Kolumne

Bildungsforschung braucht mehr Sichtbarkeit in der öffentlichen Debatte

Eine Kolumne von Lisa Niendorf über die Rolle der Bildungsforschung in der Wissenschaftskommunikation, zwischen Chefpresso-Postings und echtem Dialog.

Die Reputation von Wissenschaftler:innen hängt nach wie vor im besonderen Maße davon ab, wie viel und wie gut sie forschen – und wie viel sie innerhalb der Wissenschaft publizieren. Nicht  außerhalb. Bereits das sogenannte PUSH-Memorandum hob 1999 die Notwendigkeit einer verbesserten Wissenschaftskommunikation hervor. Dennoch hat sich in den letzten 20 Jahren kaum eine Kultur der Wertschätzung für ein Engagement jenseits der neoliberalen Verwertungslogik etabliert – schon gar nicht für Wissenschaftler:innen unterhalb der Professur. Und da wird es nicht besser, wenn Wissenschaftler:innen wegen ihres Engagements in der Wissenschaftskommunikation nicht selten von Kolleg:innen immer noch Spott, Kopfschütteln und Belächeln ernten.  

Dabei lohnt ein Blick über den Tellerrand: so ist Wissenschaftskommunikation in Asien oder in den USA sogar förderlich für die eigene Karriere - sieht man einmal von den Jahren ab, in denen Trump die staatlich finanzierte Wissenschaft bis heute unter Dauerbeschuss nimmt. Hierzulande wirkt sie eher wie ein Karrierehindernis. Und was soll ich sagen: Gefühlt ist die empirische Bildungsforschung dabei besonders spießig. Oder noch nicht mutig genug. Vielleicht weil sie als vergleichsweise junge Disziplin den Druck verspürt, sich noch beweisen zu müssen. Zwar gibt es einige gute und innovative Ausnahmen, wie zum Beispiel das Format „Sitzenbleiben“ vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, den Podcast  vom Forum Bildung Digitalisierung „Auftrag:Aufbruch“ oder den Instagram-Kanal des Verbundprojekts „DigiSchuKumMPK“. Doch lassen sich die Formate eher als unilaterale statt dialogorientierte Informationskanäle mit einer Top-Down Logik verstehen, die für eine gelungene Wissenschaftskommunikation nur bedingt förderlich sind (Besa, 2024; Niendorf, 2025).  

Und für nicht wenige Wissenschaftler:innen, zumeist Professor:innen, bedeutet Wissenschaftskommunikation aber vielmehr ein boomiger Bildpost darüber, welche Kolleg:innen sie auf einer Tagung getroffen haben oder welche aktuelle Publikation druckfrisch aus der Post geangelt wurde. Ich wette, wir alle kennen  diese Art von Posting auf Social Media: der akkurat arrangierte Schreibtisch (aber nicht zu akkurat, es soll ja nach Arbeit aussehen), darauf eine Kaffeetasse mit dem Aufdruck „Chefpresso“, rein zufällig neben der frisch erschienenen Fachzeitschrift stehend, aufgeschlagen ist die eigene Publikation. Manchmal funkeln kleine animierte Sterne. Oben rechts am Bildrand prangt in verspielter Schrift „Out now! 😎“ - als sei damit schon die Öffentlichkeit erreicht und der Lebenslauf um eine Kompetenz reicher.  

Dabei sehe ich hier ungenutztes Potential. Gerade im schulischen Bereich wären Investitionen in die nichtakademischen Sozialen Netzwerke (wie Instagram oder TikTok) unvergleichlich lohnend, und ich möchte an dieser Stelle der empirischen Bildungsforschung Mut zusprechen. Der Grund liegt auf der Hand: Es reicht nicht, wenn Erkenntnisse hinter Paywalls schlummern oder in Fachzeitschriften erscheinen, die kaum jemand außerhalb der Forschung liest (oder versteht). Es gilt, sich dorthin zu wagen, wo jene sind, die wir zu erreichen versuchen. Ich rede von der Möglichkeit, mit einer zentralen Zielgruppe direkt in den Austausch zu treten. Nein, ich rede nicht vom 43. Newsletter. Ich rede vom: #Instalehrerzimmer. Immer mehr Lehrkräfte, aber auch Lehramtsstudierende, tauschen sich dort fernab des klassischen schulinternen Lehrer:innenzimmers über Schule, Unterricht und Lehr-Lernmaterialien aus (Kruse et al., 2023). Neben frei erstellten Materialien von Content-Creator:innen lassen sich auch wissenschaftlich evaluierte Lehr-Lern-Angebote finden. Dadurch entsteht ein schwer überschaubares Gemisch, das innerhalb kürzester Zeit zehntausende Lehrkräfte erreicht. Diese Gleichzeitigkeit kann jedoch dazu führen, dass die eigentliche Idee eines qualitativen Wissenstransfers verwischt oder sogar ins Gegenteil verkehrt wird – man möge nur einmal „Lerntypen“ in die Suchmaske eingeben.  

Meines Erachtens liegt es daher in der Verantwortung der Bildungsforschung, Forschungsergebnisse, Konzepte und wissenschaftliche Theorien so nachvollziehbar und verständlich in den Sozialen Netzwerken aufzubereiten, dass dadurch ein professionelles und evidenzorientiertes Lehrkräftehandeln unterstützt und gestärkt wird. Nicht als Kontrollinstanz – wird die Bildungsforschung von der Praxis schon lange genug als erhobener Zeigefinger wahrgenommen. Vielmehr als Partnerin, die Impulse gibt, die inspiriert, Fragen beantwortet, Orientierung bietet und in den Dialog eintritt.  

Und auch aus einem anderen Grund sehe ich die Bildungsforschung als einen Teil der Wissenschaft in der Verantwortung. Denn wenn wir nicht wollen, dass fragwürdige Heilsversprechen oder gar politisch instrumentalisierte Narrative den Ton bestimmen, dann müssen wir als Bildungsforschung präsent sein. Besonders in den Sozialen Netzwerken. So ist es bis heute in der Gesellschaft nicht angekommen, dass nicht der „Migrationshintergrund“ entscheidend ist, sondern die soziale Herkunft eines Kindes. Oder dass das Wort „sozial“ in sozialer Herkunft nichts mit der Hilfsbereitschaft oder zwischenmenschlichem Verhalten der Eltern zu tun hat. Wo solche Befunde aufgegriffen werden, droht die Gefahr, dass sie in den Medien oder von politischen Kräften verkürzt dargestellt und damit instrumentalisiert werden. Wer einen Eindruck davon gewinnen möchte, muss nur einen Blick in die Kommentarspalten in den Sozialen Netzwerken werfen – etwa zu den Beiträgen über den Bildungsmonitor 2025. 

Es erscheint mir daher umso wichtiger, Forschung verständlich und transparent zu kommunizieren - mitsamt ihren Prozessen, Unsicherheiten und auch ihrem Scheitern. Genau darin liegt die Kraft der Wissenschaftskommunikation: Sie stärkt Vertrauen in Bildung und Wissenschaft, verteidigt wissenschaftliche Standards, entzieht demokratiefeindlichen Kräften den Nährboden und macht unsere Demokratie widerstandsfähiger. 

Wie es anders gehen kann, zeigen unter anderem Ferdinand Stebner und Christian Spannagel. Ich selbst versuche dem hier beschriebenen Anspruch mit meinem Kanal gerecht zu werden. Doch ich will nicht darüber hinwegtäuschen, dass wissenschaftskommunikatives Engagement Zeit und Ressourcen kostet. Geld, das angesichts aktueller Sparmaßnahmen noch weniger vorhanden ist – sodass die Social-Media-Abteilung einer großen Universität mitunter von nur einer Person gestemmt wird. Zeit, die vor allem die befristeten Beschäftigten unterhalb der Professur kaum haben. Umso wichtiger ist es, jene, die sich zusätzlich und außerhalb ihrer eigentlichen Arbeitszeit engagieren, nicht zu belächeln, sondern aktiv zu unterstützen.   

Am Ende bleibt die Frage: Trauen wir uns, Wissenschaftskommunikation ernst zu nehmen? Dazu gehört auch, dass Professor:innen anerkennen, dass sie in mindestens einem Punkt nicht alles wissen und nicht alles können und auf die Expertise von jüngeren Wissenschaftler:innen angewiesen sind – denn die scheinen, so mein Eindruck, Wissenschaftskommunikation ziemlich gut zu können. Dazu gehört, Wissenschaftskommunikation als Arbeitsergebnis auszuweisen und in Bewerbungsverfahren zu berücksichtigen. Und dazu gehört eine Diskussion darüber, wie die Wirksamkeit von Wissenschaftskommunikation bewertet werden kann.  

Seit Juni 2025 gibt es das neue Leibniz-Forschungsnetzwerk „Evidenzbasierte Wissenschaftskommunikation”. Vielleicht wird jetzt alles anders. Weniger boomig, weniger Chefpresso, mehr Dialog. Wenn ich mir die Projektlaufzeit von drei Jahren ansehe, habe ich jedoch so meine Zweifel. Aber: Ich liebe Überraschungen. Vor allem, wenn es gute sind. 

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