„Die Gesetze des Schulerfolgs" auf Ukrainisch helfen zugezogenen Eltern

Das fundierte Programm zur Unterstützung von Eltern steht übersetzt nun auch Geflüchteten aus der Ukraine zur Verfügung.

Seit des russischen Angriffs auf die Ukraine vor einem Jahr sind mehr als 200.000 Kinder an deutsche Schulen gekommen. Sie und ihre Eltern haben oftmals traumatische Erfahrungen hinter sich – und große Herausforderungen vor sich. Helfen können hier Projekte wie „Die Gesetze des Schulerfolgs“, ein erfolgreiches Programm zur Elternarbeit, das nun auch ins Ukrainische übersetzt wurde.

Eigentlich weiß man es schon seit dem berüchtigten PISA-Schock 2001: Schulerfolg hat ganz wesentlich mit den Eltern zu tun. „Aber auch 20 Jahre später werden die Eltern als Bildungsakteure in Deutschland kaum wahrgenommen und Deutschland gilt immer noch als das Land der Bildungsungerechtigkeit”, sagt Adolf Timm, Begründer des Programms „Die Gesetze des Schulerfolgs” (kurz GdS).

GdS, das Programm, das der ehemalige Mitarbeiter am Institut für Qualitätssicherung an Schulen in Schleswig-Holstein (IQSH) und Schulleiter der Europaschule Timmendorfer Strand entwickelt hat, setzt genau hier an. Es ist ein präventives Programm, das die Eltern als Bildungsakteure in den Fokus rückt, um ihre Rolle als Bildungspartner in der Bildungskette Familie-Kita-Schule zu stärken. „Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen, dass die Beteiligung der Eltern in der Schule und beim Lernen ihrer Kinder entscheidend ist für die Persönlichkeitsentwicklung und den Bildungserfolg. Und damit für die gesellschaftliche Teilhabe der nächsten Generation”, erläutert Timm im Gespräch mit dem Online-Magazin schulmanagement. Elternbeteiligung stärke die Bildungsgerechtigkeit, die Resilienz gegenüber Radikalisierungstendenzen und den Status als Wissens- und Wohlstandsgesellschaft.

Und im Kontext des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine, der vor einem Jahr begann, hat das Programm GdS an zusätzlicher Bedeutung gewonnen – und ist nun auch ins Ukrainische übersetzt worden. „Die ukrainischen Eltern haben es besonders schwer”, sagt Timm: „Sie mussten sich und ihre Kinder in einem furchtbaren Angriffskrieg in Sicherheit bringen. Ihr Fluchthintergrund kann in der Schule Hürde und Chance zugleich sein. Das hängt für die Schülerinnen und Schüler vor allem von den begleitenden Umständen, der Offenheit der Schule, der Empathie der Lehrkräfte und von der Begleitung durch die Eltern ab. Da Eltern ohnehin nicht inhaltlich, sondern emotional unterstützen sollen, kann GdS eine große Hilfe sein.”

„In einer Schocksituation sich auf die eigenen Kräfte zu besinnen und ein selbstgesteuertes Handeln einzuleiten, eine ‚Selbstwirksamkeit‘ zu erzielen, das ist enorm wichtig, um Ohnmachtsgefühlen und depressiven Stimmungen vorzubeugen.“

Prof. Dr. Klaus Hurrelmann

Auch Prof. Klaus Hurrelmann, renommierter Bildungs- und Jugendforscher an der Hertie School – University of Governance, unterstreicht im Gespräch mit dem Online-Magazin schulmanagement die Bedeutung der Elternarbeit im Bezug auf die zugezogenen Ukrainerinnen und Ukrainer: „Einen Krieg in Europa mit der realen Bedrohung, dass er sich über die Ukraine hinaus auch auf Nachbarländer Deutschlands ausweiten kann, hat es glücklicherweise seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Entsprechend verunsichert sind Kinder, aber auch die meisten Eltern fühlen sich irritiert und überfordert”, führt Hurrelmann aus. „In einer solchen Situation ist ein unterstützendes Programm für Eltern von großer Hilfe. GdS ist hierfür hervorragend geeignet. Es orientiert sich an den von mir konzipierten ‘Magischen Erziehungsdreieck’, bei dem sich die Anerkennung, die Anregung und die Anleitung der Eltern gegenüber ihren Kindern gegenseitig ergänzen und die Waage halten sollen.”

In einer Situation wie einer Kriegsbedrohung seien alle drei dieser „A’s“ wichtig: Anerkennung mit Sinne von liebevoller Zuwendung, Anleitung mit der Vermittlung sicherer Regeln für den Umgang miteinander. Und die Anregung der Eltern, „auf die Ängste ihrer Kinder einzugehen, sie sensibel und liebevoll aufzunehmen, sie aber gleichzeitig darauf einzustellen, dass die Herausforderungen des Alltags bestehen bleiben”, erläutert Hurrelmann. „In einer Schocksituation sich auf die eigenen Kräfte zu besinnen und ein selbstgesteuertes Handeln einzuleiten, eine „Selbstwirksamkeit“ zu erzielen, das ist enorm wichtig, um Ohnmachtsgefühlen und depressiven Stimmungen vorzubeugen.”

Das klinge einfach, falle aber naturgemäß den Müttern und Vätern sehr schwer, weil sie sich selbst in einer bedrückenden und verunsichernden Situation befänden, sagt Hurrelmann: „Ich würde mir wünschen, dass möglichst viele Eltern, nicht nur die aus der Ukraine, sondern auch die einheimischen, von einem solchen Unterstützungsangebot erreicht werden.”

GdS – kostenfreie Fortbildungen

Die Gesetze des Schulerfolgs, kurz GdS, wollen Schule und Elternhaus einander näherbringen und somit Eltern in ihrer Rolle als Lernbegleiter und Erziehungspartner der Bildungsinstitution stärken. Die aim hat die Nutzungsrechte des von dem ehemaligen Schulleiter Adolf Timm entwickelten GdS-Programms erworben und bietet kostenfreie Fortbildungen für Deutsch und Ukrainisch sprechende Eltern und Pädagog/-innen an Schulen an. Schulen, die mit einem größeren Teil des Lehrerkollegiums am Programm teilnehmen möchten, können sich darüber hinaus um eine sogenannte Teamqualifizierung bewerben.
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„Möglichst viel aus der Schule mitzunehmen ist für die ukrainischen Schüler und Schülerinnen auch im Hinblick auf die Rückkehr in ihr Heimatland und den Wiederaufbau ihres zerstörten Landes wichtig”, sagt Adolf Timm. Deshalb habe man in Kooperation mit der aim die GdS-Elternhefte ins Ukrainische übersetzt, insgesamt liegen sie nun in mehr als 20 Sprachen vor. „Die Eltern wissen jetzt zum Beispiel, worum es bei den einzelnen Gesetzen geht, ohne dass sie auf einem Elternabend jedes Wort verstehen müssten.”

Dass die GdS dabei auf einem soliden wissenschaftlichem Fundament stehen, untermauert nun eine weitere aktuelle Forschungsanalyse der TU München, nach der Elternbeteiligung „eigenständige und bedeutsame Zusammenhangseffekte mit dem schulischen Erfolg der Kinder zeigt.” Auch deuteten die Ergebnisse insgesamt darauf hin, „dass Elternbeteiligung langfristig – also über die Altersstufen der Kinder und Jugendlichen hinweg – wirksam sein kann.” Oder wie es Adolf Timm selbst zusammenfasst: „Elternbeteiligung ist Zukunftssicherung.” Für Deutsche wie für Ukrainerinnen und Ukrainer.

Zur Person

Adolf Timm in war Mitarbeiter am Institut für Qualitätssicherung an Schulen in Schleswig-Holstein (IQSH) und Schulleiter der Europaschule Timmendorfer Strand. Er ist Begründer des Programms „Die Gesetze des Schulerfolgs".

  • Die Gesetze des Schulerfolgs
  • Delia Hillmayr, Janina Täschner, Lilo Brockmann, Doris Holzberger. Elternbeteiligung im schulischen Kontext Potenzial zur Förderung des schulischen Erfolgs von Schülerinnen und Schülern, Waxmann, 2021.