Gezielte Qualifizierung macht Schulleitungen handlungsfähig

Vorbereitungsprogramme und Weiterbildungen als Schlüssel für Entlastung, Führungskompetenz und Selbstwirksamkeit

Warum hinkt Deutschland bei der Professionalisierung von Schulleitungen im internationalen Vergleich hinterher, und wie lässt sich das ändern? Prof. Colin Cramer zeigt, weshalb systematische Qualifizierung unverzichtbar ist, um Leitungspersonen wirksam auf ihre Rolle vorzubereiten.

Redaktion: Herr Professor Cramer, Ihre Forschung zeigt, wie entscheidend die Rolle der Schulleitung für Schulentwicklung ist. Wo würden Sie zuerst einen Hebel ansetzen, um Schulleitungen spürbar zu stärken – jenseits rein symbolischer Wertschätzung?

Prof. Colin Cramer: Sie sprechen es bereits an: Eine bessere Bezahlung und eine noch größere Wertschätzung durch die Bildungsadministration sind sicherlich Stellschrauben, aber diese sind nicht zentral. Starke Schulleitungen müssen systematisch qualifiziert und von Verwaltung entlastet werden. Sie brauchen Freiraum für pädagogische Führung und sollten bei Innovationsprozessen professionell begleitet und unterstützt werden. Das erfordert, Schulleitung neu zu denken.

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Redaktion: Sie betonen in Ihrer Forschung die Bedeutung des Selbstverständnisses von Schulleitungen. Welche Merkmale zeichnen aus Ihrer Sicht ein zeitgemäßes, zukunftsorientiertes Selbstbild aus?

Cramer: Im Unterschied zum beruflichen Selbstverständnis von Lehrkräften wissen wir noch wenig darüber, wie Schulleitungen ihre eigene Rolle definieren. Mit der „Neuen Steuerung“ ist Schulen seit den 1990er-Jahren zunehmend Eigenverantwortung in der Prozessgestaltung übertragen worden, was die Rechenschaftspflicht der Schulleitungen verstärkt. Sie müssen ihre Schulen weiterentwickeln, profilieren und für Schülerinnen, Schüler und Eltern attraktiv halten. Dadurch hat sich die Rolle der Schulleitung verändert: Die ohnehin vielfältigen Aufgaben sind noch umfangreicher geworden. Verwaltungstätigkeiten müssen daher effizienter organisiert werden, um Freiräume für Organisations-, Personal- und Schulentwicklung zu sichern. Gelingt dies nicht, wenn Anstrengungen ins Leere laufen oder Zeit für Entwicklungsprozesse fehlt, kann dies in eine Krise führen.

Redaktion: Angesichts dieser Anforderungen: Wie müssen Vorbereitungs- und Weiterbildungsprogramme aufgebaut sein, damit sie Schulleitungen spürbar entlasten und ihre Arbeit in der Schulentwicklung unterstützen?

Cramer: Wir wissen bislang wenig darüber, was Aus- und Fortbildungen für Schulleitungen wirksam macht. Orientiert man sich an den Befunden zur Lehrerbildung, lassen sich drei Qualitätsebenen unterscheiden: Inputqualität entsteht, wenn Angebote passgenau auf den Schulleitungsalltag zugeschnitten sind und von Fachleuten – sowohl erfahrenen Schulleitungen als auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – gestaltet werden. Prozessqualität zeigt sich, wenn Teilnehmende Themen vertieft bearbeiten, aktiv erproben und Feedback erhalten. Outputqualität schließlich verlangt, dass die Maßnahmen messbare Effekte auf das Handeln der Schulleitungen und indirekt auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler haben. Ob dies gelingt, hängt entscheidend von der Motivation ab, das Gelernte in die Praxis zu übertragen. Empirisch bleibt die Erforschung dieser Einflussfaktoren und ihrer Zusammenhänge jedoch eine große Herausforderung.

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Redaktion: In Ihrer Studie zeigen einige klassische Qualifizierungsformate kaum Wirkung, beispielsweise auf die Selbstwirksamkeit. Woran liegt das und wie lässt sich dies ändern?

Cramer: Was wir brauchen, ist eine andere Logik in der Führungskräfteentwicklung. Und es werden bereits Schritte in diese Richtung unternommen. Ausgangspunkt ist die Verständigung darüber, was unter einer qualitätsvollen Professionalisierung von Schulleitungen zu verstehen ist. Dazu gehört zunächst die Klärung ihrer heutigen Aufgaben und deren Gewichtung im Schulsystem. Darauf aufbauend lassen sich Anforderungen an die Führungskräfteentwicklung ableiten. Notwendig sind gut abgestimmte, transparente Curricula, die kumulativ Wissen und Kompetenzen aufbauen, Reflexivität fördern und Schulleitungen langfristig motivieren und erfolgreich arbeiten lassen. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten beispielsweise, das selbstwirksames Handeln auszeichnet, wird durch formale Qualifizierung gestärkt. Daher erscheint es naheliegend, ein solides Curriculum zur Professionalisierung von Schulleitungen stärker in den Blick zu nehmen, das konkrete Aufgaben wie Führungshandeln oder Schulentwicklung ebenso umfasst wie die Reflexion der eigenen beruflichen Rolle, die Beschäftigung mit zentralen wissenschaftlichen Befunden oder auch rechtlich-administrativen Fragen. Auf all diese Bereiche wird in der Qualifizierung von Lehrkräften, aus welchen Schulleitungen hervorgehen, bislang zu wenig oder nicht Bezug genommen.

Redaktion: Gibt es internationale Beispiele oder Ansätze, von denen Deutschland lernen kann, wenn es darum geht, Schulleitungen strategisch und wirksam auf ihre Rolle vorzubereiten und zu begleiten?

Cramer: Ein Blick ins deutschsprachige Ausland zeigt, dass etwa in der Schweiz Schulleitungen konsequent an Pädagogischen Hochschulen professionalisiert werden, häufig mit zertifizierten Programmen und wissenschaftlicher Fundierung. In Deutschland hingegen erfolgt die Qualifizierung meist durch erfahrene Lehrpersonen oder externe Trainerinnen und Trainer, wissenschaftliche Orientierung spielt oft eine untergeordnete Rolle. Damit wird der bestehende Erfahrungshorizont und damit auch der Handlungsspielraum durch Impulse von außen erweitert und erfolgreiches Führungshandeln wahrscheinlicher. Ein zentraler Schlüssel liegt daher in der stärker evidenzbasierten Professionalisierung, die nicht nur empirische Befunde, sondern auch theoretische Grundlagen einbezieht, um schulische Sachverhalte reflektiert analysieren zu können. 

International betrachtet ist die deutsche Qualifizierung von Schulleitungen nach wie vor rudimentär, unstrukturiert und wenig wissenschaftsorientiert. Studiengänge, die angehende und im Dienst befindliche Schulleitungen systematisch mit wissenschaftlichem Wissen vertraut machen, spielen für den Zugang zu einer Schulleitungsposition bislang nur eine untergeordnete Rolle. Dies verdeutlicht den bestehenden Professionalisierungsbedarf in Deutschland.

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Redaktion: Herr Professor Cramer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Prof. Dr. Colin Cramer hat die Stiftungsprofessur für Erziehungswissenschaft an der Universität Konstanz und an der Pädagogischen Hochschule Thurgau inne. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Professionsforschung, Lehrkräftebildung und Educational Leadership.