Gelassen im Referendariat: Online-Training für einen gesunden Berufseinstieg

Ein Online-Training unterstützt angehende Lehrkräfte bei Stressbewältigung und Klassenführung im Referendariat

Der Einstieg in den Beruf ist oft mit hohem Stress verbunden, der bei vielen jungen Lehrkräften langfristig bestehen bleibt. Das Online-Training „Gelassen im Referendariat“ vermittelt, wie angehende Lehrkräfte ihre Stressbelastung effektiv reduzieren und schwierige Gefühle regulieren können. Ein spezielles Zusatzmodul stärkt zudem die Klassenführungskompetenz. Psychologin Dr. Hanna Heckendorf von der Leuphana Universität Lüneburg erklärt, wie das Training funktioniert und welche Strategien besonders wirksam sind.

Redaktion: Frau Dr. Heckendorf, was war der Anlass für die Entwicklung des Online-Trainings „Gelassen im Referendariat“? 

Dr. Hanna Heckendorf: Frühere Studien unserer Forschungsgruppe konnten zeigen, dass ein Online-Training den Stress von Lehrkräften mit mehrjähriger Berufserfahrung signifikant reduzieren kann. Gleichzeitig weist die Forschung darauf hin, dass einige Lehrkräfte bereits zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn erhöhten Stress wahrnehmen. Bei einem nicht unerheblichen Teil der Lehrpersonen nimmt dieser Stress auch nach der Berufseinstiegsphase nicht ab und kann chronisch werden. Chronischer Stress ist mit zahlreichen psychischen und physischen Erkrankungen sowie hohen gesellschaftlichen Kosten verbunden. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, Lehrkräfte bereits beim Berufseinstieg gezielt zu unterstützen, indem ihnen Strategien vermittelt werden, die den Umgang mit den hohen Anforderungen zu Beginn des Lehrerberufs erleichtern. 

Gelassen im Referendariat

Das Online-Training „Gelassen im Referendariat“ unterstützt Lehramtsanwärterinnen und -anwärter dabei, Stress zu reduzieren und ihre Klassenführungskompetenz zu stärken. Es umfasst sieben Basiseinheiten zu Problemlösung und dem Umgang mit schwierigen Gefühlen sowie ein optionales Zusatzmodul zur Klassenführung. Eine Trainingseinheit dauert etwa 45 bis60 Minuten. Zwischen den Trainingseinheiten kann das Gelernte in Alltagsübungen vertieft werden. Das wissenschaftlich evaluierte Training wurde kostenfrei im Rahmen einer Studie angeboten, inklusive Teilnahmezertifikat und individuellem Feedback. Aktuell steht es Lehramtsstudierenden der Leuphana Universität zur Verfügung. 

Redaktion: Welche spezifischen Stressfaktoren haben Sie bei Lehrkräften im Referendariat identifiziert, die das Training adressiert? 

Heckendorf: Die Faktoren sind vielfältig und individuell unterschiedlich. Die Studienteilnehmenden nannten beispielsweise eine hohe Arbeitsbelastung, Zeit- und Leistungsdruck, fehlende Erholungszeiten sowie Unsicherheiten, aber auch Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen – sei es innerhalb des Kollegiums oder mit den Schülerinnen und Schülern. Daneben spielen auch private Stressoren eine Rolle, wie Partnerschaftskonflikte oder Doppelbelastungen durch Kinderbetreuung, Hausbau oder lange Pendelzeiten. Besonders häufig wird in der Forschung und von angehenden Lehrkräften ein schlechtes Klassen- und Unterrichtsklima als Stressfaktor genannt, etwa durch Disziplinprobleme, Unterrichtsunterbrechungen, Unruhe oder Fehlverhalten der Schülerinnen und Schüler.

Redaktion: Welche Inhalte und Methoden umfasst das Training, um angehenden Lehrkräften beim Stressabbau zu helfen?

Heckendorf: Zu Beginn des Trainings geht es darum, die individuellen Stressfaktoren in lösbare und aktuell nicht lösbare Faktoren zu unterteilen. Für die lösbaren Stressoren werden bewährte Problemlösetechniken vermittelt, während für die nicht lösbaren Faktoren Strategien zum Umgang mit schwierigen Gefühlen, zur Akzeptanz und zur Selbstunterstützung angeboten werden. So können Teilnehmende die Methoden auf die eigenen Stressfaktoren anwenden. 

Darüber hinaus wird den angehenden Lehrkräften die Bedeutung sogenannter kraftgebender Aktivitäten nähergebracht, also Tätigkeiten, die Ausgleich bieten und helfen, die hohen Anforderungen des Berufseinstiegs zu bewältigen. Welche Aktivitäten als kraftgebend wahrgenommen werden, ist sehr individuell. Für manche ist es Sport, für andere eine soziale Aktivität wie ein Spieleabend oder etwas Kreatives wie Stricken oder Musik machen.

Redaktion: Welche Rolle spielen Strategien zur Selbstunterstützung und Emotionsregulation im Trainingsprogramm? 

Heckendorf: Im Training stehen Selbstunterstützung und Emotionsregulation neben Problemlösefähigkeiten im Fokus. Viele Stressoren lassen sich für angehende Lehrkräfte aktuell nur schwer beeinflussen, weshalb ihre Akzeptanz entscheidend ist- der Widerstand würde die Belastung oft verstärken. Ein Beispiel: Wer Angst hat, weil unklar ist, wie es nach dem Referendariat weitergeht, profitiert davon, diese Angst zu benennen und zunächst anzuerkennen, statt gegen sie anzukämpfen. Mithilfe eines wissenschaftlich fundierten Akzeptanz- und Toleranzplans lernen die Teilnehmenden, unangenehme Gefühle wie Angst oder Unsicherheit anzuerkennen und sich dabei selbst freundlich zu unterstützen. Ergänzend kommt eine bewährte Entspannungsübung, die Muskel- und Atementspannung, zum Einsatz, um die emotionale Belastung zu reduzieren und handlungsfähig zu bleiben.

Redaktion: Inwiefern unterstützt das Training Lehrkräfte auch pädagogisch, etwa bei der Klassenführung?

Heckendorf: Nicht wenige angehende Lehrkräfte fühlen sich in Bezug auf Klassenführung schlecht vorbereitet und überfordert. Daher haben wir ein zusätzliches Modul entwickelt, in dem zentrale Aspekte der Klassenführung behandelt und praktisch geübt werden können. Dazu gehören Strategien zur Prävention von Problemverhalten, Tipps, wie der Aufbau einer positiven Lehrer-Schüler-Beziehung gelingen kann, sowie die Einführung von Regeln und Routinen, aber auch Methoden zum Umgang mit Problemverhalten, wenn es dennoch auftritt. Nach unserem Kenntnisstand ist dieses Zusatzmodul das erste webbasierte Training, das die Förderung von Klassenführungskompetenzen mit einem klassischen Stresstraining kombiniert.

Redaktion: Wie wurde die Effektivität des Programms geprüft und welche Ergebnisse konnten Sie feststellen?

Heckendorf: In einer randomisiert-kontrollierten Studie zeigte sich, dass das etwa siebenwöchige Online-Training die wahrgenommene Stressbelastung signifikant senkte. 50 Prozent der Teilnehmenden der Trainingsgruppe berichteten über eine bedeutsame Stressreduktion im Vergleich zu 23 Prozent in der Wartekontrollgruppe. Zusätzlich nahmen depressive und Angstsymptome sowie Schlafbeschwerden ab, während die berufsbezogene und klassenführungsspezifische Selbstwirksamkeit zunahm. Die Effekte hielten bis drei Monate an und blieben in der Trainingsgruppe auch nach sechs Monaten bestehen. Mit jeder absolvierten Trainingseinheit verstärkte sich die Stressreduktion weiter.

Redaktion: Welche langfristigen Auswirkungen erhoffen Sie sich durch die Integration dieses Trainings in die Ausbildung angehender Lehrkräfte, und wie schätzen Sie die Perspektive ein, „Gelassen im Referendariat“ flächendeckend anzubieten?

Heckendorf: Die Studienergebnisse zeigen, dass die Reduktion des Stressniveaus sowie weiterer Symptome psychischer Belastung bis zu einem halben Jahr nach dem Training anhält. Wir hoffen, dass das Stressniveau der angehenden Lehrkräfte auch darüber hinaus niedriger bleibt und chronischer Stress langfristig verhindert werden kann, wofür jedoch weitere Forschung nötig ist. 

Eine Integration des Trainings in die Ausbildung könnte dazu beitragen, dass das Referendariat und der Berufseinstieg weniger belastend erlebt werden. Dies könnte die Überlastung zu Beginn des Lehrerberufs reduzieren, die Gesundheit und Zufriedenheit der Lehrkräfte fördern und die Unterrichtsqualität sowie das Lernklima positiv beeinflussen. An der Leuphana Universität haben wir gute Erfahrungen gemacht, das Training „Gelassen im Referendariat“ im Rahmen des Moduls Gesundheitspsychologie anzubieten. Optimal wäre jedoch, das Training direkt während des Referendariats zugänglich zu machen, wofür Partner aus Kultusministerien oder dem Gesundheitswesen erforderlich wären. Bei Interesse von entsprechenden Institutionen freuen wir uns über eine Kontaktaufnahme. 

Redaktion: Die Fortbildung ist bisher noch nicht flächendeckend verfügbar. Können Sie erläutern, was angehende Lehrkräfte bereits heute tun können, um besser mit Stress umzugehen? Welche praktischen Ratschläge geben Sie ihnen basierend auf Ihrer Forschung? 

Heckendorf: In unserer Studie konnten wir auch die Mechanismen untersuchen, durch die das Training Stress reduziert. Dabei zeigte sich, dass zwei Kerninhalte besonders relevant sind: einerseits die Fähigkeit, mit schwierigen Gefühlen umzugehen und diese zu regulieren, und andererseits aktive Problemlösefähigkeiten. Beides sagt die Reduktion des Stressniveaus vorher und unterstreicht, dass sowohl die Akzeptanz und Selbstunterstützung bei belastenden Gefühlen als auch die gezielte Lösung beeinflussbarer Probleme notwendig sind, um Stress wirksam zu verringern. 

Praktisch bedeutet das: Zunächst sollte man beobachten und aufschreiben, welche Probleme den Stress verursachen. Diese können stichpunktartig notiert und danach in eher lösbare und aktuell nicht beeinflussbare Probleme unterteilt werden. Für die lösbaren Probleme empfiehlt es sich, aktiv und strukturiert Lösungen zu entwickeln. Für die nicht beeinflussbaren Probleme ist es hilfreich, Wege zu finden, diese und die damit verbundenen Gefühle zu akzeptieren und sich selbst zu unterstützen – etwa durch Entspannungsmethoden wie Progressive Muskelentspannung, Achtsamkeit oder Meditation. So lassen sich Belastungen sowohl praktisch angehen als auch emotional regulieren.

Redaktion: Frau Doktorin Heckendorf, wir bedanken uns für dieses Gespräch.

Zur Person

Dr. Hanna Heckendorf ist Psychologin und psychologische Psychotherapeutin und promovierte am Institut für Psychologie der Leuphana Universität Lüneburg. Gemeinsam mit Prof. Dr. Dirk Lehr entwickelte sie das Online-Training „Gelassen im Referendariat“, das darauf abzielt, den Stress von Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern zu reduzieren und ihr psychisches Wohlbefinden zu stärken.