Gegen rassistische Inhalte in Schulbüchern: Das empfehlen Fachleute

Viele Bildungsmedien reproduzieren rassistische Stereotype. Das belegt eine Auswertung des Leibniz Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut.

Bildungseinrichtungen sollten Kindern und Jugendlichen die Bedeutung eines respektvollen und fairen Umgangs miteinander vermitteln. Doch viele Schülerinnen und Schüler erleben gerade in der Schule Diskriminierungen. Diese Erfahrungen werden auch durch Stereotype in Schulbüchern verstärkt. Prof. Eckhardt Fuchs und Simiao Yu werfen einen kritischen Blick auf Rassismus in Bildungsmedien weltweit.

Schulische Lehr- und Lernmaterialien sind mehr als nur neutrale Wissensvermittler. Sie transportieren soziale Werte und Normen. Sie haben das Potenzial, gesellschaftliche Vielfalt und Zusammenhalt zu fördern und eine nachhaltige, gerechte und inklusive Bildung zu stärken. Gleichzeitig können sie aber auch diskriminierende Vorstellungen reproduzieren, insbesondere in Bezug auf rassismusbezogene Inhalte. Diese beeinflussen die Selbstwahrnehmung und das Gesellschaftsverständnis von Schülerinnen und Schülern und anderen in Bildungskontexten Beteiligten erheblich.

Vor diesem Hintergrund hat das Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut in Zusammenarbeit mit der UNESCO die Studie „Unmasking Racism. Guidelines for Educational Materials“ veröffentlicht. Die Studie systematisiert internationale Schulbuchanalysen zum Thema Rassismus und leitet daraus Leitlinien zur Bekämpfung von Rassismus in und durch Bildungsmedien ab.

Wie die Studie Rassismus definiert

Unsere Studie untersucht, wie sich Rassismus in Bildungsmedien manifestiert. Dabei betrachten wir sowohl rassismusrelevante Inhalte, einschließlich impliziter Rassekonstruktionen, als auch Möglichkeiten zur thematischen Auseinandersetzung mit Rassismus. „Rassekonstruktionen“ bezeichnen die Einteilung von Menschen in unterschiedliche, ungleichwertige Gruppen, die oft homogenisiert und mit bestimmten Eigenschaften versehen werden. Diese Konstruktionen sind eng mit kulturellen Vorurteilen und Stereotypen verknüpft. Sie werden unter anderem dazu genutzt, die ungleiche Verteilung von Privilegien und Ressourcen zu legitimieren. Die daraus entstehenden Macht- und Ungleichheitsverhältnisse bezeichnen wir als Rassismus.

Wie sich Rassismus in Schulbüchern äußert

Eine umfassende Analyse internationaler Forschungsarbeiten zu Rassismus in Schulbüchern zeigt, dass rassismusrelevante Inhalte in verschiedenen diskursiven Kontexten untersucht werden.

  • Studien mit Fokus auf Migration und migrationsbedingter Diversität weisen auf eine oft einseitige, lineare Darstellung von Migration (zum Beispiel in das eigene Land) hin. Zudem werden Migrantinnen und Migranten häufig als Sonderfall, als Fremde oder sogar Bedrohung dargestellt.
     
  • Bei der Repräsentation von nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Minderheiten fällt auf, dass viele Schulbücher eine ethnozentrische Sicht auf nationale Identität vertreten und kulturelle Beiträge von Minderheiten marginalisieren. Dies reicht von schlichter Abwesenheit bis hin zu diskriminierenden Stereotypen oder offenen Feindbildern. 
     
  • Indigene Völker werden meist nur im historischen Kontext behandelt, was den Eindruck vermittelt, sie gehörten einer kolonialen Vergangenheit an, während ihre heutige Kultur, ihr Status und ihre Rechte kaum erwähnt werden. Bei der Schilderung kolonialer Konflikte wird die Gewalt an indigenen Völkern oft verharmlost, und die kulturellen Errungenschaften indigener Völker werden gänzlich ausgespart oder einem eurozentrischen Narrativ untergeordnet.
     
  • Ein weiterer Kontext ist die Gegenüberstellung westlicher Länder mit dem „Rest" der Welt, häufig mit binären Beschreibungsmustern wie Fortschritt versus Rückständigkeit, die beispielsweise in der geografischen Einteilung in Weltregionen und „Kulturräume“ sichtbar werden.
     
  • Besonders auffällig sind diskriminierende Stereotypen auch bei der Darstellung Schwarzer Menschen und Menschen mit dunklerer Hautfarbe („Colorismus“). Darstellungen des afrikanischen Kontinents und der dort lebenden Menschen sind nicht selten durch hegemoniale Vorstellungen geprägt. Zudem wird die Verbindung zwischen kolonialer Unterdrückung und heutigen Ungleichheiten oft nicht hergestellt.
     
  • Schulbuchanalysen, die auf der Kritischen Weißseinsforschung basieren, zeigen, dass Weißsein, das heißt als „weiß“ markiertes Wissen und Perspektiven, als universell gültig dargestellt werden. Personen mit hellem Hautton und/oder europäischem Erscheinungsbild sind zudem in vielen Schulbüchern überrepräsentiert.

In Bildungsmedien erscheinen rassismusrelevante Inhalte also in zahlreichen Kontexten. Angesichts dieser verschiedenen diskursiven Kontexte, mit denen implizite und explizite Rassekonstruktionen verknüpft sind, haben wir in der Studie „Unmasking Racism“ jeweils spezifische Empfehlungen formuliert. Im Kontext von Migration empfehlen wir beispielsweise, Migration als Normalfall der Menschheitsgeschichte zu betrachten, der zu vielen Zeitpunkten historischer Entwicklungen stattgefunden hat – regional, global, in verschiedene Richtungen und aus vielfältigen Gründen. Eine weitere Empfehlung besteht darin, die Vielfalt im Klassenzimmer mitzudenken, das heißt bei der Auswahl von Themen, Bildern oder Namen Identifikationsangebote für alle Schülerinnen und Schüler zu schaffen und bei ihrer direkten Ansprache, etwa in Aufgabenstellungen, inklusiv vorzugehen.

„Struktureller Rassismus als gesamtgesellschaftliches Ungleichheitsverhältnis wird in Schulbüchern selten thematisiert.“

Prof. Dr. Eckhardt Fuchs und Simiao Yu

Warum die Auseinandersetzung in Schulbüchern unbefriedigend ist

Um Rassismus in und durch Bildungsmedien wirksam zu begegnen, ist es nicht ausreichend, rassistische und andere diskriminierende Darstellungen einfach zu entfernen. Eine direkte und umfassende Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus ist notwendig, um langfristige Lern- und Reflexionsprozesse anzustoßen. In Schulbüchern wird Rassismus jedoch meist unzureichend behandelt. Häufig fehlt eine klare Definition oder es wird ein sehr enger oder irreführender Begriff von Rassismus verwendet. Struktureller Rassismus als gesamtgesellschaftliches Ungleichheitsverhältnis wird selten thematisiert.

Stattdessen verorten Schulbücher Rassismus häufig in anderen Ländern oder Regionen und leugnen die Existenz von Rassismus in der eigenen Gesellschaft. Rassismus wird häufig auf gewaltsame Erscheinungsformen wie Rechtsextremismus beschränkt. Zudem wird das Thema häufig durch das Verschleiern von Tätern und Profiteuren oder durch eine individualisierte Darstellung auf einzelne Täter begrenzt. Solche Darstellungsweisen schränken die notwendige umfassende Thematisierung von Rassismus in Bildungsmedien stark ein.

Wie Schulbücher antirassistisch werden

Bildungsmedien stehen vor der Herausforderung, ein Bewusstsein für strukturellen Rassismus als komplexes, historisch gewachsenes und global wirksames Ungleichheitsverhältnis zu schaffen. Es ist wichtig zu zeigen, dass Rassismus als gegenwärtige Realität in der Mitte der Gesellschaft präsent ist. Wissensbasierte Zugänge, die das Verständnis für historische Verbindungen und die gesellschaftliche Bedeutung von Rassismus fördern, sind ebenso notwendig wie subjektorientierte Ansätze. Diese ermöglichen es Schülerinnen und Schülern, eigene Perspektiven zu entwickeln, Anknüpfungspunkte an persönliche Fragestellungen zu finden, eigene Erfahrungen einzuordnen und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln.

„Kinder und Jugendliche sollten darin unterstützt werden, ihre eigene Positionierung und Beteiligung an gesellschaftlichen Machtverhältnissen vor dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen zu reflektieren.“

Prof. Dr. Eckhardt Fuchs und Simiao Yu

Um mehrdimensionale wissensbasierte Zugänge zu schaffen, sollten Bildungsmedien aktuelle wissenschaftliche Diskurse und Themen öffentlicher Debatten aufgreifen. Dabei ist zu beachten, dass nicht nur in sozialwissenschaftlichen Unterrichtsfächern eine kritische Auseinandersetzung mit Rassismus erforderlich ist. Auch Bildungsmedien für naturwissenschaftliche und andere Fächer laufen Gefahr, implizit rassistische Vorstellungen weiterzugeben. Rassismus sollte daher als Querschnittsthema fächerübergreifend verankert sein, um dem entgegenzuwirken. Schülerinnen und Schüler sollten grundlegende Kenntnisse und Kompetenzen erwerben, um seriöse wissenschaftliche Erkenntnisse von pseudowissenschaftlichen Behauptungen und kulturell geprägten Interpretationen empirischer Daten unterscheiden zu können. Auch widersprüchliche Evidenzen und wissenschaftliche Kontroversen sollten transparent gemacht werden.

Neben dem wissensbasierten Zugang ist eine subjektorientierte Auseinandersetzung wichtig, die auf das Empowerment aller Schülerinnen und Schüler abzielt. Kinder und Jugendliche sollten darin unterstützt werden, ihre eigene Positionierung und Beteiligung an gesellschaftlichen Machtverhältnissen vor dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen zu reflektieren und ein Bewusstsein für Deutungs- und Gestaltungsspielräume zu entwickeln. Ein rassismussensibles Sprachbewusstsein und das Verständnis der Zusammenhänge zwischen Sprache und Macht können hierzu beitragen.

Wie Schule antirassistisch wird

Die Verbesserung von Schulbüchern allein reicht nicht aus, um der gesellschaftlichen Tragweite von Rassismus gerecht zu werden, da Rassismus alle Bildungsbereiche und die gesamte Wissensproduktion betrifft. Eine nachhaltige Bekämpfung von Rassismus erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der über die Schulbuchentwicklung hinausgeht. Sie muss auch die Bildungspolitik, Bildungsmedienproduktion sowie die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften umfassen.

Dazu gehört die Entwicklung normativer Rahmenwerke, Richtlinien und antirassistischer Bildungsprogramme, die auf einem breiten politischen Willen basieren. Nur so kann es gelingen, eine wirksame antirassistische Bildung auf allen Ebenen zu implementieren. Qualitätsstandards sind erforderlich, um Schulbuchverlagen zu helfen, rassismuskritische Perspektiven in die kontinuierliche Überarbeitung und Neugestaltung von Schulbüchern zu integrieren. Teams aus Autorinnen und Autoren, die die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegeln, können dazu beitragen, ein breites Spektrum an Perspektiven und Stimmen einzubringen.