Wie läuft der Digitalisierungsprozess an den Schulen?
Dr. Andreas Jetter und Dr. Kerstin Bernhardt-Grävinghoff vom Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) erläutern im Gastbeitrag das „Tool digitale Schule“ Baden-Württemberg.

Wo stehen die Schulen in ihrem Bemühen, die digitale Transformation zu bewältigen? Diesen Fragen soll das neue „Tool digitale Schule“ in Baden-Württemberg nachgehen. Wie daraus gute Maßnahmen für die Schul- und Unterrichtsentwicklung abgeleitet werden, erläutern hier Dr. Andreas Jetter und Dr. Kerstin Bernhardt-Grävinghoff vom Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW).
Warum das Tool entwickelt wurde
Die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft stellt auch die Schulen vor große Herausforderungen und die digitale Transformation verläuft dort nicht im Gleichschritt. Je nach technischer Ausstattung und persönlichem Engagement von Lehrkräften und Leitungen sind die Einrichtungen diesbezüglich auf einem ganz unterschiedlichen Stand. Deshalb hat die aktuelle Landesregierung von Baden-Württemberg in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass ein Analysetool zur internen Standortbestimmung des Entwicklungsstands der schulischen Digitalisierung entwickelt und eingesetzt werden soll:
Ausschnitt aus dem Koalitionsvertrag
Gemeinsam mit dem Institut für Bildungsanalysen (IBBW) und in Zusammenarbeit mit weiteren Partnern wollen wir zur internen Standortbestimmung der Schulen ein Tool entwickeln, mit dem der Entwicklungsstand der schulischen Digitalisierung im Hinblick etwa auf pädagogische Entwicklung und Umsetzung, Anbindung und Ausstattung sowie Stand der Fortbildung transparent dargestellt werden kann.
Quelle: Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg, CDU Baden-Württemberg (Hrsg.) (2021): Jetzt für Morgen: Der Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg – Koalitionsvertrag 2021-2026, Stuttgart
Entwicklung und Grundlagen des Tools
Das Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) hat das „Tool digitale Schule“ im Auftrag des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg auf Basis wissenschaftlicher Evidenz zur digitalen Schule erstellt. Zur Entwicklung des Tools wurden aktuelle wissenschaftliche Studien und Modelle zur schulischen Digitalisierung herangezogen. Zudem wurde darauf geachtet, dass die erfragten Bereiche sowohl an den Referenzrahmen Schulqualität Baden-Württemberg (2022) als auch an die IST-Stand-Analyse des Medienentwicklungsplans Baden-Württemberg (2019) und den EU-Rahmen für die Digitale Kompetenz von Lehrenden (2017) angelehnt sind. Weiterhin wurden die KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ (2017 und 2021) sowie die Bildungspläne der einzelnen Schularten berücksichtigt.
Die Zielsetzung des neuen Analyseinstruments
Das „Tool digitale Schule“ soll passgenaue Schul- und Unterrichtsentwicklung ermöglichen. Als Voraussetzung dafür können alle Schulen in Baden-Württemberg mit diesem Instrument erst einmal ihren digitalen Entwicklungsstand erfassen. Es können damit unterschiedliche Inhaltsbereiche betrachtet und in spezifischen Bereichen konkrete und nachvollziehbare Schritte eingeleitet werden. Die Befragung von Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern ermöglicht zielgruppenspezifische Maßnahmen.
Die Schulen können beispielsweise feststellen, wo sie im Bereich „Digitale Infrastruktur/Ausstattung“ oder beim „Einsatz digitaler Medien zum Lernen“ stehen, indem sie die Sichtweise aller drei Befragtengruppen einbeziehen.
Nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über erfragte Bereiche und Befragtengruppen:
Zudem ist es möglich, die Entwicklung im Bereich Digitalisierung über einen längeren Zeitraum zu dokumentieren. Durch eine wiederholte Durchführung der Befragung kann evaluiert werden, wie effektiv die geplanten Maßnahmen umgesetzt wurden und wie gut die Schule mit der Digitalisierung im Laufe der Jahre vorangekommen ist. Somit ist das Analysetool auch ein Instrument, mit dem die Wirksamkeit von Schul- und Unterrichtsentwicklungsmaßnahmen im digitalen Bereich bewertet werden kann.
Wie das Tool funktioniert
Die Funktionsweise ist einfach und benutzerfreundlich. Schulleitungen oder durch sie beauftragte Lehrkräfte können sich mit jeder beliebigen E-Mail-Adresse im Tool registrieren und eine Befragung für ihre Schule anlegen. Es besteht zudem die Möglichkeit, eigene schulspezifische Fragen zur Digitalisierung hinzuzufügen. Die einzelnen Befragtengruppen können entweder über eine allgemeine oder individualisierte TAN an der Befragung teilnehmen oder direkt per E-Mail eingeladen werden. Die Befragung kann so gemeinsam im Klassenverband durchgeführt oder auch beispielsweise für die Eltern per E-Mail initiiert werden.
Sobald die Befragung aktiv beendet wurde, wird ein automatisierter Ergebnisbericht erstellt. Dieser enthält eine grafische Veranschaulichung der Ergebnisse und ermöglicht so einen direkten Vergleich der unterschiedlichen Sichtweisen der drei Befragtengruppen (Werte von 1=„Trifft überhaupt nicht zu“ bis 4=„Trifft voll und ganz zu“):
Zusätzlich werden die Ergebnisse auf Einzelfragenebene dargestellt, um differenzieren zu können, beispielsweise in welchen Bereichen die Lehrkräfte ihre Medienkompetenz geringer einschätzen und noch Fortbildungsbedarf besteht.
Wie das Tool erprobt wurde
Das „Tool digitale Schule“ zur internen Standortbestimmung wurde an 23 Schulen aller Schularten in der Praxis erprobt und begleitend evaluiert. Dabei wurde zunächst der Inhalt der Fragen auf Passung und statistische Eignung untersucht. Weiterhin wurden in begleitenden Interviews die Handhabbarkeit des Tools, der Prozess der Ergebnisanalyse und die Ableitung von Maßnahmen evaluiert. Nachdem die Maßnahmen von den Schulen umgesetzt wurden, werden im nächsten Schuljahr die Impulswirkung des Tools ermittelt sowie Faktoren identifiziert, die die Implementierung im Schulkontext erleichtern.
Die Erprobung umfasst einen Zeitraum von etwa zwei Schuljahren und wurde mit Beginn des Schuljahres 2022/2023 an den Schulen gestartet.
Die einzelnen Phasen sind im nachfolgenden Zeitplan dargestellt. Es werden innerhalb der Pfeile die Aufgaben der Schulen beschrieben und in den Kästchen darunter die einzelnen methodischen Schritte, die durch das IBBW vollzogen wurden:
Das „Tool digitale Schule“ wurde für alle Schularten und alle Befragtengruppen erprobt und spezifisch angepasst. So wurde beispielsweise für Grundschulen ein gänzlich separater Fragebogen für Schülerinnen und Schüler erstellt. Weiterhin gibt es einen Fragebogen in einfacher Sprache für die Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen oder der SBBZ. Alle Fragebögen haben sich in der Erprobung bewährt und können nun schulartspezifisch genutzt werden.
Gelingensbedingungen für eine erfolgreiche Implementierung
Damit im Anschluss an die Erhebung verlässliche Aussagen getroffen werden können, ist es wichtig, eine möglichst hohe Teilnahmequote innerhalb jeder Befragtengruppe zu erzielen. Vor allem bei den Eltern, die nicht unmittelbar am Schulleben beteiligt sind, ist es wichtig, eine hinreichende Anzahl zur Teilnahme zu motivieren, um repräsentative Aussagen treffen zu können.
Zur Umsetzung von Maßnahmen aus den Bereichen „Datengestützte Qualitätsentwicklung“, „Führung und Management“, „Professionalität und Zusammenarbeit“ sowie „Lehren und Lernen“ ist es zunächst erforderlich, dass die Rahmenbedingungen gegeben sind. Die Schulen im Land sind hier sehr unterschiedlich aufgestellt, was Ausstattung, Infrastruktur und vor allem technischen Support betrifft. Grundbedingung für das Gelingen pädagogischer Maßnahmen ist es jedoch, dass zunächst diese Rahmenbedingungen erfüllt sind. Ohne funktionsfähige digitale Geräte ist es sinnlos, digitalen Unterricht oder spezielle Fortbildungen der Lehrkräfte im digitalen Bereich zu planen.
Eine weitere wichtige Rahmenbedingung ist, dass den Lehrkräften ausreichend Zeit für Fortbildungen zur Verfügung steht, dass Fortbildungsformate inhaltlich passgenau angeboten und vor allem im schulischen Alltag konkret verankert werden.
Sind die Maßnahmen abgeleitet, ist es wichtig, eine konkrete Zeitplanung vorzunehmen, Meilensteine festzulegen und einzelne Maßnahmen in einen übergeordneten Zusammenhang zu stellen, um so ein Konzept für die zukünftige Entwicklung im digitalen Bereich zu skizzieren. Um die Schulen in diesem Prozess zu unterstützen, bietet das Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) eine Beratung zur Ableitung von Maßnahmen auf Grundlage der Ergebnisse an. Die Umsetzung der Maßnahmen kann durch das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) oder das Landesmedienzentrum (LMZ) unterstützt werden.
Durch die im nächsten Schuljahr in Erprobungsphase III zu führenden Interviews kann vor allem die Frage zu gewünschten Unterstützungsmöglichkeiten (beispielsweise durch externe Partner) Hinweise darauf geben, wie ein gutes Zusammenspiel der einzelnen Akteure funktionieren kann. Das Kultusministerium in Baden-Württemberg hat das Innovationsprogramm „Digitale Schule“ aufgelegt, um die digitale Schulentwicklung mittelbar und unmittelbar zu fördern und die Digitalisierung in verschiedenen Bereichen des schulischen Lebens voranzubringen. Hier ist auch das „Tool digitale Schule“ längerfristig platziert. Schulen sollen künftig nicht mehr unbedingt versuchen, alles aus eigener Kraft zu meistern, sondern sich auch passende Unterstützung von außen (etwa durch Fachberatung Schulentwicklung oder Fortbildungen) holen.
Warum das Tool für die Schul- und Unterrichtsentwicklung bedeutsam ist
Das „Tool digitale Schule“ gibt einen guten Überblick über den aktuellen Ist-Stand der Schule im Bereich Digitalisierung. Viele Schulen haben dies in den Interviews als bereichernd zurückgemeldet und konnten eine direkte Passung zu den Ziel- und Leistungsvereinbarungen oder den im Medienentwicklungsplan formulierten Zielen herstellen. Somit vereinfacht das Analysetool bestehende Prozesse und liefert eine valide Datenbasis zur Ableitung inhaltlich passgenauer und zielgruppenspezifischer Maßnahmen. Darüber hinaus können bereits umgesetzte Digitalisierungsschritte in der Schul- und Unterrichtsentwicklung evaluiert werden. Für die Schulentwicklung ist es wichtig, das gesamte Kollegium zur Arbeit mit digitalen Medien zu motivieren und auch die Eltern besser zu informieren und einzubinden.
Im Bereich der Unterrichtsentwicklung wäre es hilfreich, fachspezifische Unterrichtsentwürfe mit digitalen Medien über die jeweiligen Fachschaften zu entwickeln. Dies soll dafür sorgen, dass nicht nur digitale Medien verwendet werden, sondern dass diese auch im Vergleich zu analogen Medien fachspezifisch und mit pädagogischem Mehrwert eingesetzt werden.
Im Ergebnisbericht zum „Tool digitale Schule“ ist zudem ersichtlich, in welchen Bereichen digitale Medien im Unterricht bislang eingesetzt werden und wie sich hier die Sicht der Befragtengruppen unterscheidet. Da hier auch Inhalte des Bildungsplans betrachtet werden, können direkt Maßnahmen für die spezifische Unterrichtsentwicklung abgeleitet werden. Gleiches gilt für die Identifizierung von Bereichen, bei denen sich Lehrkräfte noch unsicher fühlen und Fortbildungen benötigen.