Drei Fragen an Colin Cramer
Im Interview erläutert Podiumsteilnehmer Prof. Dr. Colin Cramer, wie Bildungsforschung und Schulleitungen gleichermaßen dazu beitragen können, Bildungseinrichtungen lernwirksamer zu gestalten.
Zur Person
Prof. Dr. Colin Cramer hat den Lehrstuhl für „Professionsforschung unter besonderer Berücksichtigung der Fachdidaktiken“ an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen inne. Forschungsschwerpunkte der Professur sind der Lehrerinnen- und Lehrerberuf sowie die Professionalisierung in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung.
Redaktion: Schulleitungen und Lehrkräfte fühlen sich oftmals nicht hinreichend über aktuelle Ergebnisse der Bildungsforschung informiert. Worin liegen Ihrer Meinung nach die Gelingensbedingungen für den Wissenschafts-Praxis-Transfer?
Prof. Dr. Colin Cramer: Die Bildungsforschung einerseits und die Schulpraxis andererseits sind angehalten, ihren jeweiligen Beitrag und ihre Relevanz für das Bildungssystem anzuerkennen und aufeinander zuzugehen. Dabei steht die Bildungsforschung in der Pflicht, zentrale Erkenntnisse aus der Forschung in verständlicher Weise zugänglich zu machen (Wissenschaftskommunikation). Die Schule hat ihrerseits die Aufgabe, sich wissenschaftlichen Erkenntnissen zu öffnen und sich zu einer mehrperspektivischen Betrachtung von Schule und Unterricht anregen zu lassen (Wissenschaftsorientierung). Dies ist umso wichtiger in einer Zeit, in der z.B. unsere demokratischen Grundstrukturen wiederholt herausgefordert werden und wir uns mit zu einfachen Antworten auf komplexe Fragen konfrontiert sehen.
Redaktion: Die Verzahnung von Wissenschaft und Schulpraxis ist auch in der Lehramtsausbildung bislang oft unzureichend. Was muss sich hier – auch im Blick auf die universitären Strukturen und die Qualifikation künftiger Schulleitungen – verändern?
Cramer: Forschung kommt anhand von Daten und Fällen zu Erkenntnissen und wertet diese auf Grundlage einer theoretischen Perspektive aus. Damit wird die Aufmerksamkeit immer auf bestimmte, konkret definierte Fragestellungen gelenkt. Schulische Praxis hingegen ist letztlich unvorhersehbar und Lehrpersonen sind mit der vollen Komplexität zwischenmenschlicher Interaktion konfrontiert. Eine einfache Verzahnung ist daher nicht möglich. Ich spreche deshalb gerne von der Relationierung dieser unterschiedlichen Zugänge zum Handlungsfeld Schule: Die Perspektiven werden wechselseitig aufeinander bezogen und können dazu anregen, immer neu über eine angemessene Sicht auf Bildungsprozesse nachzudenken. Damit angehende Schulleitungen eine wissenschaftsorientierte Haltung gewinnen und wissenschaftlich informiert handeln können, erscheint eine frühe Sensibilisierung für schulische Führungsaufgaben schon im Lehramtsstudium und deren Professionalisierung im gesamten Berufsverlauf bedeutsam.
Redaktion: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Bildungsforschung und Schulleitungen gleichermaßen dazu beitragen, Bildungseinrichtungen lernwirksamer gestalten zu können?
Cramer: Eine zentrale Aufgabe der Bildungsforschung ist es, die Bedingungen erfolgreichen Lernens und weiterer schulischer Prozesse besser zu verstehen. Sie kann nicht umittelbar Einfluss auf die Lernprozesse im Unterricht nehmen, die immer in der Interaktion zwischen Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schülern, nicht aber an der Hochschule oder in Forschungseinrichtungen stattfinden. Daher ist es bedeutend, Formate des Austausches zwischen Schulen und Wissenschaft zu schaffen, in welchen neue wissenschaftliche Erkenntnisse ebenso wie aktuelle Herausforderungen der Schulen gemeinsam erforscht und diskutiert werden. Dabei ist ein wertschätzendes Anerkennen der unterschiedlichen Perspektiven auf Schule und Unterricht wichtig, damit alle Beteiligten produktiv herausgefordert werden und neu zum Nachdenken über ihre Forschung und schulische Praxis angeregt werden.