Faktencheck: Darum sollten wir uns von Lerntypen verabschieden

Die Lerntypentheorie verspricht schnelles und effektives Lernen – ein Mythos, wie die Forschung zeigt.

Um Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern, suchen Lehrkräfte nach Methoden, die auf die Lernbedürfnisse der Kinder eingehen. Ein viel diskutiertes Konzept teilt Lernende dafür in verschiedene Lerntypen. Danach können sich manche Kinder Wissen besser aneignen, wenn sie eine Information vor sich sehen, andere, wenn sie den Lernstoff hören. Doch wie wissenschaftlich fundiert ist dieses Modell?

Bei einer schnellen Internetsuche nach Lerntypentests findet man eine Vielzahl von Ergebnissen auf den Homepages von Lernratgebern, Schulen, Nachhilfeinstituten und Zeitschriften. Diese Tests sind jedoch alles andere als einheitlich: Manche unterscheiden zwischen vier Lerntypen (visuell, auditiv, kommunikativ und motorisch), andere zwischen drei. Oft wird suggeriert, dass es ein einheitliches Lerntypenmodell gäbe, auf das sich Lernpsychologie und Bildungsforschung geeinigt hätten. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Während sich kostenlose Tests hauptsächlich an Eltern und Lernende richten, gibt es auch kostenpflichtige Materialien, die vermeintlich speziell für Lehrkräfte entwickelt wurden. Diese Tests versprechen, den optimalen Lerntyp zu finden und dadurch bessere Noten zu erzielen. Allerdings wird selten darauf hingewiesen, dass Lerntypen nur ein vorsichtiger Anhaltspunkt für die beste Lernstrategie sein können und viele andere Faktoren das Lernen mit beeinflussen.

Das steckt hinter den Lerntypen

Der Biochemiker und Universitätsprofessor Frederic Vester beschreibt in seinem Buch „Denken, Lernen, Vergessen“ verschiedene Lerntypen. Vester erklärt, dass jeder Mensch je nach Grundmuster (= Synonym zu Lerntyp) unterschiedliche Eingangskanäle und Empfindungen hat, wodurch spezifische Verknüpfungen der Nervenleitungen zum Gedächtnis ausgebildet werden. Er unterscheidet unter anderem den visuellen, auditiven, haptischen und verbalen Typ. Diese Einteilung ist jedoch weniger einheitlich als oft behauptet.
In einer Studie kam Vester zu dem Schluss, dass Lernmuster individuell und nahezu einzigartig sind. Dies impliziert, dass Lehrpersonen nicht auf jeden einzelnen Lerntyp eingehen können. Dennoch forderte Vester bereits in den 1970er Jahren einen Wandel des Unterrichtssystems: weg vom Frontalunterricht, hin zu einer Umgebung, die alle Lerntypen berücksichtigt.

Das sagt die Bildungsforschung

Die Forschung der letzten Jahrzehnte deutet darauf hin, dass Lerntypen einer der am weitesten verbreiteten Mythen über die geistige Verarbeitung von Informationen sind. Metaanalysen seit den 1990er Jahren haben die Wirksamkeit von lerntypenbasiertem Unterricht untersucht. Kritiker wie Pashler et al. (2008) bemängeln jedoch die Methodik dieser Studien. Um den Erfolg von lernstilbasiertem Unterricht messen zu können, ist ein Studiendesign mit Kontrollgruppen notwendig. Eine auditive Person muss daher bessere Leistungen erzielen, wenn sie mit auditiven Unterrichtsmethoden beschult wird, als andere (nicht-auditive) Personen, die denselben Unterricht besuchen. Erzielt ein Lerntyp in verschiedenen Unterrichtsformen bessere Leistungen oder bewirkt eine Unterrichtsmethode bei unterschiedlichen Lerntypen die größten Erfolge, ist dies keine Evidenz für die Effektivität von lerntypenbasiertem Unterricht. Bisher gibt es in der Forschung keine Evidenz dafür, dass die Interaktion zwischen Lerntyp und spezifischer Unterrichtsmethode tatsächlich die Lernergebnisse verbessert.

Und jetzt?

Die strikte Klassifizierung von Lerntypen und deren Bedeutung für den Lernerfolg kann nicht auf die Originalliteratur von Vester bezogen werden. Seine Grundmuster sollten lediglich einen Impuls geben, sich mit dem eigenen Lernverhalten auseinanderzusetzen. Vesters Lerntypen beziehen sich auf die reine Informationsaufnahme, jedoch nicht auf die kognitive Verarbeitung ebendieser Informationen im Gehirn. Lernen ist jedoch ein komplexer kognitiver Prozess, der über die reine Informationsaufnahme hinausgeht.

Individuelle Unterschiede in der Informationsaufnahme existieren, aber eine individuelle Präferenz ist nicht unbedingt die effektivste Lernmethode. Der Unterricht muss nicht auf einzelne Lerntypen ausgerichtet sein, um erfolgreich zu sein. Stattdessen betont die Bildungsforschung die Bedeutung von Motivation und Selbstregulation für den Lernerfolg.

  • Ivie, S. D. (2009). Learning styles: Humpty dumpty revisited. McGill Journal of Education, 44(2), 177-192. 
  • Kavale, K. A., & LeFever, G. B. (2007). Dunn and Dunn model of learning-style preferences: Critique of Lovelace meta-analysis. The Journal of Educational Research, 101(2), 94-97. 
  • Lovelace, M. K. (2005). Meta-analysis of experimental research based on the Dunn and Dunn model. The Journal of Educational Research, 98(3), 176-183. 
  • Nancekivell, S. E., Shah, P., & Gelman, S. A. (2020). Maybe they’re born with it, or maybe it’s experience: Toward a deeper understanding of the learning style myth. Journal of Educational Psychology, 112(2), 221. 
  • Pashler, H., McDaniel, M., Rohrer, D., & Bjork, R. (2008). Learning styles: Concepts and evidence. Psychological science in the public interest, 9(3), 105-119. 
  • Vester, F. (1975). Denken, Lernen, Vergessen: was geht in unserem Kopf vor, wie lernt das Gehirn, und wann läßt es uns im Stich? Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt.