„Eine starke Elternbeteiligung kommt der gesamten Schule zugute“

Von reger Elternbeteiligung profitieren Schulen, Eltern und Schüler:innen gleichermaßen. Vorausgesetzt, sie gelingt. – Impulse aus einem Forschungsprojekt

Wie können Eltern, Schulen und Kommunen Bildung gemeinsam gestalten? Das Projekt SODETE untersucht, unter welchen Bedingungen Elternbeteiligung an Grundschulen gelingen kann. In einem ersten Schritt muss die Schule Eltern als wichtige Akteurinnen und Akteure begreifen, und die Eltern müssen Schule als einen Raum verstehen, den sie mitgestalten können.

Redaktion: Frau Menz, Ihr Projekt untersucht Gelingensbedingungen von Elternbeteiligung in der Schule. Was zeichnet gelungene Elternbeteiligung aus?

Dr. Margarete Menz: Für die verschiedenen Akteurinnen und Akteure im Bildungssystem bedeutet gelungene Elternarbeit jeweils etwas anders. Vorgeschrieben ist eine Elternbeteiligung zum Beispiel über den Elternbeirat und Elternabende. Lehrpersonen erwarten von Eltern vor allem Unterstützung für Schule und Kind, oft bezeichnet als „plug-in participation“. Eltern sollen sich an von der Schule definierten Stellen einbringen, zum Beispiel Schulmaterialien bereitstellen, Kinder zuhause unterstützen und bei Veranstaltungen mithelfen. Besonders wichtig wird Elternbeteiligung für Lehrkräfte bei schulischen Schwierigkeiten, wobei erwartet wird, dass Eltern den Ratschlägen der Schule folgen.

Eltern hingegen wollen, dass es ihren Kindern in der Schule gut geht und sie sich positiv entwickeln. Da sie oft nur bei Problemen einbezogen werden, wird Elternbeteiligung nicht immer positiv wahrgenommen. Eltern wünschen sich jedoch Einblick in den schulischen Alltag und möchten besonders bei Schwierigkeiten gehört und ernst genommen werden.
 

Redaktion: Mit welchen Methoden haben Sie die Bedingungen für erfolgreiche Elternbeteiligung in der Forschungsphase des Projekts untersucht?

Menz: Unsere Forschungsphase nutzte eine Triangulation qualitativer Methoden, das heißt, wir haben das Thema aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und unterschiedliche Methoden kombiniert. Konkret begleiteten wir vier Klassen an zwei Schulen ein Schuljahr lang durch teilnehmende Beobachtungen bei Veranstaltungen mit Eltern, wie Elterncafés, Elternabenden und Schulfesten. Zudem führten wir zahlreiche Interviews mit Expertinnen und Experten aus der Kommune, der Schule, den Eltern, der schulischen Sozialarbeit sowie mit außerschulischen Bildungseinrichtungen und relevanten Partnern.
Bei der Auswahl der Untersuchungsgruppe versuchten wir, sowohl aktive Teilnehmende der Elternarbeit als auch weniger Engagierte einzubeziehen. Dies war jedoch nicht immer einfach, da manche Eltern schwer erreichbar waren oder kein Interview führen wollten. Niedrigschwellige Gespräche bei Elterncafés oder Schulfesten erwiesen sich als hilfreich. Beziehungsarbeit war daher ein wesentlicher Teil des Projekts und benötigte Zeit.

Das Projekt SODETE

SODETE steht für soziale und demokratische Teilhabe durch Elternbeteiligung. Das Projekt sieht Elternbeteiligung in Schulen auch als Mittel zur Stärkung der Teilhabe in der Kommune. Das Projekt wird gemeinsam von der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd und der Stadtverwaltung Schwäbisch Gmünd betreut. Im Rahmen der Förderlinie „Abbau von Bildungsbarrieren: Lernumwelten, Bildungserfolg und soziale Teilhabe“ wird SODETE vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Redaktion: Welchen Vorteil hat eine intensive Elternbeteiligung?

Menz: Eltern spielen eine entscheidende Rolle in der Bildungsbiographie ihrer Kinder und werden von der Schule auch für diese verantwortlich gemacht. Diese Verantwortung nehmen die meisten Eltern in der Regel an und möchten ihre Kinder bestmöglich unterstützen und ihre Bedürfnisse in der Schule vertreten. Dafür müssen Eltern in den Schulalltag einbezogen werden und die Schule als einen Raum erleben, den sie mitgestalten können. Davon wiederum profitieren Lehrkräfte und Kinder. Das Wissen der Eltern über ihre Kinder kann wertvolle Hinweise für die individuelle Förderung und Schulentwicklungsprozesse geben.

„Unsere Studie zeigt, dass Eltern selten eigene Wünsche äußern. Sie folgen meist dem traditionellen Verständnis von Elternbeteiligung, das die Schule vorgibt.“

Dr. Margarete Menz

Unsere Studie zeigt jedoch, dass Eltern selten eigene Wünsche äußern. Sie folgen meist dem traditionellen Verständnis von Elternbeteiligung, das die Schule vorgibt, und äußern Kritik nur vorsichtig. Die Schule betrachtet Probleme häufig als Einzelfälle. Auch wenn beispielsweise eine nicht-deutsche Erstsprache keine Seltenheit ist, findet die Schule darauf keine strukturelle Lösung, sondern überträgt die Verantwortung an die Eltern. Diese versuchen dann, eigenständig Lösungen zu finden, anstatt sich solidarisch zusammenzuschließen und Forderungen an die Schule zu richten.

Eine starke Elternbeteiligung kommt jedoch der gesamten Schule zugute. Gut vernetzte Eltern springen ein, wenn der Schule Ressourcen fehlen, und unterstützen sich gegenseitig. Das fördert die Teilhabe aller Familien. In Klassen mit starker Elternschaft äußern Eltern produktive Ideen und Anregungen zum Unterricht und geben wichtige Rückmeldungen zum Lernfortschritt und Wohlbefinden ihrer Kinder. Allerdings begegnen schulische Akteurinnen und Akteure solchen Einflüssen bislang oft skeptisch. Maßnahmen zur Stärkung der Elternschaft werden daher zurückhaltend aufgenommen.

Redaktion: Wie kann sich das ändern? Welche Strukturen sind für eine erfolgreiche Elternbeteiligung notwendig?

Menz: Viele Studien, einschließlich unseres Projekts, zeigen, dass es ein umfassendes Engagement der gesamten Schule erfordert, um Elternbeteiligung als Gewinn zu erkennen und langfristig auch die Lehrkräfte zu entlasten. Dieses Engagement entwickelt sich nicht über Nacht und benötigt Zeit. Wichtig sind Handelnde auf allen Schulebenen. Engagierte Lehrpersonen sind wesentlich, aber nicht ausreichend. Entscheidend ist, dass auch die Schulleitung und idealerweise der kommunale Schulträger diesen Prozess unterstützen und vorantreiben.

Darüber hinaus ist Multiprofessionalität wichtig. Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter haben oft einen besseren Zugang zu Eltern und können vermittelnd wirken. Klare Strukturen in der Zusammenarbeit aller Akteurinnen und Akteure fördern eine gleichberechtigte Elternbeteiligung erheblich.

Redaktion: Welche Einstellungen müssen für diese Zusammenarbeit verbreitet oder neu gedacht werden?

Menz: Strukturell haben wir das Problem, dass Ganztagsschulen oft nicht den versprochenen Bildungserfolg gewährleisten können, jedenfalls nicht unabhängig vom Elternhaus. Viele Eltern erwarten, dass ihre Kinder nach der Schule keine weiteren Aufgaben haben. Dies ist besonders wichtig für Alleinerziehende und Eltern, die ihre Kinder bei den Hausaufgaben nicht unterstützen können. Aber Schulen erwarten oft, dass Eltern gleichermaßen alles auffangen, was im Unterricht nicht geschafft wurde. Das belastet vor allem Eltern mit begrenzten Ressourcen zusätzlich.

Eltern wiederum haben es oft schwer, es der Schule recht zu machen. Wenn sie zu engagiert sind, viel nachfragen oder Kritik äußern, gelten sie als schwierig. Arbeiten sie nicht genug oder nicht richtig mit, gelten sie als desinteressiert und schwer erreichbar. Dies betrifft besonders Eltern mit Migrationshintergrund, die aufgrund von Sprachbarrieren und anderen Erfahrungen im Schulsystem nicht gleichberechtigt wahrgenommen werden und oft für den Bildungserfolg oder Misserfolg ihrer Kinder verantwortlich gemacht werden.

„Eltern müssen zentral einbezogen und ernst genommen werden, da sie genau wissen, was sie leisten können und was nicht.“

Dr. Margarete Menz

Redaktion: Was sollte sich dafür im Schulsystem bessern?

Menz: Ob sich mittelfristig etwas an der Finanzierung und Ausstattung der Schulen ändert, können wir nicht vorhersagen. Für Kommunen und Schulen identifizieren wir jedoch zwei zentrale Ansätze:

Erstens sollten bestehende Prozesse und Angebote selbstkritisch überprüft werden, ob sie tatsächlich zu mehr Bildungsgleichheit führen. Eltern müssen zentral einbezogen und ernst genommen werden, da sie genau wissen, was sie leisten können und was nicht. Wenn gemeinsam Angebote entwickelt werden, die diesen Bedarfen entsprechen, wird viel Druck abgebaut.

Zweitens ist eine bessere diskriminierungskritische Ausbildung und Weiterbildung in der Lehramtsbildung notwendig. Lehrkräfte sind gegenüber Eltern in einer Machtposition, auch wenn sie dies nicht immer wahrnehmen. Eltern mit Migrationshintergrund werden oft nicht ernst genommen und erfahren Diskriminierungen. Die eigenen Annahmen über gute Eltern und gute Zusammenarbeit zu hinterfragen, gehört zur professionellen Zusammenarbeit in der Schule. Ebenso wichtig sind Kenntnisse über gesellschaftliche Benachteiligungen und deren Auswirkungen.

Redaktion: Ihr Projekt legt Wert auf eine inklusive und diskriminierungsfreie Arbeit. Wie stellen Sie sicher, dass allen Beteiligten Möglichkeiten zur Beteiligung offenstehen?

Menz: Wir haben verschiedene Dinge ausprobiert und, wie viele andere Projekte, nicht immer Erfolg gehabt. Inklusive Arbeit braucht Zeit, um Vertrauen aufzubauen – Zeit, die es in der Projektlogik oft nicht gibt. Wir sind an Grenzen gestoßen, haben aber auch positive Erfahrungen gemacht. Mehrsprachige Angebote und Informationen sind leider keine Selbstverständlichkeit, weshalb uns mehrsprachige Erläuterungen sowie Dolmetscherinnen und Dolmetscher besonders wichtig waren. Zukünftig könnten moderne Übersetzungsapps hier eine große Rolle spielen. Kinderbetreuung während unserer Angebote war ebenfalls selbstverständlich.

Zudem war es wichtig, Eltern in einem niedrigschwelligen Rahmen kennenzulernen, der den Eindruck vermied, unser Projektteam agiere als Teil der Schule. Dennoch bleibt es eine Herausforderung, alle Eltern zu erreichen. Besonders bei formalen Angeboten wie Workshops mit Schulakteurinnen und -akteuren oder runden Tischen sind wenige Eltern dabei, und oft nicht die, deren Perspektive besonders wichtig wäre.

Redaktion: Welche Rolle spielt die Digitalisierung im Rahmen des Projekts?

Menz: Wir merken in der Zusammenarbeit deutlich die Grenzen und Schwierigkeiten, unter denen Schulen arbeiten. Digitalisierung ist vor allem in der Kommunikation mit Eltern interessant. Ein Messenger-Dienst, der alle Eltern einer Klasse erreicht und Nachrichten automatisch in verschiedene Sprachen übersetzt, wäre eine erhebliche Erleichterung. Auch Dolmetscher-Apps könnten sprachliche Hürden beseitigen. Allerdings müssen Schulen und Kommunen hier den Datenschutz gut abwägen. Zudem kosten Anschaffung und Wartung Geld, das oft nicht zur Verfügung steht.

Unsere Erfahrungen sind diesbezüglich zwiespältig. Obwohl digitale Chats und Plattformen für Eltern im Alltag selbstverständlich sind, fehlt es oft an den nötigen Ressourcen. Schulen könnten über diese Tools jedoch einen niedrigschwelligen und unkomplizierten Zugang zu Eltern aufbauen.

Redaktion: Frau Doktorin Menz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Dr. Margarete Menz ist akademische Oberrätin der Abteilung Erziehungswissenschaft / Allgemeine Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd.