Kolumne

KI im Unterricht – Chancen und Herausforderungen für Lernende und Lehrende

Eine Kolumne von Florian Nuxoll über KI im Unterricht - wie deren Einsatz Schreibprozesse erleichtert, aber auch zentrale Lernkompetenzen herausfordert.

Die sprachliche Korrektur von Texten, Brainstorming-Partner für Unterrichtsideen oder die Ko-Konstruktion von Texten – ich nutze täglich Künstliche Intelligenz (KI) und erlebe sie als große Entlastung.

Beim Schreiben können generative KI bzw. Large Language Models auf verschiedene Arten genutzt werden: 

Vom Prompt zum Text

Bereits ein einfacher Prompt lässt die KI sinnvolle Texte generieren. Eine Schülerin, die einen Aufsatz über den „Einfluss sozialer Medien auf die Jugendkultur“ schreiben soll, gibt nur diesen Titel als Prompt in die KI ein, ergänzt um die Aufforderung: „Schreibe einen Aufsatz“. Die KI erstellt einen vollständigen Text zu diesem Thema. Ohne eigene Recherche oder Reflexion erhält sie einen fertigen Aufsatz. 

Prompts und Notizen

Eine weitere Möglichkeit ist die Kombination von Prompts und zusätzlichen Informationen. Die KI integriert die Stichpunkte in den Text. So hat einer meiner Schüler Stichpunkte zu einer Analyse von Shakespeares "Romeo and Juliet" gesammelt. Er gibt sie, zusammen mit der Aufforderung, einen Aufsatz zu schreiben, in die KI ein. Das Ergebnis ist ein Text, der seine Ideen strukturiert und in fließendem Englisch formuliert.

Verbesserung eigener Texte

Zudem können eigene, komplette Texte in die KI eingegeben werden, die dann Stil, Grammatik und Ausdruck überprüft.

Durch KI können in der Schule wichtige Lernprozesse übersprungen und grundlegende Fertigkeiten nicht mehr ausreichend entwickelt werden.

In der Vergangenheit war der eigentliche Schreibprozess für mich der limitierende Faktor. Nachdem ich ein Thema bearbeitet und neue Ideen notiert hatte, fing die eigentliche Arbeit an. Ich suchte fast nach jedem Wort. Heute schreibe ich Texte zusammen mit KI irgendwo zwischen den oben erwähnten Punkten zwei und drei. Der Prozess ist dabei interaktiv: Ich lese mir die Vorschläge von ChatGPT durch und mache wiederum eigene Verbesserungsvorschläge. So gelange ich Schritt für Schritt zum fertigen Text.

Das Schreiben mit Hilfe von KI hat jedoch auch negative Seiten, unter anderem das Skill Skipping.

Durch KI können in der Schule wichtige Lernprozesse übersprungen und grundlegende Fertigkeiten nicht mehr ausreichend entwickelt werden. Insbesondere bei schwächeren Lernenden besteht die Gefahr, dass sie nur einen Prompt eingeben und sich das ganze Produkt erstellen lassen. Ein Schüler aus meinem Leistungskurs Wirtschaft begann erst am Abend vor der Präsentation, sich inhaltlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. In der ersten Stunde hielt er dann eine befriedigende Präsentation. Im Nachhinein beschrieb er mir seinen „Lernprozess“. Recherchekompetenz, kritisches Denken, digitale Kompetenzen beim Zusammenstellen der Präsentation und nicht zuletzt Zeitmanagement – all dies hat mein Schüler nicht gelernt, und mit der Note war er trotzdem zufrieden: „Herr Nuxoll, sonst bekomme ich doch meistens nur 5 bis 7 Punkte. War so doch besser.“

Eine Flut wohlformulierter Texte kommt auf uns zu. Ihre Ausdrucks- und Überzeugungskraft kann dazu führen, dass sie ungeprüft übernommen werden.

Eine weitere Folge von generativer KI ist, dass nun jeder mithilfe von KI überzeugende Texte produzieren kann. Die Flut von "guten Texten" kann zu einer Überforderung führen, bei der es schwierig wird, qualitativ hochwertige von minderwertigen Inhalten zu unterscheiden. Dies erschwert es nicht nur Schülerinnen und Schülern, verlässliche Quellen zu finden. Wir stehen vor der Frage: Brauchen wir Gatekeeper, damit Lernende wissen, wo sie vertrauenswürdige Inhalte finden können?

Als ich ChatGPT vor ein paar Tagen bat, eine Rede zu diesem Thema im Stil von Abraham Lincoln zu schreiben, erhielt ich nach 30 Sekunden einen interessanten Vorschlag. Besonders hängengeblieben ist mir die Phrase: "The floodgates of eloquence have opened" – übersetzt etwa: „Die Schleusentore der Eloquenz haben sich geöffnet". Eine Flut wohlformulierter Texte kommt auf uns zu. Ihre Ausdrucks- und Überzeugungskraft kann dazu führen, dass sie ungeprüft übernommen werden. Darauf müssen wir unsere Schülerinnen und Schüler vorbereiten. 

Es ist unsere Aufgabe, Fähigkeiten zu fördern, die über das bloße Konsumieren von Inhalten hinausgehen.

Nur weil ein Text gut klingt, ist der Inhalt noch lange nicht wahr. In einer Zeit, in der KI-unterstützte Texte zur Norm werden könnten, sind Medienkompetenz und kritisches Denken wichtiger denn je. Es ist unsere Aufgabe, Fähigkeiten zu fördern, die über das bloße Konsumieren von Inhalten hinausgehen. Dazu gehören das Verstehen von Kontexten, das Erkennen von Bias und das Entwickeln eigener Standpunkte.

Die Integration von KI in den Schreibprozess bietet enorme Chancen und stellt uns vor Herausforderungen. Als Pädagoginnen und Pädagogen ist es unsere Aufgabe, die Entwicklungen aktiv zu begleiten, um unseren Schülerinnen und Schülern den verantwortungsvollen Umgang mit neuen Technologien zu vermitteln. Dazu gehört, dass wir uns kontinuierlich weiterbilden und unsere Kompetenzen im Umgang mit KI stärken. Wir müssen Wege finden, KI als ein Werkzeug zu nutzen, das Lernprozesse unterstützt, ohne gleich alle zu ersetzen.

Halten wir fest: Die Schleusentore der Eloquenz sind geöffnet, aber wir können der Flut entgegentreten. Bildung spielt hierbei die entscheidende Rolle.