Im Ausland ausgebildete Lehrkräfte besser in das deutsche Schulsystem integrieren
Interview mit Frau Dr. Wojciechowicz, Projektleiterin des Refugee Teachers Program an der Uni Potsdam, über die Frage der Qualifizierung von im Ausland ausgebildeten Lehrkräften bzw. den damit in Zusammenhang stehenden Hürden im deutschen Schulsystem
Wir befragten Frau Dr. Wojciechowicz, Projektleiterin des Refugee Teachers Program an der Uni Potsdam, zu der Frage der Integration von im Ausland ausgebildeten Lehrkräften in das deutsche Schulsystem bzw. den damit in Zusammenhang stehenden Hürden.
Redaktion: Frau Dr. Wojciechowicz, worum geht es in ihrem Projekt?
Dr. Anna Aleksandra Wojciechowicz: Unsere Qualifizierung für international ausgebildete Lehrkräfte (Anm. d. Red.: Refugee Teachers Program am Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung der Universität Potsdam) bieten wir seit 2016 an. Damals waren wir die einzige Universität, die mit einem strukturierten Programm einen komplett neuen Zugangsweg für in anderen Ländern qualifizierte und berufserfahrene Lehrkräfte ermöglicht hat. Mittlerweile haben auch andere Hochschulen ihre Türen für diese Gruppe von Lehrkräften geöffnet. In unserem Projekt geht es im Kern darum, migrierten und geflüchteten Lehrkräften den Zugang in den Brandenburger Schuldienst zu erleichtern. Dazu bespielen wir unterschiedliche Felder. Das Herzstück bilden dabei die vielfältigen Bildungsangebote.
Redaktion: Wie gelingt es Ihnen, bestmöglich auf den Schuldienst vorzubereiten?
Wojciechowicz: Zunächst einmal vertiefen die Lehrkräfte vier Semester lang ihre Kenntnisse in der deutschen Sprache, studieren ein zweites Fach und festigen ihr pädagogisches Wissen. Unser Konzept sieht zudem vor, dass die Lehrkräfte regelmäßig an Schulen sind, sich mit deren Organisation befassen, im Unterricht hospitieren, aber auch ersten eigenen Unterricht übernehmen. Eine engmaschige Beratung und Betreuung während der Teilnahme an der Qualifizierung und darüber hinaus rundet das Programm ab. Die Entwicklung dieses gut durchdachten Konzepts war nur möglich, weil wir über die Jahre vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur gefördert werden.
Nach einem erfolgreichen Abschluss der Qualifizierung ist es wichtig, den Lehrkräften eine Anschlussperspektive anzubieten. In Abstimmung mit den Brandenburger Ministerien wurde daher ein bezahltes Praktikum an der Schule ermöglicht. Danach gehen sie in einen sogenannten Anpassungslehrgang. Diese Bezeichnung finde ich nicht zutreffend, weil ihr ein Verständnis zu Grunde liegt, die internationalen Lehrkräfte seien mit dem, was sie mitbringen, nicht passend ausgebildet und müssten erst die richtigen professionellen Standards erlernen. Im Anpassungslehrgang unterrichten die Lehrkräfte in ihren beiden Fächern unter Begleitung und besuchen zusammen mit Referendarinnen und Referendaren weitere Seminare. Die Dauer des Anpassungslehrgangs variiert zwischen sechs Monaten und drei Jahren, je nach der individuellen Vorqualifikation. Nach Abschluss aller Qualifizierungsbausteine sind die Lehrkräfte mit den in Deutschland ausgebildeten Lehrkräften gleichgestellt. Wir merken an dieser Stelle, dass es einen langen Atem braucht, um diesen Weg in den Schuldienst zu gehen. Über die Frage, wie die Lehrkräfte in dieser Zeit ihren Lebensunterhalt sichern sollen, haben wir noch gar nicht gesprochen.
Redaktion: Welches Potenzial steckt Ihrer Meinung nach in der Gruppe zugewanderter Lehrkräfte?
Wojciechowicz: Eine solche Frage klingt oft so, als müssten die aus anderen Ländern zugewanderten Lehrkräfte etwas Besonderes mitbringen. Nicht selten werde ich auch gefragt, ob international ausgebildete Lehrkräfte eine Lösung für den Lehrkräftemangel sein können. Das verneine ich. Bundesweit werden tausende zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer gebraucht. Zwar ist davon auszugehen, dass die vielen neu eingerichteten Qualifizierungsprogramme mehr internationalen Lehrkräften als in der Vergangenheit in den Schuldienst verhelfen, aber quantitativ gesehen handelt es sich noch um eine überschaubare Gruppe. Die Personalprobleme der Schulen können sie daher nicht lösen, wohl aber für Entlastung für die eine oder andere Schule sorgen. Schätzungen einer GEW-Studie zufolge gehen uns 2.000 internationale Lehrkräfte jährlich verloren.
„Schätzungen einer GEW-Studie zufolge gehen uns 2.000 internationale Lehrkräfte jährlich verloren.“
Dr. Anna Aleksandra Wojciechowicz
Bei unserem Projekt geht es eher darum, und das betone ich nur allzu gern, dass es eine europäische Vorgabe ist, Bildungsabschlüsse und somit auch Lehramtsabschlüsse innerhalb der EU anzuerkennen. Diese Vorgabe impliziert, dass Bildungs- und Berufsbiografien durch Migration gekennzeichnet sein können. Deshalb müssen sich unsere Bildungsinstitutionen mit der Frage auseinandersetzen, an welcher Stelle wir internationale Lehrkräfte ausschließen, und sie müssen einen Weg finden, entsprechende Veränderungen im System anzustoßen. Dass Deutschland eine Migrationsgesellschaft ist, ist in der Breite noch nicht angekommen.
Redaktion: Was bedeutet das für unsere Schulen?
Wojciechowicz: Nicht nur unsere Schulen, sondern auch die Lehrkräftebildung muss sich inklusiv ausrichten. Eine verstärkte inklusive Ausrichtung würde die Qualität unserer Bildungsinstitutionen verändern. Wir reden seit Jahren darüber, wie sich Schulen auf Migration einstellen können. Internationale Lehrkräfte sind in Schulen sozialisiert, die in der Regel anders organisiert sind, und diese Schulen sind häufig besser als wir denken. Anregende Lern- und Schulkonzepte finden wir nicht nur in Skandinavien, sondern auch in Syrien und in der Türkei. Die Wissensbestände und Erfahrungen internationaler Lehrkräfte könnten frischen Wind in die Schulen bringen: Andere Perspektiven bringen die große Chance mit sich, auf das Eigene genauer hinzuschauen, zu den eigenen Gewohnheiten in Distanz zu gehen und das eigene Handeln weiterzuentwickeln.
„Anregende Lern- und Schulkonzepte finden wir nicht nur in Skandinavien, sondern auch in Syrien und in der Türkei. Die Wissensbestände und Erfahrungen internationaler Lehrkräfte könnten frischen Wind in die Schulen bringen.“
Dr. Anna Aleksandra Wojciechowicz
Positive Impulse für eine Öffnung der Schulen in Richtung Migrationsgesellschaft sehe ich weiter in den mehrsprachigen Biografien dieser Lehrkräfte, sodass die Frage aufkommt, was wir gewinnen, wenn wir das Spektrum der Fremdsprachen erweitern und Schulangebote beispielsweise auf Arabisch, Türkisch, Ukrainisch anbieten. Viele Fächer wie Geschichte, Deutsch, Kunst, Musik könnten von internationalen Lehrkräften sicherlich profitieren, indem ihre Perspektiven auf historische und gesellschaftliche Ereignisse und Literatur adressiert werden und somit globale Betrachtungen möglich werden. Das würde auch der Lebensrealität der Lernenden entsprechen, die global und divers ist. Stärken könnten wir zudem die Zusammenarbeit im Tandem, der intensiven Austausch zwischen den Lehrkräften voraussetzt. Schülerinnen und Schülern würde hierbei zugutekommen, dass der Unterricht nicht mehr von den Vorlieben einer einzigen Lehrperson für bestimmte Methoden, Zugänge, Ausdrucksweise oder Sympathien abhängig wäre.
Redaktion: Warum bleibt vielen eingewanderten Lehrkräften der Zugang zum Lehrerberuf in Deutschland versperrt? Welche Faktoren spielen hier eine Rolle?
Wojciechowicz: Auf dem langwierigen Weg in den Schuldienst stoßen die Lehrkräfte auf hohe und vielfältige Hürden. Teilweise sind die Hürden auch unüberwindbar. Die erste Hürde ist die Anerkennung der beruflichen Lehramtsqualifikation. Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland gehören zu den reglementierten Berufen. Die Feststellung der Gleichwertigkeit ist zwingende Voraussetzung dafür, dass die Lehrkräfte den Lehrerberuf ausüben dürfen. Geprüft wird, inwieweit der ausländische gegenüber dem deutschen Abschluss „wesentliche Unterschiede“ aufweist. Ist dies der Fall, müssen Nachqualifizierungen erfolgen, um die Anerkennung zu bekommen. Die Zahlen einer GEW-Studie zeigen, wie problematisch die Anerkennung verläuft: Nur elf Prozent der Lehrkräfte erhalten die volle Anerkennung ihrer Qualifikation. Mit fast 70 Prozent wird in den meisten Fällen eine Teilanerkennung attestiert, weshalb sich die Lehrkräfte nachqualifizieren müssen. Dieser defizitäre Blick entsteht in der Regel dadurch, dass den Lehrkräften das zweite Fach fehlt. Während in anderen Ländern Lehrkräfte in einem Unterrichtsfach ausgebildet werden, verlangt Deutschland zwei Fächer. Gemessen an diesem Standard ist die ausländische Lehramtsqualifikation weniger wert.
„Nur elf Prozent der Lehrkräfte erhalten die volle Anerkennung ihrer Qualifikation.“
Dr. Anna Aleksandra Wojciechowicz
Eine weitere bzw. wohl eine der bedeutsamsten strukturellen Hürden ist der Mangel an Nachqualifizierungsangeboten, mit denen die angesprochenen Unterschiede in den Qualifikationen ausgeglichen werden können. Auf diese Angebote sind die 70 Prozent der Lehrkräfte jedoch angewiesen. Bis auf wenige Standorte in Deutschland gibt es kaum Bildungsangebote, die inhaltlich auf mitgebrachten Qualifikationen aufbauen und die Erfahrungen des bisherigen Berufslebens einbeziehen sowie so aufgearbeitet sind, dass sie die besonderen Lebenslagen von zugewanderten und geflüchteten Erwachsenen berücksichtigen.
Eine weitere Hürde ist, dass ein C2-Nachweis für die Einstellung als Lehrkraft verlangt wird, also Deutsch auf akademischem Niveau. Das ist nachvollziehbar, da Lehrkräfte mit Lernenden arbeiten. Die Kommunikation ist von zentraler Bedeutung. Zugleich handelt es sich dabei jedoch um strukturelle Hürden, über die wir sprechen müssen: Wenn es weit und breit keinen Deutschkurs gibt, der berufsspezifisch ausgerichtet ist und darüber hinaus auch berücksichtigt, dass ich beispielsweise ein Fachvokabular für den Physik- und Chemieunterricht benötige, dann kommen wir nicht weiter. Die Anwesenheit in der Schule allein führt die Lehrkräfte nicht automatisch zu den benötigten Sprachkompetenzen. Vielmehr bedarf es hier in der Regel einiger Jahre und qualifizierter Begleitung, um eine Sprache auf dem höchsten Niveau zu sprechen.
„Wenn es weit und breit keinen Deutschkurs gibt, der berufsspezifisch ausgerichtet ist und darüber hinaus auch berücksichtigt, dass ich beispielsweise ein Fachvokabular für den Physik- und Chemieunterricht benötige, dann kommen wir nicht weiter.“
Dr. Anna Aleksandra Wojciechowicz
Redaktion: Wie ist die Situation dieser Gruppe von Lehrkräften im Vergleich mit der Situation von Seiten- oder Quereinsteigenden, die in Deutschland studiert haben?
Wojciechowicz: Spannende Frage. Internationale Lehrkräfte sind auf Hochschulniveau ausgebildete Lehrkräfte. Sie möchten an der Schule arbeiten, weil sie das schon in den letzten Jahren zuvor gemacht haben und wollen sich nicht umorientieren, wie es bei Seiteneinsteigenden der Fall ist. Sie wollen ‚zurück‘ ins Klassenzimmer und weisen ein klares professionelles Selbstverständnis als Lehrkräfte auf. Allerdings sind sie in einem anderen nationalstaatlichen Bildungssystem groß geworden. Ihnen fehlt es an Erfahrungswissen über das hiesige Schulsystem sowie das nötige Fachvokabular für die Unterrichtspraxis. Der Weg für Seiteneinsteigende ist ein anderer. Sie werden direkt als Lehrpersonen in den Schuldienst eingestellt und qualifizieren sich, während sie schon an Schulen arbeiten. Das hat einen besonderen Charme, da die Qualifizierung in einem engen Praxis-Theorie-Verhältnis verläuft.
Für internationale Lehrkräfte ist der Seiteneinstieg im Land Brandenburg theoretisch offen, allerdings wird bei der Einstellung Deutsch auf dem Niveau C2 geprüft. Das ist eine sehr hohe Hürde. Bei migrierten und insbesondere geflüchteten Lehrkräften kommen die besonderen Lebensverhältnisse erschwerend hinzu. Sie fangen bei null an. Sie müssen nicht nur eine neue Sprache lernen, sondern sich in einer ungewohnten Umgebung zurechtfinden und ein neues freundschaftliches und berufliches Netz aufbauen. Inwieweit sich internationale Lehrkräfte von Seiteneinsteigenden in ihrem Professionsverständnis oder in der Gestaltung ihrer Unterrichtspraxis unterscheiden, bleibt eine Frage für die Forschung. Wir wissen jedoch, dass internationale Lehrkräfte – wie Seiteneinsteigende– keine homogene Gruppe sind.
Redaktion: Wie könnten die hier relevanten Anerkennungsprozesse beschleunigt werden?
Wojciechowicz: Bei einigen internationalen Lehrkräften aus unserem Programm dauerte der Prozess von der Einreichung der notwendigen Dokumente für die Anerkennung bis zur Aufnahme einer Arbeit als reguläre Lehrkraft bis zu sieben Jahre. Das ist ein verrückt langer Zeitraum, der die Lehrkräfte zum Verzweifeln bringt. Es ist daher verständlich, wenn einige vorher aussteigen. Der Anerkennungsprozess ist vielschichtig, weshalb wir an vielen Stellen gleichzeitig ansetzen müssen. Angefangen bei der personellen Aufstockung in den Anerkennungsstellen, damit die Anträge schneller bearbeitet werden können, über die Abschaffung des Erfordernisses von zwei Fächern für die Anerkennung bis hin zum Ausbau von zielgruppenspezifischen Angeboten für diese Lehrkräfte. Ich denke, wir brauchen einen Perspektivwechsel. Für internationale Lehrkräfte sollte es möglich sein, schnellstmöglich mit dem Unterrichten, auch mit einem Fach, loszulegen.
Redaktion: Welche Maßnahmen schlagen Sie darüber hinaus vor, um den Zugang der aus anderen Ländern zugewanderten Lehrkräfte zum Lehrkräfte-Stellenmarkt in Deutschland zu vereinfachen?
Wojciechowicz: Wichtig finde ich, sich vor Augen zu halten, dass die internationalen Lehrkräfte dauerhaft in Deutschland bleiben und sich nichts sehnlicher wünschen als sich mit einer wertvollen Aufgabe in die Gesellschaft einzubringen und - verständlicherweise - an ihre Berufsbiografie anzuschließen.
„Wichtig finde ich, sich vor Augen zu halten, dass die internationalen Lehrkräfte dauerhaft in Deutschland bleiben und sich nichts sehnlicher wünschen als sich mit einer wertvollen Aufgabe in die Gesellschaft einzubringen und – verständlicherweise - an ihre Berufsbiografie anzuschließen.“
Dr. Anna Aleksandra Wojciechowicz
Spezielle Beratungsleistungen zur besseren Orientierung wären eine tolle Sache, denn jede zugewanderte Lehrkraft müsste Unterstützung und eine Ansprechperson bekommen. Sie kennen unser Bildungs- und Berufssystem noch nicht, und die unübersichtlichen Wege in den Schuldienst müssen verständlich kommuniziert werden. Ganz wichtig ist, dass die Lehrkräfte systematisch durch spezielle berufsbegleitende Deutschkurse unterstützt werden, sobald sie in den Schuldienst einsteigen. Wir müssen verstehen, dass ein ‚perfektes Deutsch‘ nicht über Nacht zu erwarten ist, sondern dass das ein Prozess ist, der harte Arbeit erfordert und sich über mehrere Jahre erstrecken kann. So wie Seiteneinsteigende für Fortbildungen zur Aneignung pädagogischer Inhalte freigestellt werden, so müssen Sprachkurse als ein Teil der Professionalisierung von internationalen Lehrkräften anerkannt werden, für die sie eine Freistellung bekommen. Weiter halte ich für wichtig, dass die Schulleitung wertschätzend internationalen Lehrkräften begegnet, denn das wirkt sich meist auch positiv auf das Kollegium und das Arbeitsklima aus.
Wir wissen noch sehr wenig über Berufsbiografien von internationalen Lehrkräften, deren Professionalisierungsprozesse im Herkunftsland sowie nach der Ankunft in Deutschland. Daher brauchen wir weitere Studien, um Rückschlüsse ziehen zu können, welche Maßnahmen es braucht und wie die Maßnahmen noch besser gestaltet werden können, um nicht nur den Zugang zum Schuldienst für diese Gruppe von Lehrkräften zu sichern, sondern sie auch an die Schulen zu binden.
Redaktion: Frau Doktorin Wojciechowicz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Zur Person
Dr. Anna Aleksandra Wojciechowicz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung der Universität Potsdam. In ihrer Arbeit befasst sie sich mit der (Lehrer/-innen-)Bildung in der Migrationsgesellschaft.