„Kindern das mitgeben, was die Zukunft von ihnen fordert” – Ausblick auf die aim-Biko 2023

Tatjana Linke, Geschäftsführerin der aim, über die Bildungskonferenz 2023, den OECD Lernkompass 2030 und den Mut für eine neue Perspektive auf Bildung

Welche Kompetenzen sind in der Zukunft wirklich wichtig und wie lehren und lernen wir sie am besten? Bei der Bildungskonferenz (Biko) der Akademie für innovative Bildung und Management (aim) am 25. März 2023 werden solche Fragen von renommierten Expertinnen und Experten beleuchtet und diskutiert. Im Interview spricht Tatjana Linke, Geschäftsführerin der aim, über den Lernkompass der OECD und eine neue Perspektive auf Bildung.

Redaktion: Frau Linke, die Biko findet in diesem Jahr unter dem Motto „Kompetenzen heute und morgen” statt. Was verbirgt sich dahinter und warum dieser Fokus?

Tatjana Linke: Während der Lockdowns in der Coronapandemie haben wir uns bei der aim intensiv mit unseren Fortbildungsprogrammen auseinandergesetzt und Antworten auf die Frage gesucht: Was brauchen die Akteurinnen und Akteure im Bildungsbereich jetzt und was müssen wir gegebenenfalls ändern? Die Erkenntnisse aus dieser Zeit – dass zum Beispiel Selbstkompetenz und Reflexionsfähigkeit entscheidenden Einfluss darauf hatten, wie gut Schülerinnen und Schüler die Homeschooling-Situation bewältigen konnten – führten zu der Frage: Was lernen wir daraus für die Zukunft? Welche Kompetenzen benötigen Kinder und Jugendliche, um heute und in Zukunft erfolgreich und verantwortungsbewusst zu lernen und zu leben? Und welche Unterstützung brauchen pädagogische Fachkräfte, um gute Bedingungen für Kinder und Jugendliche für ihren Bildungsweg zu schaffen? In diesem Kontext ist die OECD-Studie „Lernkompass 2030“ eine Pflichtlektüre für Einrichtungen wie unsere. Wir haben dort auch Antworten auf Fragen gefunden, die wir uns noch gar nicht gestellt hatten und glauben, dass wir damit nicht alleinstehen. Die Konferenz mit dem Untertitel „Kompetenzen heute und morgen“ soll die unschätzbar wertvollen Erkenntnisse der OECD-Studie für unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer zugänglich und die Möglichkeiten ihrer praktischen Umsetzung sichtbar und erlebbar machen.

Akademie für Innovative Bildung und Management Heilbronn-Franken (aim)

Die Akademie für Innovative Bildung und Management (aim) ist eine gemeinnützige GmbH, die auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse Weiterbildungen und Angebote für Kinder und Jugendliche und diejenigen, die Bildungsprozesse gestalten und unterstützen, entwickelt. Mit ihrem Angebot verfolgt die aim das Ziel, Kinder und Jugendliche auf das Leben heute und morgen bestmöglich vorzubereiten und sie zu einer aktiven Teilhabe an unserer demokratischen Gesellschaft zu befähigen. Drei Themenfelder bilden dabei die Schwerpunkte: Sprachförderung, Unterstützung pädagogischer Qualität in Kindergärten und Schulen sowie Digitalisierung im pädagogischen Bereich.  Die aim wurde 2001 von der Dieter Schwarz Stiftung gegründet und wird seit Beginn von ihr getragen und gefördert. Dadurch können die Angebote der aim für die Teilnehmenden weitgehend kostenfrei angeboten werden. Das Online-Magazin schulmanagement ist unter anderem ein Projekt der aim.

Redaktion: Der Begriff „Kompetenzen” ist nicht nur bei der Biko in aller Munde. Was genau verstehen Sie darunter und warum ist er so wichtig?

Linke: In den Diskussionen über die Anforderungen, die an die Bildung von Kindern und Jugendlichen gestellt werden, ist immer noch oft von Zukunftskompetenzen die Rede. Oft wird darunter allerdings vor allem die Vorbereitung auf die digitale Welt der Zukunft gesehen. Doch es gibt de facto keine Trennung mehr zwischen der analogen und der digitalen Welt. Wir befinden uns bereits jetzt in einer Welt, in der diese sogenannten „Zukunftskompetenzen“ die selbstverständliche Grundlage sind, um ein gelingendes und selbstbestimmtes Leben führen zu können. Gleichzeitig müssen wir weiterdenken und darauf vorbereitet sein, Kindern und Jugendlichen das mitzugeben, was die naturgemäß unsichere Zukunft von ihnen fordert. Ein klares und verlässliches Wertegerüst, Analyse- und Reflexionsfähigkeit sowie die Kompetenz, bereits Gelerntes auf neue Situationen zu übertragen. Haltung und Verantwortungsbewusstsein sind hier entscheidende Stichworte.

„Der Lernkompass sieht Bildung als sehr umfassendes und komplexes Gebilde und argumentiert komplett auf den Erwerb von Kompetenzen hin.“

Tatjana Linke

Redaktion: Sie sprachen bereits den Lernkompass der OECD an, der eine zentrale Rolle bei der Biko spielt. Sie schreiben in der Ankündigung der Biko, er habe die Perspektive auf Bildung „radikal“ verändert. Was genau meinen Sie damit?

Linke: Zuallererst verzichtet der Lernkompass darauf, an die „traditionellen“ Anforderungen an Bildung – so möchte ich es einmal nennen – anzuknüpfen und diese linear weiterzuentwickeln. Bisher ging es hier oftmals nur um die Orientierung am Input: Was gehört in den Lehrplan? Der Lernkompass sieht Bildung dagegen als sehr umfassendes und komplexes Gebilde und argumentiert komplett auf den Erwerb von Kompetenzen hin. Vor allem – und das ist meiner Ansicht nach das Radikale: Seine Perspektive ist output- und ergebnisorientiert. Hier geht es um die Ziele, die erreicht werden sollen. Ihre Berechtigung wird aus den Herausforderungen der realen Welt, wie wir sie heute wahrnehmen, abgeleitet. Dabei ist die ganze Komplexität sichtbar: Vom Basiswissen wie Sprach-, Lese- und Rechenkompetenz über Analyse- und Reflexionsfähigkeit bis zur wertebasierten und verantwortungsbewussten Transformationskompetenz. OECD-Direktor Andreas Schleicher, der die Studie bei der Biko selbst vorstellen wird, kann das viel besser formulieren als ich: „Wissen und Bildung an sich reichen nicht aus, um die Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, zu bewältigen. Wir müssen in der Lage sein, dieses Wissen zur Problemlösung einzusetzen. Das ist das Maß aller Dinge.“

Diese neue Perspektive auf Bildung stellt ja durchaus auch gewisse Anforderungen an die Lehrenden. Welche Herausforderungen sehen Sie auf Lehr- und Fachkräfte zukommen?

Linke: Natürlich leben wir in einer Zeit knapper Finanz- und Personalressourcen. Allerdings hilft die im Lernkompass vertretene Perspektive sehr dabei, ökonomisch und ergebnisorientiert zu fragen: Was brauche ich, um die gesteckten Ziele zu erreichen? Daher denke ich, die größte Herausforderung liegt in der Persönlichkeit und Haltung der Lehrkräfte selbst. Es kommt auf Mut, Selbstvertrauen und die Bereitschaft an, auch gewohnte Strukturen und Muster aufzubrechen und zu verändern. Es braucht eine gewisse Offenheit, eine realistische Vorstellung der heutigen Welt und den Willen, die Kinder auf diese vorzubereiten. Dann ist der veränderte Blick auf Bildung und das, was er für die Schulen bedeutet, nichts, vor dem man zurückschrecken muss.

Reinklicken: www.aim-biko.de
Die Biko 2023 – die Bildungskonferenz der aim – findet am 25. März 2023 auf dem Bildungscampus in Heilbronn mit namenhaften Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis statt, darunter OECD-Direktor Andreas Schleicher, der aktuelle Forschungsergebnisse und Umsetzungsergebnisse der Studie „Lernkompass 2030” vorstellen wird. 

Redaktion: Wie groß ist das Interesse an diesem Thema und der Biko an sich? Wird es solche Veranstaltungen nach der Pandemie nun wieder häufiger geben?

Linke: Das bisher signalisierte Interesse an der Biko ist sehr groß. Offensichtlich haben viele Menschen solche Präsenzveranstaltungen mit der Gelegenheit zum Austausch und zur Diskussion mit Expertinnen und Experten vermisst. Wir hoffen sehr, dass sich dies auch in der Zahl der tatsächlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer widerspiegelt. Wir freuen uns auf jeden Fall sehr auf dieses Ereignis und erwarten neben dem Austausch vor allem Inspirationen und Ideen für unsere zukünftige Arbeit. Grundsätzlich war bereits nach der letzten aim-Bildungskonferenz im Jahr 2019 die Idee entstanden, daraus eine wiederkehrende Veranstaltung werden zu lassen. Das greifen wir jetzt auf und planen die nächste Biko im Frühjahr des 2025.

Redaktion: Frau Linke, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Tatjana Linke ist seit 2007 Geschäftsführerin der Akademie für Innovative Bildung und Management gGmbH, kurz aim. Sie hat Volkswirtschaft und Politikwissenschaft studiert und ist Mitherausgeberin des Online-Magazins schulmanagement.