Deutsch als Zweitsprache lernen – wie digitale Medien dabei helfen können
Kirstin Ulrich und Prof. Magdalena Michalak erläutern Qualitätskriterien zu digitalen Angeboten für Deutsch als Zweitsprache
Mal eben eine Zweitsprache per App lernen – so leicht ist es nicht. Dennoch können digitale Medien den Erwerb von Deutsch als Zweitsprache (DaZ) effektiv unterstützen. Wie das funktioniert und was es dabei zu beachten gilt, beschreiben Kirstin Ulrich und Prof. Magdalena Michalak in ihrem Gastbeitrag.
Wenn man auf der Suche nach digitalen Sprachlernangeboten das Internet und die Vertriebsplattformen für Apps durchforstet, könnte man zu dem Schluss kommen, dass Sprachen nur und auch sehr schnell durch die Benutzung einer App erlernbar wären. So wird es zumindest in den Werbungen für einschlägige sprachfokussierende E-Learningplattformen (zum Beispiel Babbel, Duolingo) suggeriert. Sich eine Sprache anzueignen, bedeutet aber mehr als nur das Auswendiglernen von Wortschatz oder Grammatikregeln. Es geht vielmehr um die Anwendung der Sprache in verschiedenen Kommunikationssituationen, um die Rezeption und Produktion von Äußerungen in Interaktion.
Gerade der Zweitsprachenerwerb unterliegt einer bestimmten Spezifik (Budde & Michalak 2021). Die Vermittlung des Deutschen orientiert sich an den Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler, an ihren Zugängen zu Sprache(n), deren Sprachlernerfahrungen, an deren Lebenswelt und Lernzielen, um an der Gesellschaft partizipieren zu können. Digitale Sprachlernangebote können hierzu einen großen Beitrag leisten, vorausgesetzt, sie folgen DaZ-didaktischen Prinzipien. Zum einen können digitale Sprachlernangebote das Sprachenlernen im Selbststudium – auch außerhalb der Schule – intensivieren. Zum anderen können Lehrkräfte durch geeignete interaktive Lernarrangements und die Nutzung authentischer Lernumgebungen, wie zum Beispiel Videokonferenzen, Chats, Foren, den Ausbau mündlicher und schriftlicher Kompetenzen in der Zielsprache Deutsch systematisch unterstützen. Ähnlich wie in Lernsituationen in anderen Bereichen ist jedoch für den Sprachlernprozess eine ausgewogene Mischung aus analogen und digitalen Medien hilfreich. Durch gut ausgewählte digitale Angebote kann der sprachliche Input angereichert und der Kontakt mit der deutschen Sprache in Schule und Alltag intensiviert werden.
Vor diesem Hintergrund wurden im DaZdile-Projekt an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Qualitätskriterien für digitale Sprachlernangebote für Deutsch als Zweitsprache identifiziert und ausgearbeitet, die für die Auswahl von Apps oder auch einzelner Aufgaben für didaktische Zwecke sowie für die Entwicklung oder Überarbeitung derartiger Sprachlernanwendungen relevant sind. Neben wichtigen grundsätzlichen Dimensionen, wie etwa allgemeine Informationen des Herstellers, medienpädagogische und allgemeindidaktische Dimension und Barrierefreiheit, wurden Kriterien in der DaZ-didaktischen Dimension gebündelt, die für die Vermittlung und den Erwerb des Deutschen als Zweitsprache wesentlich sind.
Welche Qualitätskriterien sollten digitale Sprachlernangebote im Bereich des Deutschen als Zweitsprache erfüllen?
Betrachtet man die Beschreibungen der digitalen Sprachlernangebote und vergleicht diese mit der eigentlichen App, wird schnell deutlich, dass auch hier, ähnlich wie in der Werbung, zum Teil Konzepte angekündigt werden, die nicht konsequent umgesetzt werden. So werden beispielsweise als Zielgruppe Kinder und Jugendliche genannt, die eigentliche Vermittlung orientiert sich jedoch an der Erwachsenenwelt (zum Beispiel Kneipenbesuch in dem Angebot von Busuu). Neben der Berücksichtigung der altersgerechten thematischen Komponente sollten auch andere allgemeine Kriterien bei der Auswahl von digitalen Sprachlernangeboten Beachtung finden. Werden Übungsverläufe und Fortschritte gespeichert, können damit Lernfortschritte für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte sichtbar gemacht werden. Teilweise wird dies in den digitalen Sprachlernangeboten zum Beispiel durch Fortschrittsanzeigen gelöst. Auch die Einstellung des Schwierigkeitsgrades kann unterschiedlich je nach Lernziel erfolgen. In manchen digitalen Anwendungen können derartige Adaptionen von den Lehrkräften vorgenommen werden, andere Angebote passen den Schwierigkeitsgrad automatisch an, und wieder andere lösen dies durch differenzierte Aufgaben, die von den Schülerinnen und Schülern selbst ausgesucht werden können.
Beim Lernen der Zweitsprache, sowohl im Klassenzimmer in Präsenz als auch online, ist es wichtig, die Vorkenntnisse und Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen. Dazu gehören auch die Ermittlung des Sprachniveaus im Deutschen sowie die Berücksichtigung der bisherigen sprachlichen Erfahrungen der Lernenden, um die Aufgabenstellungen möglichst genau auf ihre Voraussetzungen abzustimmen. Für Zweitsprachenerwerb gelten die sogenannten Erwerbssequenzen (Pienemann 1989) als wegweisend. Sie markieren die Reihenfolge, in der bestimmte sprachliche Phänomene (zum Beispiel Aufbau des Wortschatzes, Satzstellung, Kasus, Verbmorphologie) chronologisch erworben werden. So wäre es wünschenswert, dass digitale Sprachlernangebote diese chronologische Reihenfolge beachten und die Progression innerhalb der Sprachlernbereiche daran anpassen.
Im DaZ-Unterricht liegt ein besonderes Augenmerk darauf, die Schülerinnen und Schüler für ihren schulischen Werdegang, ihre berufliche Zukunft und das Leben in einem deutschsprachigen Umfeld vorzubereiten. Diese drei Bereiche erfordern unterschiedliche Kompetenzen, die von den Schülerinnen und Schülern zu erwerben sind. Digitale Sprachlernangebote können dazu beitragen, die Lernenden von der mündlichen Kommunikation zur schriftlich geprägten Sprache zu führen. Neben grundlegenden mündlichen Fähigkeiten für den Alltag benötigt die Zielgruppe auch fachübergreifende schriftsprachliche Kenntnisse für Schule und/oder Beruf. Digitale Sprachlernangebote unterstützen im Idealfall somit nicht nur die tägliche Kommunikation, sondern erleichtern auch den Übergang zum regulären Unterricht.
Digitale Tools bieten ein breites Spektrum an Methoden. Eingesetzt werden können unter anderem Sprachlernspiele oder Quizze auf Plattformen wie LearningApps oder LearningSnacks, interaktive Übungen und kooperatives Schreiben mittels Etherpads. Diese und viele andere digitale Ressourcen können das aktive Sprachenlernen und das sprachliche Handeln in der Zielsprache Deutsch unterstützen und die Motivation der Zweitsprachlernenden erhöhen. Durch die Integration digitaler Elemente in den Unterricht können Lehrkräfte die Inhalte differenziert anpassen und individuell auf die Bedürfnisse und das Sprachniveau der Schülerinnen und Schüler eingehen.
Dennoch gilt es darauf zu achten, dass der ausschließliche Einsatz digitaler Medien zu isolierten Lernerfahrungen führen kann, insbesondere wenn die Schülerinnen und Schüler wenig Kontakt zu Deutschsprechenden haben und die Interaktion fehlt. Neben authentischen Lernumgebungen ist kontinuierliches Feedback von Lehrkräften, deutschsprechenden Peers und Mitlernenden entscheidend. Durch Feedback lassen sich Lernfortschritte fördern, sprachliche Äußerungen auf ihre Angemessenheit überprüfen und gegebenenfalls korrigieren. Bei der Reflexion der eigenen Lernprozesse sind individuelle Sprachlernstrategien hilfreich, die den Schülerinnen und Schülern vermittelt werden, damit sie ihre Sprachentwicklung selbstständig steuern können. Einige digitale Sprachlernangebote bieten solche Strategieschulungen an. (Mehr dazu finden Sie in den Quellen unter diesem Artikel.)
Welche Hindernisse können bei der Nutzung digitaler Medien auftreten?
Es gilt jedoch einige Herausforderungen zu beachten. Nicht alle Schülerinnen und Schüler verfügen über die erforderlichen technischen Geräte oder den Zugang zum Internet. Unter Umständen ist es erforderlich, einige Lernende an die Nutzung der Geräte heranzuführen. Darüber hinaus können digitale Medien eine Fülle von Inhalten und Optionen bieten, die schnell zu Ablenkung und Überlastung führen oder sogar den Lernprozess aufhalten können (Klingberg 2023). Obwohl einige digitale Sprachlernangebote kostenlos sind, finanzieren sie sich oft durch Werbung, die die Lernenden beim Fokussieren auf Aufgaben oder bei der Recherche relevanter Informationen stören kann. Bei der Integration digitaler Ressourcen im Unterricht ist es auch wichtig, Datenschutz- und Sicherheitsrichtlinien zu beachten, insbesondere, wenn persönliche Daten der Schülerinnen und Schüler während der Anmeldung oder Nutzung der Angebote erhoben werden.
Nimmt man an, dass Digitalität das Lernen verstärkt, darf nicht vergessen werden, dass digitale Sprachlernangebote die Kommunikation und den Austausch unter realen Bedingungen nicht ersetzen können. So ist zu beachten, dass beispielsweise Apps und Tools den Unterricht und den Spracherwerb in Präsenz lediglich unterstützen, aber keinesfalls als einziger Input eingesetzt werden dürfen. Die Interaktion im Unterricht und in realen Situationen mit anderen Menschen ist weiterhin für die sprachliche Entwicklung maßgeblich.
Wie können Lehrkräfte bei der Auswahl digitaler Sprachlernangebote unterstützt werden?
Die aktuellen Entwicklungen im Bereich Digitalität erfordern von den Lehrkräften die Fähigkeit, digitale Angebote kritisch zu reflektieren. Eine Orientierung bietet ihnen der DaZdile-Kriterienkatalog, mit dem sie die Stärken der unterschiedlichen Sprachlernangebote herausarbeiten können. Auf diesem Wege können die Lehrkräfte erkennen, welche Besonderheiten es bei der Vermittlung des Deutschen als Zweitsprache zu beachten gilt. Damit bekommen sie empirisch überprüfte Qualitätskriterien an die Hand, die vier unterschiedliche Dimensionen beinhalten: Allgemeine Informationen des Herstellers, die DaZ-didaktische Dimension sowie zwei nicht nur für Deutsch als Zweitsprache geltende Dimensionen, und zwar die allgemeindidaktische und medienpädagogische Dimension sowie die Barrierefreiheit. Die einzelnen Dimensionen werden durch Kriterien und Leitfragen ausdifferenziert und ermöglichen damit eine systematische Analyse von digitalen Sprachlernangeboten mit dem Fokus auf Deutsch als Zweitsprache. Eine Handreichung (Ulrich & Michalak 2024) erleichtert den Einsatz in der Praxis.