Gute Kitas: Warum Deutschland ein Qualitätsmonitoring braucht
Damit Kinder von früher Bildung profitieren, setzt sich Prof. Dr. Stefan Faas dafür ein, die Qualität von deutschen Kitas länderübergreifend zu erfassen und zu überprüfen.
Die frühkindliche Bildung in Kindertageseinrichtungen ist ein wichtiger Garant für den späteren Bildungserfolg. Doch trotz der Einführung von Bildungsplänen läuft im Bereich der frühen Bildung nicht alles rund. Prof. Dr. Stefan Faas von der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd erklärt, warum Deutschland ein Qualitätsmonitoring braucht, damit Bildungspläne wirksam werden.
Redaktion: Herr Professor Faas, Ihre Forschung richtet den Blick auf Einrichtungen, die Kinder vor dem Schuleintritt besuchen. Welche Rolle spielt die frühkindliche Bildung für die Anschlussfähigkeit an das schulische Lernen und den späteren Bildungserfolg?
Prof. Dr. Stefan Faas: Es ist hinlänglich bekannt, dass Kindertageseinrichtungen wichtige Bildungsinstanzen sind. Sie bereiten Kinder auf Basis einer breiten Persönlichkeitsbildung auf das spätere schulische Lernen vor und beeinflussen den Bildungserfolg nachhaltig. Diese Einordnung ist mittlerweile auch empirisch gut belegt, ebenso die Erkenntnis, dass dabei die realisierte Qualität pädagogischer Prozesse eine entscheidende Rolle spielt.
Redaktion: Sie forschen unter anderem zur Qualität von Kindertageseinrichtungen. Woran lässt sich eine gute pädagogische Qualität von Kitas erkennen?
Faas: Eine gute pädagogische Qualität weisen Kitas dann auf, wenn die Kinder kognitiv, sprachlich, sozial-emotional und körperlich umfassend gefördert werden und das pädagogische Angebot ihrem Wohlbefinden und ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Bildung dient. Das bedeutet allerdings nicht, dass in Kitas ein vorverlegter Grundschulunterricht stattfindet, sondern dass alltägliche Lerngelegenheiten und Spielsituationen genutzt werden, um Kinder zu fördern und ihnen vielfältige Lernerfahrungen zu ermöglichen. Nicht zuletzt müssen auch die Familien in ihrer Erziehungs- und Bildungsverantwortung unterstützt werden, beispielsweise durch entsprechende Beratungsleistungen und Angebote der Familienbildung.
Redaktion: Auf der Grundlage des „Gemeinsamen Rahmens der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen" aus dem Jahr 2004 haben inzwischen alle Bundesländer Bildungspläne für den Elementarbereich erstellt. Wie können diese dazu beitragen, eine qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung sicherzustellen?
Faas: Bildungspläne oder Orientierungspläne, wie sie in manchen Ländern genannt werden, formulieren Ziele bezüglich des kindlichen Kompetenzerwerbs und zuweilen auch für das Handeln der pädagogischen Fachkräfte. Von den Bildungsplänen im Elementarbereich soll ein Steuerungsimpuls für mehr Qualität in der öffentlichen Kindertagesbetreuung ausgehen, insbesondere hinsichtlich der Anschlussfähigkeit frühkindlicher Bildung an das schulische Lernen. Dabei geht es ein Stück weit auch darum, die pädagogische Arbeit vor Ort verbindlicher zu gestalten.
Das betrifft auch Beratungs- und Familienbildungsangebote. Die Forschung hat gezeigt, dass Kinder aus bildungsbenachteiligten Familien davon profitieren, wenn sie in allen Lernumgebungen entwicklungsförderliche Interaktionsmerkmale und Anregungen vorfinden, das heißt auch im Familiensetting. Daher sollen sich auch Familienbildungsangebote am jeweiligen Bildungsplan orientieren.
Vortrag von Prof. Dr. Stefan Faas an der Universität Tübingen
Am 14. Mai 2024 hält Prof. Dr. Stefan Faas im Rahmen des Studiums Generale einen Vortrag zum Thema „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Bildungspläne, Fachkräftemangel und pädagogische Qualität im Elementarbereich“. Das LEAD Graduate School & Research Network organisiert im Sommersemester 2024 jeden Dienstag um 18.15 Uhr einen Vortrag, in dem Forschende ihre Erkenntnisse zur titelgebenden Fragestellung „Bildungskatastrophe: Von der Diagnose zur Lösung“ teilen. Die Vorträge sind kostenlos. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Redaktion: Im Titel Ihres Vortrages an der Uni Tübingen machen Sie bereits auf eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit aufmerksam. Wie bewerten Sie die Umsetzung von Bildungsplänen in der Praxis im Vergleich zu ihren theoretischen Ansprüchen?
Faas: Ich denke, dass wir bis heute nicht von einer umfassenden Implementierung der Bildungspläne in die pädagogische Praxis ausgehen können, geschweige denn von einer nachhaltigen Steuerung der pädagogischen Qualität durch diese. Hierfür sprechen verschiedene Studien, die für Deutschland gegenwärtig im Durchschnitt nur eine mittelmäßige Qualität der Anregungsprozesse in Kindertageseinrichtungen ausweisen. Insbesondere im Bereich der domänenspezifischen Bildung und Förderung müssen wir von eher unzureichenden Qualitätswerten ausgehen, obwohl diese für den Übergang in die Schule von besonderer Bedeutung sind. Allerdings sage ich dies mit einer gewissen Vorsicht, da wir für diesen Bereich aktuell keine ausreichende Datenbasis haben.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, inwiefern Bildungspläne pädagogische Prozesse überhaupt effektiv und nachhaltig weiterentwickeln können. Es wird nicht ausreichen, an einer Stellschraube zu drehen, ohne ein Gesamtkonzept zu verfolgen. National wie international wird daher die Einführung und Implementierung von Qualitätsmonitoringsystemen diskutiert, die evidenzbasiert Handlungsbedarfe aufzeigen könnten. Auch in Deutschland fehlt ein bundesweites Monitoring pädagogischer Prozesse in Kindertageseinrichtungen, das aus meiner Sicht dringend notwendig ist.
Redaktion: Wie könnten Qualitätsstandards deutschlandweit erfasst und in ein Monitoring überführt werden?
Faas: In einem föderalen System ist dies natürlich herausfordernd. Deutschland müsste sich länderübergreifend auf gemeinsame Qualitätsstandards und daran anknüpfend auf ein einheitliches Erfassungsinstrument verständigen. Hinzu kommt, dass in der Kindertagesbetreuung – anders als im Schulbereich – auch die freien Träger bei solchen Fragen zu beteiligen sind. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass ein solches Monitoring mit etwas gutem Willen möglich wäre. Pädagogisch-konzeptionell knüpfen alle Bildungspläne an den von der Kultus- und Jugendministerkonferenz abgestimmten „Gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen“ an. Auch inhaltlich werden ähnliche Kernbereiche wie zum Beispiel die sprachliche, kognitive oder sozial-emotionale Förderung ausgewiesen. Für solche Kernbereiche lassen sich forschungsbezogen Kriterien guter Prozessqualität ableiten , die dann auch eine Messung pädagogischer Qualität erlauben würden. Dennoch gibt es vor allem rechtliche, finanzielle und zuständigkeitsbezogene Hürden. Was notwendig wäre, um ein bundesweites Prozessmonitoring in Kindertageseinrichtungen einzuführen, untersuchen wir aktuell im Rahmen einer Machbarkeitsstudie.
„Aus meiner Sicht ist es ein Trugschluss, aus den Problemen der Fachkräftegewinnung abzuleiten, dass gute Qualität nicht möglich sei.“
Prof. Dr. Stefan Faas
Redaktion: Lässt sich eine hochwertige pädagogische Qualität aufgrund des Fachkräftemangels derzeit überhaupt umsetzen? Welche Investitionen in die Qualitätsentwicklung von Kitas wären Ansatzpunkte, um auch die Arbeitsbedingungen von Fachkräften zu verbessern?
Faas: Aus meiner Sicht ist es ein Trugschluss zu glauben, dass gute Qualität nicht möglich sei, nur weil es gegenwärtig nicht gelingt, genügend Fachkräfte zu gewinnen. Vielmehr gilt, dass gute Qualität auch mit höheren Selbstwirksamkeitserfahrungen und einer höheren Zufriedenheit von Fachkräften im Beruf einhergeht und so zumindest der Fachkräftebindung zuträglich ist. Außerdem können konkrete Qualitätskriterien gerade dann Orientierung geben, wenn Menschen ohne einschlägige Berufsausbildung im Feld tätig sind. Aus Studien in Großbritannien wissen wir, dass der Einsatz von Ergänzungskräften bei einer guten Anleitung nicht zwingend zu einer Minderung der Prozessqualität führt. Es gilt daher, entsprechende Konzepte zur professionellen Unterstützung und Anleitung zu entwickeln und umzusetzen.
Redaktion: Wie begegnen Sie den Sorgen von Eltern, die in den Bildungsplänen für den Elementarbereich Lehrpläne und eine vorgezogene Grundschule sehen?
Faas: Wir müssen Eltern erklären, was Bildungspläne für den Elementarbereich bedeuten. Zwar weisen Bildungspläne einzelne Bildungsbereiche aus, verstehen diese aber nicht als Fächer, die isoliert erarbeitet werden. Stattdessen werden diese als miteinander verknüpfte Bildungs- und Entwicklungsfelder wahrgenommen. Pädagogische Angebote in Kindertageseinrichtungen sollten sich daher darum bemühen, die kindliche Eigenaktivität im Kontext von Weltaneignung und Sinnkonstruktion zu fördern. In Kindertageseinrichtungen sollten Kinder in vielfältiger Weise zum Denken und Nachfragen angeregt werden. Das Spielen, Konstruieren und die Bewältigung von Alltagsroutinen beinhalten viele Möglichkeiten, um mit Kindern über logische Abfolgen oder die Bedeutung von Begriffen und ihre Verknüpfung mit der kindlichen Erfahrungswelt zu sprechen. Solche Situationen müssen beobachtet, eingeordnet und dann systematisch in einem größeren Förderzusammenhang genutzt werden. Denn Lernprozesse vollziehen sich grundsätzlich in konkreten sozialen Situationen, und diese sollten von außen angeregt werden. Diese pädagogische Grundausrichtung lässt sich auch mit der aktuellen Forschungslage begründen. Verschiedene Studien zeigen, dass ein lehrgangsorientiertes, schulvorbereitendes Angebot nur wenig effektiv ist. Als wesentlich erfolgreicher erweisen sich pädagogische Ansätze, die gleichzeitig die Beziehungsgestaltung betonen und auf entsprechenden Orientierungen gründen.
Redaktion: Welche Ansätze aus anderen Ländern könnten für den Elementarbereich in Deutschland wegweisend sein?
Faas: In Ländern wie Großbritannien, Portugal oder Finnland werden pädagogische Leitlinien bereits mit Ansätzen einer Evaluation beziehungsweise eines Qualitätsmonitorings gekoppelt. Dies scheint mir ein wichtiger Schritt zu sein, damit Bildungspläne auch wirklich umgesetzt und als Steuerungsmittel genutzt werden können. Darüber hinaus würde dieser Ansatz den Bereich in seiner Bildungsfunktion aufwerten. Nicht zuletzt sollten wir uns im Kontext des Fachkräftemangels und der damit einhergehenden Öffnung von Fachkraftkatalogen internationale Beispiele zunutze machen, die innerhalb eines Kita-Teams eine stärkere Aufgabendifferenzierung vornehmen, sprich Rollenprofile für unterschiedliche Tätigkeiten innerhalb der Kita entwickelt haben.
Redaktion: Herr Professor Faas, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Zur Person
Prof. Dr. Stefan Faas ist Professor für Sozialpädagogik und ihre Didaktik mit den Arbeitsschwerpunkten Qualität in der frühkindlichen Erziehung und Bildung, Professions- und Evaluationsforschung sowie Transformationsforschung an der PH Schwäbisch Gmünd.