen. Dazu gehört auch, dass sie in der Lage sind, die Intention anderer nachzuvollziehen und ihre eigene Perspektive zu erweitern.
     
  2. In der Phase der Aktion setzen sich Lernende aktiv für die Ziele ein, die zu ihrem persönlichen und dem gesellschaftlichen Wohlergehen beitragen. Als Handlung (oder Aktion) wir die Verantwortungsübernahme ebenso verstanden wie eine umfassende Recherche oder die Schaffung neuer Werte, wie sie im Sinne der Transformationskompetenz beschrieben wurden. Da jede Handlung mehr oder weniger weitreichende Folgen für einzelne Personen oder die Gesellschaft nach sich zieht, ist die Phase der Aktion eingebettet, zwischen dem intensiven Nachdenken (Antizipation) über eine Handlung und deren Reflexion.
     
  3. In der Phase der Reflexion geht es darum, dass Schülerinnen und Schüler ihr Denken schulen und Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Erfahrungen herstellen, um ihre Handlungen mit jeder Wiederholung des AAR-Zyklus zielgenauer auszurichten und auf sich verändernde Bedingungen adaptieren zu können.

Mit der Entwicklung und Ausformulierung dieser sieben Komponenten, gibt der Lernkompass der OECD Bildungssystemen Orientierung auf dem Weg zu zukunftsfähigen Schulen.