Intelligente Tutorensysteme – was sie für die Zukunft des Lernens bedeuten

Im Unterschied zu ChatGPT und Co. bieten Intelligente Tutorensysteme personalisierte und adaptive Lernunterstützung

Intelligente Tutorensysteme versprechen personalisiertes Lernen auf Knopfdruck – mit automatischem Feedback, individueller Anpassung und Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit. Doch noch sind sie selten im Schulalltag zu finden. Was macht diese Systeme so besonders? Wo liegen Chancen, wo Risiken? Julia Schmidt-Peterson und Dr. Katharina Wendebourg erklären, was Intelligente Tutorielle Systeme in Zeiten von generativer KI für die Zukunft des Lernens bedeuten könnten.

Redaktion: Frau Schmidt-Peterson, Frau Dr. Wendebourg, Sie forschen zu Intelligenten Tutoriellen Systemen. Worum handelt es sich dabei?

Julia Schmidt-Peterson: Intelligente digitale Tutorensysteme (ITS) sind computergestützte Programme, die Künstliche Intelligenz nutzen, um eine personalisierte und adaptive Lernunterstützung zu geben. Sie analysieren die Lernfortschritte der Schülerinnen und Schüler in Echtzeit und passen die Inhalte und Methoden entsprechend so an, dass sie die Schülerinnen und Schüler bestmöglich fördern und fordern. 

Redaktion: Was unterscheidet generative Systeme wie ChatGPT, die inzwischen selbst einen Study-Modus anbieten, von Intelligenten Tutoriellen Systemen?

Dr. Katharina Wendebourg: Intelligente digitale Tutorensysteme basieren auf sogenannten Learner Models, die Wissen und Fortschritt einzelner Lernender erfassen und gezielt darauf reagieren, etwa durch passende Aufgaben oder Hilfen. Inzwischen können auch Systeme wie ChatGPT im Study Modus gezielt fördern - zum Beispiel durch Nachfragen – sie arbeiten jedoch generisch und themenoffen, während ITS didaktisch geplant sind: Sie verfolgen konkrete Lernziele mit kuratierten Inhalten. All das gilt für den aktuellen Stand – gerade in diesem Bereich entwickelt sich die Technologie jedoch rasant. Die Grenzen könnten sich in Zukunft deutlich verschieben. 

Redaktion: Was bedeutet dieses Potential konkret für Schülerinnen und Schüler?

Schmidt-Peterson: Intelligente Tutorensysteme werden häufig während individueller Lernzeiten, also zum Beispiel bei den Hausaufgaben, eingesetzt, wenn Lernende typischerweise allein arbeiten und kein Feedback erhalten. Ihr großes Potential liegt darin, dass sie die Interaktion mit einem menschlichen Tutor quasi imitieren und somit direkt auf die individuellen Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler eingehen können - was bei den Hausaufgaben und im Unterricht von Klassen mit oft über 30 Schülerinnen und Schülern häufig nicht möglich ist. Dabei fördern sie selbstständiges Lernen und helfen, Lernlücken effizient zu schließen und dabei bestenfalls die motivationale Seite nicht aus dem Blick zu verlieren. 

Redaktion: Inwieweit verändert sich die Rolle von Lehrkräften durch solche Systeme?

Schmidt-Peterson: Lehrkräfte werden entlastet, da das System den Schülerinnen und Schülern adaptives, individuelles Feedback gibt, etwas, das bei vielen Lernenden schwer allein zu leisten ist. So bleibt mehr Zeit für andere Lernaktivitäten, etwa das Erklären schwieriger Inhalte. Zudem ermöglicht ein aktueller Überblick über den Lernstand evidenzbasierte Entscheidungen. Wichtig ist: Intelligente Tutorensysteme unterstützen, doch pädagogische Expertise bleibt Aufgabe der Lehrkräfte.

Redaktion: Welche Risiken gibt es bei der Nutzung dieser Systeme und wie kann sichergestellt werden, dass alle Schülerinnen und Schüler profitieren?

Schmidt-Peterson: Ein zentrales Risiko besteht darin, dass ITS bestehende Ungleichheiten verstärken können, etwa dann, wenn nicht alle Lernenden über die nötige technische Ausstattung oder eine stabile Internetverbindung verfügen. Um dem entgegenzuwirken, müssen Schulen sicherstellen, dass alle Lernenden Zugang zu geeigneten Geräten und digitalen Lernumgebungen haben. 

Darüber hinaus bergen auch die Systeme selbst Herausforderungen: Ihre adaptive Logik kann – gewollt oder ungewollt – diskriminierend wirken, etwa wenn sie Bedarfe in seltenen Fällen nicht zuverlässig erkennen oder Lernende auf Basis fehlerhafter Einschätzungen in falsche Lernpfade lenken. Zudem setzen viele ITS gewisse Strategien des selbstregulierten Lernens voraus, was nicht bei allen Schülerinnen und Schülern gleichermaßen ausgeprägt ist. Damit wirklich alle von diesen Systemen profitieren, müssen sie nicht nur technisch zugänglich, sondern auch didaktisch inklusiv und adaptiv sensibel gestaltet sein und von einer pädagogischen Fachkraft begleitet werden. 

Redaktion: Welche Grenzen sehen Sie bei Intelligenten Tutoriellen Systemen im Vergleich zu menschlichen Lehrkräften?

Wendebourg: Intelligente Tutorielle Systeme stoßen an Grenzen, wenn es um soziale und emotionale Aspekte des Lernens geht. Sie fördern keine soziale Interaktion und Kommunikation, die gerade im Sprachunterricht von großer Bedeutung sind. Kreative und umfassendere Aufgabenstellungen, die komplexes Denken und flexible Problemlösung erfordern, können solche Systeme nur eingeschränkt abbilden. Zudem fehlt ihnen die Fähigkeit, emotionale Unterstützung zu bieten oder angemessen auf Enttäuschungen und Frustrationen der Lernenden einzugehen, was im Lernprozess oft entscheidend ist.

Redaktion: In Ihrer Arbeit beschäftigen Sie sich mit einer KI-gestützten Lernumwelt für den Englischunterricht, dem FeedBook. Wie sieht der Einsatz konkret aus? 

Schmidt-Peterson: Das FeedBook ist ein interaktives Werkzeug, das Schülerinnen und Schülern in Echtzeit Feedback zu ihren Antworten gibt. Es zeigt sofort an, ob Aufgaben richtig oder falsch gelöst sind, und bietet Hinweise zur eigenständigen Lösungsfindung. Die Aufgaben werden meist schriftlich auf Tablets oder Computern bearbeitet - künftig sind auch mündliche Aufgaben denkbar. Anders als im normalen Unterricht erfolgt das Feedback hier unmittelbar nach jeder Antwort: mit grünem Haken für die richtige Lösung, mit Verbesserungshinweisen bei Fehlern. Das System passt die Aufgaben adaptiv dem Lernstand an und zeigt den Lernfortschritt in einem Dashboard. Auch Lehrkräfte erhalten so jederzeit einen Überblick über die Leistungen der Klasse. Dieses sofortige, individuelle Feedback ist besonders bei großen Klassen ein großer Vorteil gegenüber herkömmlichem Unterricht.

Redaktion: Gibt es Studien, die eine Verbesserung des Lernerfolgs durch diese Systeme belegen? 

Wendebourg: Tatsächlich zeigen Studien, dass adaptive Lernsysteme die Lernergebnisse verbessern können. Konkret auf das FeedBook bezogen, hat eine Studie von Meurers (2019) herausgefunden, dass Schülerinnen und Schüler, die mit dem Tutorensystem lernten und dabei adaptives, intelligentes Feedback erhielten, um bis zu 50 Prozent bessere Ergebnisse erzielten als Gleichaltrige, die lediglich Feedback zur Richtigkeit ihrer Antworten erhielten.  

Redaktion: Was muss sich an Schulen ändern, damit Intelligente Tutorielle Systeme stärker genutzt werden? 

Wendebourg: Damit Intelligente Tutorielle Systeme Wirkung entfalten, brauchen Schulen eine zuverlässige digitale Infrastruktur, passende Geräte sowie die Verankerung von Technologiekompetenz im Lehrplan. Lehrkräfte sollten durch Zeit, gezielte Fortbildungen und Austauschformate unterstützt werden, während die Systeme selbst didaktisch fundiert, flexibel und inklusiv gestaltet sein müssen. Orientierung bieten zudem einheitliche Qualitätsstandards und Plattformen, die Tools übersichtlich bündeln. Lehrkräften empfehlen wir, verschiedene Systeme zu erproben, sich mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen und Beratungsangebote wie die vom Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg zu nutzen.

Redaktion: Frau Schmidt-Peterson, Dr. Wendebourg, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Julia Schmidt-Peterson ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung. Ihr Hauptinteresse gilt der Motivationsforschung und der ethischen Bewertung von Intelligenten Tutorensystemen. Im Forschungsnetzwerk LEAD ist sie für die Vermittlung von Schulkontakten zuständig. Sie arbeitet als Lehrkraft für Ethik/Philosophie und Sprachen am Gymnasium Neckartenzlingen.

Zur Person

Dr. Katharina Wendebourg war bis Januar 2025 Postdoktorandin am Hector-Institut. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der Motivationsforschung, besonders beim Fremdsprachenlernen. Sie hat an mehreren groß angelegten Schulstudien mit dem Intelligenten Tutorensystem FeedBook mitgewirkt.