Gesunde Lehrkräfte – bessere Schulqualität

Professorin Anita Sandmeier spricht darüber, warum Lehrkräftegesundheit so wichtig ist – und wie sie verbessert werden kann

Die Gesundheit von Lehrkräften sollte mehr im Fokus der Gesellschaft stehen, sagt Professorin Anita Sandmeier – denn sie hat großen Einfluss, wie gut in Schulen gelehrt und gelernt wird. Wie sich Lehrkräftegesundheit auswirkt und wo bei dem Thema angesetzt werden kann, beschreibt die Expertin im Interview.

Redaktion: Frau Sandmeier, Sie haben sich ausführlich mit dem Thema Lehrkräftegesundheit beschäftigt und in Ihrer Forschungsarbeit auch auf die Unklarheit des Begriffs hingewiesen. Was ist nach Ihrem Verständnis eine „gesunde“ Lehrkraft? 

Prof. Dr. Anita Sandmeier: Eine gesunde Lehrkraft zeichnet sich durch die Fähigkeit aus, ihr Arbeitsverhalten bewusst zu steuern, um langfristig ihre Gesundheit zu erhalten. Die Bedingungen des Lehrberufs stellen eine besondere Herausforderung für die Gesundheit dar: Wenn man eine sinnvolle berufliche Aufgabe hat, die einen erfüllt, für deren Bewältigung man weitgehend selbst verantwortlich ist und für die man – theoretisch betrachtet – immer und überall arbeiten könnte, braucht es die Fähigkeit, die eigenen Ressourcen im Blick zu behalten, abzuschalten und die eigenen Batterien aufzuladen. Gesundheit im Lehrberuf erfordert daher Reflexivität, also die Fähigkeit, sich von der eigenen Praxis zu distanzieren und die Freiheiten und Zwänge des Berufs selbstbewusst zu managen. Dieses Bewusstsein und die erforderlichen Kompetenzen sind erlernbar und sollten gezielt gefördert werden. 

„Gesunde Lehrkräfte tragen maßgeblich zu einer höheren Schulqualität und einem besseren Lernumfeld bei.“

Prof. Dr. Anita Sandmeier

Redaktion: Was weiß die Forschung über die Konsequenzen von guter beziehungsweise schlechter Lehrergesundheit? Wie und wo wirkt sie sich wesentlich aus?

Sandmeier: Die Forschung zeigt, dass die Gesundheit von Lehrkräften erheblichen Einfluss auf die Schulqualität hat. Gesunde Lehrpersonen können in der Regel bessere soziale Beziehungen zu ihren Schülerinnen und Schülern aufbauen und ihr Klassenmanagement als funktionaler wahrnehmen. Diese positiven Beziehungen und das effektive Management tragen dazu bei, dass der Unterricht reibungsloser verläuft und die Lernbedürfnisse der Schüler besser berücksichtigt werden. Zum Beispiel haben gesunde Lehrkräfte ein besseres Gespür dafür, das Interaktionstempo im Unterricht an die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler anzupassen, was sich positiv auf deren Leistungen auswirkt. Diese Lehrpersonen identifizieren sich auch stärker mit ihrer Schule, engagieren sich aktiver in der Schulentwicklung und zeigen geringere Kündigungsabsichten. Im Gegensatz dazu kämpfen Lehrkräfte mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen häufiger mit dem Aufbau positiver sozialer Beziehungen und einem effektiven Klassenmanagement, was die Lernumgebung und die Schülerleistungen negativ beeinflussen kann. Insgesamt wirken sich gute Lehrergesundheit und damit verbundene positive Berufserfahrungen wesentlich auf das Schulklima, die Schulentwicklung und die langfristige Bindung der Lehrkräfte an ihre Schulen aus. Gesunde Lehrkräfte tragen maßgeblich zu einer höheren Schulqualität und einem besseren Lernumfeld bei.

So gesundheitlich belastet sind Lehrkräfte in Deutschland

Die gesundheitliche Belastung für Lehrkräfte in Deutschland ist hoch. Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen sind Lehrerinnen und Lehrer dabei besonders stark von psychischen Belastungen betroffen, wie aktuelle Studien nahelegen. So ergibt etwa eine Analyse von 15,1 Millionen Versicherten in der AOK in Zusammenarbeit mit der Universität Bielefeld und der Berliner Hochschule für Technik aus dem Jahr 2023, dass psychische Erkrankungen seit 2012 um 48 Prozent zunehmen. Diese Erkrankungen führen zu durchschnittlich 29,6 Fehltagen pro Fall, was deutlich über dem Durchschnitt anderer Erkrankungen liegt. Laut einer Befragung der DAK gaben zudem 60 Prozent der Schulleitungen an, dass es in den letzten Jahren vermehrt zu langfristigen Ausfällen im Kollegium aufgrund von Erkrankungen kam. 45 Prozent der Lehrkräfte berichten, nach der Arbeit schlecht abschalten zu können. Eine aktuelle Befragung der Robert-Bosch-Stiftung hat des Weiteren ergeben, dass mehr als ein Drittel der Lehrkräfte sich mehrmals pro Woche emotional erschöpft fühlt, insbesondere jüngere und weibliche Lehrkräfte sowie Grundschullehrkräfte sind betroffen. Am meisten belastet sind die Lehrkräfte dabei von Zeitdruck, fehlenden Erholungspausen und großen Leistungsunterschieden bei den zu Unterrichtenden. Das lässt einige Lehrkräfte auch kritisch auf ihre künftige berufliche Laufbahn blicken: 16 Prozent der Lehrkräfte geben an, dass ihre Kraft und Gesundheit nicht ausreichen werden, um bis zum gesetzlichen Pensionsalter zu arbeiten. Weitere 44 Prozent sind sich unsicher, ob sie dies schaffen werden.

Redaktion: Sie betonen in Ihrem Beitrag, dass die Gesundheit von Lehrkräften ein integraler Bestandteil des Verständnisses von Lehrerberufen sein sollte. Wie und wo sollte die Gesellschaft diesem Aspekt besser gerecht werden? Wie kann Lehrergesundheit etwa konkret besser in die Bildungspolitik integriert werden?

Sandmeier: Bildungspolitisch zentral ist eine realistische Ressourcenplanung: Die zeitlichen Ressourcen für die Bewältigung der beruflichen Aufgaben sollten regelmässig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, um Überlastung zu vermeiden. Dies erfordert eine genaue Analyse der Jahresarbeitszeit und eine Anpassung der Arbeitsaufträge, damit sie innerhalb dieser Zeit realistisch erfüllt werden können.

Redaktion: Wo kann man bei dem Thema in der Lehrkräftebildung ansetzen?

Sandmeier: In der Lehrkräftebildung ist neben dem Erwerb von fachlichen, fachdidaktischen und psychologischen Kompetenzen die Förderung eines professionellen Selbstbildes zentral, das die selbstreflexive Auseinandersetzung mit eigenen Erfahrungen einschließt. Diese Fähigkeit zur Selbstreflexion muss kontinuierlich entwickelt und gepflegt werden, um langfristig gesund im Beruf bleiben zu können. Unterrichten ist komplex, die Lehrkräfte müssen tagtäglich mit widersprüchlichen Anforderungen umgehen und unzählige Entscheidungen treffen, bei denen sie nicht nach „Schema X“ vorgehen können. Das macht den Reiz des Berufes aus, kann aber auch Auswirkungen auf die Gesundheit haben, wenn die damit zusammenhängende Unsicherheit nicht bewusst thematisiert wird. 

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Redaktion: Was kann in der Praxis von Schulverwaltungen und Schulleitungen selbst getan werden, um Lehrergesundheit zu fördern und ein positives Berufserleben zu unterstützen?

Sandmeier: Bildungsbehörden auf verschiedenen Ebenen und Schulleitungen haben die gesetzlich verankerte Pflicht, die Gesundheit von Lehrkräften zu schützen. Diesbezüglich sind sie angehalten, die beruflichen Rahmenbedingungen gesundheitsschützend zu gestalten und die Lehrkräfte dazu zu befähigen, ihren Anteil zur eigenen Gesundheitsförderung beizutragen. Die Bildungsträger sind für eine angemessene Ressourcenausstattung ihrer Schulen verantwortlich. Dazu gehören beispielsweise die Infrastruktur und die Ausstattung der Schulzimmer, aber auch die Erholungsräume im und um das Schulhaus. Die bedeutendste Ressource von Schulen sind jedoch die Lehrkräfte, weitere schulische Fachpersonen und die Schulleitungen.

Auf der Schulebene haben die Schulleitungen durch ihr Führungsverhalten und die soziale Unterstützung im Kollegium einen erheblichen Einfluss auf die Gesundheit der einzelnen Lehrkräfte. Wenn es Schulteams gelingt, die Herausforderungen gemeinsam anzugehen und systematisch die Handlungsspielräume zu nutzen, profitiert die Gesundheit und die Schulqualität. Die Grundlage dafür sind zeitliche Reserven, in denen gemeinsam Unterrichts- und Schulentwicklung stattfinden kann, in denen kollektiv nach Lösungen für die Herausforderungen gesucht wird. 

Redaktion: Frau Professorin Sandmeier, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Anita Sandmeier leitet die Forschungsprofessur „Personalentwicklung im Schulkontext“ an der Pädagogischen Hochschule Schwyz. Ihr Forschungsinteresse liegt in der Frage, wie die Gesundheit von Lehrpersonen durch systematische Personalentwicklung, betriebliche Gesundheitsförderung und bildungspolitische Maßnahmen geschützt und gefördert werden kann.