Kolumne

Generative KI bereits in der Grundschule?

Eine Kolumne von Uta Hauck-Thum über die Handlungsempfehlung der KMK zum Umgang mit generativer KI in der Grundschule.

Ein kleiner Passus im Rahmen der Handlungsempfehlung zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz der Kultusministerkonferenz (2024) sorgt derzeit für hitzige Debatten über die Relevanz des Einsatzes generativer KI in der Grundschule. Gemäß der KMK soll insbesondere der Einsatz von KI-Sprachmodellen auch für Grundschulkinder geprüft werden. Damit sind sogenannte Large Language Models (LLMs) gemeint, die Sprache verarbeiten und Texte erzeugen. Diese Formulierung deutet auf Offenheit und Lösungsorientierung im Umgang mit technologischen Weiterentwicklungen hin -– eine Haltung, die grundsätzlich positiv zu bewerten ist. Problematisch ist daran nur, dass sich das Verständnis für die mit technologischem Fortschritt einhergehenden kulturellen Veränderungen und deren transformative Auswirkungen auf das Bildungssystem in der Breite noch immer nicht etabliert haben.  

Aktueller Diskurs 

Das fehlende Verständnis dafür, dass die digitale Transformation im Bildungsbereich weit mehr bedeutet als Schule und Unterricht mit digitalen Geräten, offenbart sich im aktuellen Diskurs um den schulischen Einsatz generativer Künstlicher Intelligenz. Einerseits wird vehement gegen den Einsatz in der Grundschule argumentiert, da Kinder beispielsweise durch die Praxis des Promptens am Erwerb wichtiger Basiskompetenzen gehindert würden. Andererseits wird die Dringlichkeit des Einsatzes generativer KI bereits ab der Grundschule propagiert, da die damit einhergehende Innovationskraft nicht gebremst werden dürfe. Daraus resultierend werden Unterrichtsbeispiele vorgelegt, in denen bereits Drittklässler KI-generierte Textteile reflektieren und anpassen sollen. Beide Positionen verdeutlichen gleichermaßen, dass sich die Diskussionen um die Bedeutung technologischer Weiterentwicklungen im Schulkontext seit über 20 Jahren nicht verändert haben und in Forschung und Lehre nach wie vor von der Frage nach dem Mehrwert mediengestützter Lehr- und Lernszenarien bestimmt sind. Mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz wird wie bereits bei der Einführung von Computer und Tablet entweder die Hoffnung verbunden, Unterricht würde insgesamt effektiver, oder aber die Warnung, Kindern würden am „echten“ Lernen gehindert. Die Ergebnisse der aktuellen ICILS Studie 2023 verdeutlichen die Problematik. Die technische Ausstattung in Deutschland hat sich verbessert.  Der Erwerb relevanter Kompetenzen in einer digitalen Welt geht damit vor allem bei Heranwachsenden an nicht-gymnasialen Schulen nicht automatisch einher. 

Kultureller Wandel 

Dabei sollte es längst nicht mehr nur darum gehen, Lehr- und Lernprozesse durch den Einsatz bestimmter Tools digital zu optimieren. 

Ebenso wenig sollten KI-basierte Lernhilfen nur dafür genutzt werden, um systembedingte Schwächen auszugleichen, oder tradierten Unterricht mit Hilfe Künstlicher Intelligenz zeitsparend zu planen.  Vielmehr sollten Lehr-, Lern- und endlich auch Prüfungsformate so verändert werden, dass alle Kinder Kompetenzen erwerben können, die sie benötigen, um mit den Anforderungen einer Welt zurecht zu kommen, die von rasantem technologischem Fortschritt geprägt ist. Dafür benötigen sie anregende Räume, ausreichend Zeit und passende Gelegenheiten, um stabile Basiskompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen zu erwerben. Gleichzeitig erfordert es veränderte Strukturen, die dazu beitragen, dass sie übergreifende Kompetenzen für eine digitale Welt entwickeln, die eben nicht nur additiv gefördert werden, sondern integrativ aus gemeinschaftlichen co-kreativen Prozessen erwachsen (kommunizieren können, kreativ sein, kritisch denken können, Probleme lösen, handlungsfähig sein, KMK 2021). 

Co-kreative Prozesse und KI 

Im Rahmen der Überlegungen zum Einsatz Künstlicher Intelligenz sollte deshalb der Schwerpunkt auf die Potentiale innovativer Technologien für eine aktive und kreative Verwendung gelegt werden. In der Kultur der Digitalität bedeutet Kreativität, sich als Person als Teil einer Gemeinschaft zu verstehen und sich mit kreativen und produktiven Ideen dort einzubringen. Dafür wird man von anderen wahrgenommen und geschätzt (Hauck-Thum/Heinz 2021). Die Fähigkeit des Individuums, an gemeinschaftlichen Prozessen zu partizipieren, basiert auf kreativen Denkgewohnheiten, die in der Gemeinschaftlichkeit eingebracht werden und sich dort entwickeln und entfalten. Kreative Denkgewohnheiten (Neugierde, Beharrlichkeit, Einfallsreichtum, Kooperation, Fokussiertheit) sind demnach unter den Bedingungen der Kultur der Digitalität lehr- und lernbare Kompetenzen, die von sozialen, kulturellen und kontextuellen Bedingungen beeinflusst werden. Kreativität umfasst demnach nicht nur Neugier und Einfallsreichtum, sondern auch das Entwickeln von Techniken und metakognitiven Strategien, um kreatives Tun zu verbessern (vgl. Lucas et al. 2014, S. 89).  

Ziel sollte ein diversitätssensibler Unterricht sein, der die Vielfalt der Schülerschaft:innen wertschätzt und gerechte Bildungschancen für alle anstrebt.

Auf Basis solcher Überlegungen sollte der Einsatz von KI-Sprachmodellen zukünftig auch für den Grundschulbereich geprüft werden. Statt über die Sinnhaftigkeit der Implementierung generativer KI in den Unterricht zu diskutieren, sollten Bestrebungenmit einer transformativen Ausrichtung vielmehr darauf abzielen, das kreative Denken von Kindern in einer unterstützenden Umgebung für kollektive Kreativitätsprozesse zu fördern. Gemeint sind damit Lehr- und Lernsettings, die Schüler:innen mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen in eine aktive und reichhaltige Benutzererfahrung zur kollektiven Wissensproduktion einbinden. Dabei werden sie mit den notwendigen Fähigkeiten ausgestattet, um sich den Problemen einer beschleunigten Welt zu stellen. Weil dies Einzelne jedoch häufig überfordert, sind Formen des Zusammenarbeitens und des gemeinsamen Reflektierens wichtiger als die des individuellen Lernens (Stalder 2021), das derzeit vorrangig mit dem Einsatz generativer KI assoziiert wird. 

Zielperspektive 

Ziel sollte ein diversitätssensibler Unterricht sein, der die Vielfalt der Schülerschaft:innen wertschätzt und gerechte Bildungschancen für alle anstrebt. Dies erfordert sensibilisierte Lehrkräfte, die die unterschiedlichen Voraussetzungen der Schüler:innen diagnostizieren, berücksichtigen und nachhaltige Unterstützung anbieten. Dies gilt insbesondere für offenen Lehr- und Lernsettings, in denen lernende Schüler:innen mit diversen Talenten und Merkmalen häufig Schwierigkeiten haben, sich zu beteiligen. Bei der Konzeptentwicklung zum Einsatz generativer KI in der Grundschule sollten vorwiegend individuelle Lernbedürfnisse der Kinder berücksichtigt und soziales Lernen in heterogenen Klassen gefördert werden. Chatbots könnten beispielsweise beim co-kreativen Umgang mit Herausforderungen in Kleingruppen sprachlich unterstützen, um Kindern die Beteiligung am Austausch zu ermöglichen, die gemeinsame Entwicklung von Lösungsvorschlägen zu strukturieren und passendes Feedback zu geben. Ziel ist eine höhere Lernwirksamkeit, um Bildungs- und Teilhabechancen aller Schüler:innen in der digitalen Welt zu erhöhen, während Diversität gleichzeitig als Bereicherung anerkannt wird. Dadurch können Lehrkräfte von Anfang an dazu beitragen, Bildungsungleichheiten zu verringern und gerechte Bildungschancen für alle zu schaffen (Heinz et al., Projektantrag BMBF/Talky, 2024).