Mentale Gesundheit im Lehramtsstudium – ein Tabuthema mit Folgen
Ich wurde letztens gefragt, ob die Lehramtsstudierenden denn wirklich so belastet sind, wie ich es immer auf Instagram zeige. Unabhängig davon, dass solche Fragen oft darauf abzielen, die Erfahrungen und Belastungen von Studierenden zu relativieren und niemals cool sind, drehen wir das Ganze doch mal um. Würde ich auch solche Fragen erhalten, wenn ich auf das vollends zufriedenstellende und gesunde Lehr- und Lernumfeld von Studierenden aufmerksam machte? Würde ich dann auch die Frage erhalten, ob die Studierenden denn wirklich so glücklich und zufrieden sind?
Ich bezweifle es und möchte an dieser Stelle ganz klar betonen: Wenn schon im Jahr 2014 Studien wie die von Corinna Reichl und Kolleg:innen zeigen, dass es Lehramtsstudierenden nicht nur nicht gut geht, sondern sie schon zu Beginn ihres Studiums häufiger Stresssymptome aufweisen, durchschnittlich ungünstigere Stressbewältigungsstrategien anwenden und ein höheres Burn-out-Risiko als andere Berufsgruppen haben, dann bin ich das ständige Kleinreden von Belastungen leid.
Letztlich zeigen solche Relativierungen auch, wie wenig in der Gesellschaft, aber auch in der Lehrkräftebildung, über die Gesundheit von Lehramtsstudierenden gesprochen wird – das haben in diesem Jahr auch Tina Hascher und Isabelle Krummenacher in einem Artikel dargestellt. Dann wäre möglicherweise mehr bekannt, dass das Lehramtsstudium gekennzeichnet ist durch eine Ausbildung in mehreren Fächern mit hohem Workload, einer hohen Prüfungsdichte und dem Gefühl, niemals ausreichend auf den Berufseinstieg vorbereitet zu sein. Ganz zu schweigen von der gesellschaftlichen Geringschätzung des eigenen Berufsfelds. Auch würde dann mehr bekannt sein, dass ein Großteil der Studierenden bereits während ihres Studiums als sogenannte PKB-Lehrkraft tätig ist, was nicht zuletzt durch den Lehrkräftemangel intensiviert wurde. Stichwort: Schnelle, kostengünstige Unterrichtsversorgung.
Dabei ist die Rechnung ganz simpel: Je gesünder eine Lehrkraft, desto besser scheint die Schul- und Unterrichtsqualität.
Möglicherweise wäre dann auch mehr bekannt, dass die Gestaltung der schulpraktischen Ausbildung nach dem Studium bei einem Großteil der Referendar:innen körperliche und psychische Spuren hinterlässt. So gaben 36 Prozent von ihnen an, sehr häufig oder häufig Angstzustände zu haben, wenn sie an den Vorbereitungsdienst denken, wie 2023 aus einer Umfrage der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hervorging.
Als Betroffene von einer Angststörung habe ich viele Stunden mit der Angst am Tisch verbracht, und mir ist es wichtig, diesen vielleicht nebligen Begriff sichtbar werden zu lassen. Für Betroffene ist das nicht einfach eine Aneinanderreihung von Buchstaben. Im Zustand der Angst zu sein bedeutet, Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Kurzatmigkeit, Erstickungsgefühl, Schwindel, Ohnmacht, Schweißausbrüche, Herzrasen, Muskelverspannungen, Brustschmerzen oder Brustenge erleben und durchleben zu müssen.
Aus Angst, ihre Chancen auf eine Verbeamtung zu gefährden, verzichten Referendarinnen und Referendare sowie Lehramtsstudierende häufig darauf, eine Psychotherapie in Anspruch zu nehmen. Eine private Finanzierung von Therapien ist ausschließlich für Personen mit den nötigen finanziellen Mitteln möglich. Die Kosten für eine 50-minütige Sitzung liegen je nach Abrechnungsfaktor zwischen 134 und 167 Euro. Bei wöchentlichen Sitzungen summiert sich dies auf mindestens 500 Euro pro Monat. Für viele Studierende, die ohnehin armutsgefährdet sind (35 % im Jahr 2023), ist dieser Betrag schlicht utopisch. Hinzu kommen die ohnehin schon niedrigen Anwärterbezüge sowie die Belastungen durch die steigende Inflation und hohe Wohnungskosten, die die finanzielle Situation zusätzlich verschärfen. Dabei ist die Rechnung ganz simpel: Je gesünder eine Lehrkraft, desto besser scheint die Schul- und Unterrichtsqualität. Offenbar ist dies in der Bildungspolitik und -verwaltung noch nicht angekommen. Ich sende alsbald mal ein Fax.
Was wir brauchen, ist die Enttabuisierung der mentalen Gesundheit! Der Studierendengesundheit gebührt ein höherer Stellenwert im Curriculum!
Was wir also brauchen, sind weder Vergleiche mit den Belastungen anderer Studiengänge oder Berufe, ausweichende Relativierungen, noch ein fadenscheiniges wer-leidet-mehr Pingpong. Dabei rede ich rede hier bewusst von wir, denn in einem Land, dessen wichtigste Ressource die Bildung ist, können wir es uns schlichtweg nicht leisten, derartige Invalidierung zu betreiben. Was wir brauchen, ist die Enttabuisierung der mentalen Gesundheit, die Integration psychologischer Beratung in Lehramtsstudiengang und Referendariat (ohne negative Konsequenzen bei Inanspruchnahme), ein transparentes Offenlegen der berufsbedingten Anforderungen im Lehrberuf, ein Anerkennen und Berücksichtigen struktureller Belastungsfaktoren. Hören wir damit auf, Probleme stets zu individualisieren! Der Studierendengesundheit gebührt ein höherer Stellenwert im Curriculum!
In ihrer Studie haben Corinna Reichl und Kolleg:innen auch aufzeigen können, dass vor allem intrinsisch motivierte Personen eher gesundheitsfördernde berufsbezogene Bewältigungsstrategien anwenden können. Sind sie von der Berufswahl überzeugt und werden Lehrkraft um des Lehrens willen, tragen sie kein übermäßiges Burn-out-Risiko. Es sind eher jene Studierende von deutlichen Belastungszeichen betroffen, die das Studium wegen vermeintlich geringer Studienanforderungen oder aufgrund attraktiver Arbeitsbedingungen gewählt haben. Doch statt diese Gruppe frühzeitig auf eine geeignetere Berufswahl hinzuweisen (was durchaus einige Stimmen fordern), halte ich es für viel zielführender (und weniger exkludierend und übergriffig), transparent über die sozio-emotionalen Anforderungen zu informieren, aber auch mögliche Alternativen aufzuzeigen, falls die vielen Jahre des Studiums doch nicht in der Schule münden sollten.
Letztlich steht und fällt alles mit einem Mehr an Räumen zur Selbstreflexion. Ansonsten ist die Gefahr der subjektiven Pauschalurteile bei der der derzeitigen Ausgestaltung des Beratungsangebot und dem nicht vorhanden Datenmonitoring viel zu groß. Vor allem aber müssen wir ein System schaffen, in dem Stress nicht derartig normalisiert wird. Vielleicht schaffen wir dann eine Lehrkräftebildung, die nicht nur fachlich, sondern auch menschlich tragfähig ist. Vielleicht erkennen wir, dass eine gesunde Bildung nur mit gesunden Lehrkräften möglich ist. Und ganz vielleicht brechen dann auch weniger junge Leute ihr Studium oder ihren Vorbereitungsdienst ab.