Impulse für ein gemeinsames Transformationsverständnis im Bildungssystem
Über die Notwendigkeit grundlegender Transformationsprozesse im Bildungssystem besteht im öffentlichen Diskurs mittlerweile durchaus Konsens. Ohne ein gemeinsames Verständnis von Transformation wird es jedoch schwer werden, sich auf eine tragfähige Zielperspektive zu verständigen.
Was bedeutet eigentlich Transformation? Ich nähere mich zunächst ganz allgemein der Definition des Begriffs und finde überwiegend Begriffserläuterungen, die sich nicht auf den schulischen Bildungsbereich beziehen. Grundsätzlich ist jede Transformation ein längerfristiger, mehrere Jahrzehnte andauernder Lern- und Suchprozess, der mit vielen Unsicherheiten verbunden ist und erst dann zum Abschluss kommt, wenn sich neue Systemstrukturen dauerhaft etabliert und stabilisiert haben (difu 2017). Die digitale Transformation wurde und wird durch die Entwicklung immer leistungsfähigerer digitaler Technologien ausgelöst (u.a. Wolan, 2018). Als weitere Ursachen von Transformationen benennt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU 2011) zudem Krisen, Visionen und veränderte Wissensbestände.
Was mir auffällt, ist, dass im Bildungssystem bislang jedoch weder Krisen, wie beispielsweise die Covid-19-Pandemie, noch die fortwährenden Weiterentwicklungen von Technologien unmittelbar zu strukturellen Veränderungen führen. Visionen einer Schule der Zukunft setzen sich in der Breite nur sehr langsam durch (Eickelmann, Gerick, Hauck-Thum, Maaz, 2024). Zudem sind diese durchaus unterschiedlicher Art und Ausprägung.
In der Breite wird von Schulen derzeit vor allem erwartet, dass sie digitaler werden und Kindern und Jugendlichen einen verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien ermöglichen. Darüber hinaus wird der Begriff der transformativen Bildung vor allem im Rahmen des Diskurses um die Bedeutung der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen verwendet (Sustainable Development Goals, SDGs). Angesichts des ganzheitlichen Anspruchs der SDGs im Sinne einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung ist es durchaus naheliegend, in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Schulen zu fokussieren (Krabath et al., 2022). Doch ohne ein transformatives Verständnis des Lehrens, Lernens und Prüfens an sich bleiben auch Nachhaltigkeitsthemen nur zusätzliche Inhalte im Rahmen gewohnter Unterrichtsstrukturen.
Ich möchte betonen, dass die Transformation von Schule auf weit mehr zielt, als das schnellere Erreichen alter Ziele mit Hilfe digitaler Medien (MacGilchrist 2017) oder die Integration relevanter Themenbereiche in den Lehrplan. Vielmehr geht es darum, durch akteursgruppenübergreifende Zusammenarbeit völlig neue Zieldimensionen im Bildungsbereich zu erschließen, die im Idealfall gesellschaftlich und individuell bedeutsam sind (Krommer 2019). Die Deutsche UNESCO-Kommission (DUK) betont in diesem Zusammenhang den Einfluss von Bildungseinrichtungen auf die Teilhabe der Lehrenden und Lernenden an Entscheidungsprozessen. Sie fordert eine entsprechende Qualifikation des Personals und eine Weiterentwicklung der gesamten Lehr- und Lernkultur (DUK 2011), um die reine Vermittlung und Überprüfung von Faktenwissen zu überwinden. Angesichts globaler Beschleunigungsprozesse sowie aktueller und zukünftiger Herausforderungen benötigen Heranwachsende mehr Gelegenheiten zum Erwerb zukunftsrelevanter übergreifender Kompetenzen wie gelingend zu kommunizieren, kreative Lösungen zu finden, kompetent zu handeln, kritisch zu denken und zusammenzuarbeiten (KMK 2021).
Die digitale Transformation von Schule ist deshalb nicht primär eine technische, sondern vor allem eine soziotechnische Herausforderung für das gesamte Schulsystem (Graube, 2024). Entsprechende Veränderungen gehen über Fragen zu digitaler Organisations-, Personal-, Kooperations-, Technologie- und Unterrichtsentwicklung (Eickelmann & Gerick 2017, Rolff & Thünken 2020) weit hinaus. Sie leisten vielmehr einen entscheidenden Beitrag, um Antworten auf Nachhaltigkeits- und Gerechtigkeitsfragen in der Kultur der Digitalität zu formulieren und es den beteiligten handelnden Personen der Schulgemeinschaft zu ermöglichen, „gemeinsam mit anderen ihre Gegenwart und Zukunft im Anspruch von Zukunftsfähigkeit zu gestalten“ (Stoltenberg 2010). Das notwendige Verständnis von Bildung muss dafür „in gesellschaftlichen Transformationsprozessen laufend neu bestimmt werden“ (Pallesche 2021, S. 88).
Veränderungen gelingen also nur gemeinsam, und dafür benötigen sämtliche Agierenden im Bildungssystem mehr Gelegenheiten, um gemeinschaftlich auszuhandeln, wie die junge Generation befähigt werden kann, mit der Dynamik von Veränderungen nicht nur umzugehen, sondern diese unter Weiterentwicklung demokratischer Grundwerte zu gestalten.
Nur durch horizontale und vertikale Verzahnung der verantwortlichen Lehrenden, Schulleitungen, Schulaufsichten, Schulträger und außerschulisch involvierten Personen können sich neue Handlungshorizonte eröffnen und kollaborative Lernprozesse ermöglicht werden (Klopsch & Sliwka 2020, Hauck-Thum et al., 2023) Spielräume aktiver Partizipation und Teilhabe müssen auf allen Ebenen erweitert werden, um festgefahrene Grenzen zu überwinden und tragfähige Kooperationen zu verstetigen. Dies sind wichtige Voraussetzungen dafür, bestehende Überzeugungen im schulischen Kontext zukunftsorientiert zu entwickeln und ein neues Rollenverständnis zu fördern, das dazu beiträgt, den individuellen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler konzeptuell, didaktisch und methodisch zu begegnen und das System Schule als Ganzes verantwortlich mitzugestalten (Pallesche 2023, Eickelmann, Gerick, Hauck-Thum, Maaz 2024).
Unsere gemeinsame Zielperspektive sollte es deshalb sein, eine neue, transformationsorientierte Schulkultur zu etablieren, die im Verständnis einer akteursgruppenübergreifenden Gestaltungsaufgabe nicht erst am Ende des gemeinsamen Transformationsprozesses steht, sondern die Rahmung bildet, aus der das notwendige Verständnis und die Haltung der handelnden Personen hervorgeht und die die Qualität von Schule und Bildung maßgeblich prägt.
Navigator Bildung Digitalisierung
Einen umfassenden Überblick über transformationsrelevante Indikatoren bietet der neu erschienene Navigator BD (Eickelmann, Gerick, Hauck-Thum, Maaz, 2024) in Zusammenarbeit mit dem Forum Bildung Digitalisierung: Er liefert erstmals einen systematisierten Überblick über die digitale Transformation im deutschen Schulwesen. Der Bericht zeigt, dass diese Transformation nicht nur durch ein Umsetzungsdefizit, sondern auch durch fehlendes, transformationsorientiertes Wissen verlangsamt wird. Der Navigator BD hebt anhand von konzeptionellen Ausarbeitungen und zusammengeführten Studienergebnissen die Notwendigkeit eines gemeinsamen Zielbilds und eines erweiterten Bildungsmonitors hervor, um den Transformationsfortschritt zu messen und zu steuern. Er identifiziert 21 relevante Themenfelder, darunter Infrastruktur und Chancengerechtigkeit, und betont, dass eine tiefgreifende Transformation nur mit einem kohärenten Ansatz und gezielten Maßnahmen gelingen kann.
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