Kolumne

Was braucht die Zukunft der Lehrkräftebildung?

Eine Kolumne von Lisa Niendorf über die Zukunft der Lehrkräftebildung, die sich mit den aktuellen Herausforderungen der Gegenwart konfrontiert sieht.

Fast zeitgleich haben der Stifterverband und die Ständige Wissenschaftliche Kommission im vergangenen Jahr ein Papier zur Zukunft der Lehrkräftebildung veröffentlicht, die Kultusministerkonferenz hat im März dieses Jahres ein umfassendes Reformpaket für die Lehrkräftebildung beschlossen. Seitdem schwirren viele Ideen im Raum: Duales Studium, Ein-Fach-Studium, Verkürzung des Referendariats. Vor allem die Idee des Dualen Studiums wird derzeit in länderspezifischen Modellversuchen umgesetzt. Baden-Württemberg startete im Mai die Bewerbungsphase für das Modellprojekt Duales Masterstudium. Weitere Modellprojekte sind in Bayern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu finden. 

Seit mehr als einem halben Jahr herrscht in der Lehrkräftebildung eine Dynamik, wie ich es bisher noch nicht erlebt habe. Die Auslöser für den Veränderungswillen waren sicher nicht die plötzliche Lust und Freude an systemverändernden Maßnahmen, entwickelt sich das Bildungssystem doch ungefähr so schnell wie die Kirche. Auch waren es nicht die beharrlichen Forderungen der Studierenden nach mehr Praxisnähe. Die Auslöser waren vielmehr die nackte Panik vor dem Lehrkräftemangel und der Wunsch nach schnell greifbaren und günstigen Lehrpersonen.     
Was braucht also die Zukunft der Lehrkräftebildung, die sich mit den aktuellen Herausforderungen unserer Gegenwart konfrontiert sieht?  Auf meinem Instagram Kanal @FrauForschung habe ich meine Follower:innen gefragt, was ihrer Meinung nach die Lehrkräftebildung der Zukunft braucht. 148 Personen haben geantwortet, davon 55 % Lehramtsstudierende, 15 % Lehrkräfte, 14 % wissenschaftliche Mitarbeiter:innen, 5 % Referendar:innen, 3 % Lehrkräfte für besondere Aufgaben und 7 % sonstige Personen wie Professor:innen, Politiker:innen oder außerschulische Pädagog:innen.

Auffallend häufig wurde der Wunsch nach mehr Praxis geäußert. Wenn ich Praxis als das Sammeln von Unterrichtserfahrungen verstehe, halte ich einen frühen Praxisbezug im Bachelor für problematisch. Studierende brauchen Praxis, aber um Praxis verstehen zu können, braucht es fachwissenschaftlich-pädagogische Kenntnisse und eine begleitende fachwissenschaftliche, fachdidaktische und pädagogische Reflexion. Nur wenn Studierende im Vorfeld befähigt werden, sich kritisch und theoretisch mit Schule und Bildung auseinanderzusetzen, nur dann gestalten wir eine schulische Praxis von morgen, die sich nicht selbst reproduziert.

Nichtsdestotrotz muss ich für die Studierenden eine Lanze brechen. Ich kann ihren Wunsch nach Praxisnähe mehr als nachvollziehen. Daher braucht es einen stärkeren Praxisbezug in der Lehre durch die Einbindung praxisnaher Lerninhalte sowie eine bessere Verzahnung von Theorie- und Praxisanteilen. Es braucht aber auch Dozierende, die in der schulischen Praxis Erfahrungen gesammelt haben. Da der Großteil der Lehre von wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen in Qualifikationsphasen gestemmt wird, die nicht Lehramt studiert haben, wird dies schwer umzusetzen sein. Möglich wären aber verpflichtende Hospitationsstunden an Schulen für alle im Lehramt tätigen Hochschullehrenden. In jedem Falle stoßen die aktuellen Entwicklungen zum Dualen Studium zumindest bei den Studierenden auf fruchtbaren Boden. Letztlich wird der Erfolg des Dualen Studiums davon abhängen, welche Zielsetzung verfolgt wird und wie die Modellversuche wissenschaftlich evaluiert werden. Es bleibt die Gefahr, dass das Duale Studium zum politischen Chamäleon für eine schnelle und kostengünstige Unterrichtsversorgung wird, ganz nach dem Motto „Let’s go ohne Plan, aber let’s go“.

Eine politische Maßnahme zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels wurde bereits umgesetzt. Aktuell ist im Lehramt ein massiver Ausbau der Studienplätze zu verzeichnen. Der Ansturm der Absolvent:innen bleibt jedoch aus. Von bundesweit rund 52.5000 Studienanfänger:innen absolvierten laut dem Stifterverband nur 54 % das Referendariat. In Zeiten der Lehrkräftemangelkatastrophe ist das ein dramatisches Zeichen. Um diese Zahlen besser zu interpretieren, aber vor allem, um bildungspolitische Maßnahmen ableiten zu können, braucht die Lehrkräftebildung ein besseres Datenmonitoring. Derzeit lassen sich mit der aktuellen Datenlage weder die Verläufe der Studierenden sichtbar machen noch deren Motive des Studienabbruchs. Oder um es ganz plastisch zu sagen:

Solange wir nicht wissen, was mit den Studierenden passiert, nageln wir weiterhin Pudding an die Wand.

Noch dramatischer empfinde ich als Dozentin eine andere Zahl, nämlich 38 %. So hoch ist der Anteil jener Studierende, die ihr Studium bis zum vierten Jahr abgebrochen haben. Überrascht es mich? Nein. Erschreckt es mich? Ja. Die Gründe? Vielfältig und komplex. Dr. Anna Hartl hat 2022 zusammen mit Kolleg:innen Studienabbruchgründe von Lehramtsstudierenden ausgewertet. Neben Leistungsproblemen und mangelnder Studienmotivation gaben die befragten Studierenden die Studienbedingungen an. So ist vor allem die fehlende Unterstützung durch Dozierende ein häufiger Grund für Studienabbruchsgedanken, aber auch die Studienorganisation oder die konkrete Ausgestaltung des Lehrveranstaltungsangebots wurden als Gründe genannt. Ja, ich sehe die Unzufriedenheit in meiner tagtäglichen Arbeit. Ja, wir haben derzeit zu viele Lehramtsstudierende auf zu wenig Lehr- und Betreuungspersonal. Ja, wir müssen den Studierenden mehr Zeit, mehr Wertschätzung und Unterstützung zukommen lassen. Ja, all das sehe ich. Zeitgleich sehe ich auch an Hochschulen prekäre Arbeitsbedingungen, Befristungen, nicht planbare Lebensverläufe, Machtmissbrauch und Raum- und Personalmangel. Zudem haben wir in der Lehrkräftebildung zum Teil äußerst betreuungsintensive Lehrveranstaltungen, die sich nicht in der Lehrverpflichtungsverordnung widerspiegeln. Dies erklärt zu einem gewissen Teil die fehlende Unterstützung der Studierenden, macht die Situation mitnichten erträglicher.

Ja, die Lehrkräftebildung hat politisch Priorität bekommen, nur die Hochschulen nicht. Solange das Hochschulsystem weiterhin nur Lippenbekenntnisse erhält, züchtet sich die Politik ein neues Problem heran. Dann geht es nämlich nicht mehr um die Zukunftsgestaltung der Lehrkräftebildung, sondern um die Frage, ob die hochschulische Lehrkräftebildung überhaupt eine Zukunft haben wird.