Lehrkräfte können von Schüler:innen viel über guten Unterricht lernen
Schüler:innen sind erstaunlich gut darin, sachliches Feedback zur Qualität von Unterricht zu geben. Für Lehrkräfte kann dies sehr hilfreich sein.
Lehrkräfte haben einen ganz eigenen Blick auf ihren Unterricht. Schüler:innen nehmen ihn gleichzeitig ganz anders wahr. Für die Bildungsforschung bieten beide Perspektiven wertvolle Informationen, die die Unterrichtsqualität verbessern können. Dr. Ann-Kathrin Jaekel von der Universität Tübingen erläutert, welche Gründe für ein regelmäßiges Schülerfeedback sprechen und wo dessen Grenzen liegen.
Fragt man Lehrkräfte, ob sie sich vorstellen können, Feedback von ihren Schülerinnen und Schülern zu ihrem Unterricht einzuholen, klingen die Antworten oft ähnlich:
„Sie haben ja gar keine Lehramtsausbildung.“
„Die meisten haben doch alles andere als Schule im Kopf!“
„Ich habe doch gute Gründe, weshalb ich meinen Unterricht so mache, wie ich ihn mache, das können ja die Schülerinnen und Schüler nicht wissen.“
Spontan würde ich als Bildungsforscherin all diesen Punkten zustimmen. Ja, Schülerinnen und Schüler haben kein Lehramtsstudium absolviert. Es ist auch bekannt – sowohl aus wissenschaftlicher Sicht als auch aus den leidvollen Erfahrungen von Eltern und Lehrkräften – dass beispielsweise die Motivation von Schülerinnen und Schülern für schulisches Lernen insbesondere im Pubertätsalter erst einmal abnimmt. Doch gerade weil die Lehrkraft ihren Unterricht gut durchdacht hat und oft auf Grundlage vieler Erfahrungswerte durchführt, hat sie ihren ganz eigenen Blick auf das, was im Unterricht geschieht und wie er geschieht. Schülerfeedback, kann hier eine sinnvolle Ergänzung der eigenen Perspektive sein, um den Unterricht nachhaltig zu verbessern.
Was ist Schülerfeedback?
Grundsätzlich gibt es drei Wege, Informationen über Unterrichtqualität einzuholen: Die Angaben der Lehrkraft selbst, die Angaben von externen, geschulten Unterrichtsbeoachterinnen und -beobachtern oder gegenseitigen Hospitationen und schließlich die Angaben der Schülerinnen und Schüler. Jede Methode hat unterschiedliche Vor- und Nachteile und mittlerweile ist man sich in der Forschung einig, dass diese Perspektiven nur bedingt miteinander vergleichbar sind. Deshalb spricht man von perspektivenspezifischen Informationen, das bedeutet: Jede Perspektive bietet für sich wertvolle und einmalige Informationen, die aus anderer Perspektive nicht oder nur unzureichend beurteilbar sind. So kann die Lehrkraft beispielsweise überzeugt davon sein, dass sie ganz genau gesagt hat, was in dieser Stunde zu tun ist. Für Schülerinnen und Schüler kann dies jedoch weniger klar geworden sein, was auch eine Ursache für Unruhe im Unterricht sein kann. Auch könnten für einen externen Beobachter die Aufgaben, die die Lehrkraft stellt, sehr anregend und kniffelig erscheinen. Die Schüler könnten diese aber als zu über- oder unterfordernd einordnen, worüber nur sie selbst Auskunft geben können.
„Schülerinnen und Schüler nehmen das Feedback nicht nur ernst, sondern erfahren es auch als Wertschätzung, dass ihre Meinung gehört wird.“
Dr. Ann-Kathrin Jaekel
Schülerfeedback soll also verstanden werden als Rückmeldung zum Unterricht auf Basis definierter Qualitätsmerkmale. Es geht daher nicht um eine Benotung oder um eine persönliche Bewertung, in welcher Lehrkräfte befürchten müssen, unsachlich und unreflektiert belangt zu werden und die Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit ergreifen, dem Lehrer oder der Lehrerin eins auszuwischen. Am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung haben wir in den Jahren 2018 und 2019 eine große Längsschnittstudie zum Thema Schülerwahrnehmung von Unterrichtsqualität mit mehr als 6000 Schülerinnen und Schülern durchgeführt. Das Fazit, das ich aus dieser Studie ziehe, ist, dass Schülerinnen und Schüler erstaunlich gut darin sind, Feedback auf Grundlage unterrichtsbezogener Qualitätsmerkmale zu geben. Sie nehmen das Feedback nicht nur ernst, sondern empfinden es auch als Wertschätzung, dass ihre Meinung zu der Lernumgebung, die sie tagtäglich erleben und die bedeutsam für ihre schulische Laufbahn ist, gehört wird. Auch aus Bayern und weiteren Bundesländern liegen gute Erfahrungswerte mit Schülerfeedback vor. In Schleswig-Holstein soll dieses zum kommenden Schuljahr als freiwilliges Angebot eingeführt werden. Solche Befragungen basieren immer auf unterrichtsbasierten Merkmalen, die der Lehrkraft im Sinne der eigenen Unterrichtsentwicklung Informationen bereitstellen.
Wie kann Schülerfeedback eingeholt werden?
Schülerfeedback kann ganz unterschiedlich eingeholt werden: mündlich durch eine kurze Handabstimmung, schriftlich mit ausgewählten Fragen, einmal oder mehrfach im Schuljahr. Ich empfehle, Fragebögen zu verwenden, die wissenschaftlich fundiert und validiert sind. Bei solchen Fragebögen können sich Lehrkräfte sicher sein, dass überprüft wurde, ob sie auch die Faktoren messen, die beabsichtigt sind und somit spezifisch und differenziert Auskunft über unterschiedliche Qualitätsaspekte des Unterrichts geben können. Beispielsweise basiert der Fragebogen des „Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg“ (IBBW) auf einer Vielzahl einzelner Qualitätsdimensionen, die sich den drei Basisdimensionen guten Unterrichts – Klassenführung, konstruktive Unterstützung und kognitive Aktivierung – zuordnen lassen.
Weiterlesen: Was guten Unterricht ausmacht
Im Gastbeitrag erläutert Prof. Ulrich Trautwein die Grundvoraussetzungen für Lernerfolg in der Schule.
Die Basisdimensionen wurden in vielen Studien als ausschlaggebend für das Lernen von Schülerinnen und Schülern befunden. In diesem Online-Feedbacktool können einzelne Dimensionen ausgewählt werden und es wird umgehend eine Auswertung bereitgestellt. Auch ein Fragebogen aus Sicht der Lehrkraft entlang derselben Qualitätsdimensionen kann genutzt werden, sodass beide Ergebnisse die Grundlage bieten können, mit den Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu kommen.
Wie häufig sollten Lehrkräfte Schülerfeedback einholen?
Da Schülerfeedback als Grundlage für eine Weiterentwicklung des Unterrichts dienen kann, ist es sinnvoll, wenn dieses nicht nur einmalig am Schuljahresende eingeholt wird, wenn möglicherweise auch noch ein Wechsel der Lehrkraft zum neuen Schuljahr bevorsteht. Damit die Lehrkraft die Ergebnisse mit den Schülerinnen und Schülern nicht nur besprechen, sondern gegebenenfalls ihren Unterricht auch anpassen kann, ist es beispielsweise sinnvoll, Feedback zum Halbjahr und nochmals am Schuljahresende einzuholen. Dies trägt auch dazu bei, dass die Schülerinnen und Schüler eine größere Wertschätzung ihrer Wahrnehmung und Beurteilung des Unterrichts erfahren.
„Eine große Anzahl an wissenschaftlichen Studien hat gezeigt, dass Schülerurteile eine verlässliche Methode zur Erfassung der erlebten Unterrichtsqualität sind.“
Dr. Ann-Kathrin Jaekel
Welche Informationen liefern Schülerfeedbacks?
Bei der Auswertung von Schülerrückmeldungen sind vor allem zwei Werte relevant: Dies ist zum einen der Mittelwert, der aufzeigt, wie eine bestimmte Qualitätsdimension (zum Beispiel die Strukturiertheit des Unterrichts) wahrgenommen wird. Beispielsweise würde auf einer Skala von 1 (negativste Bewertung) bis 4 (positivste Bewertung) ein Mittelwert von 3,2 aussagen, dass die Schülerinnen und Schüler den Unterricht als sehr strukturiert wahrnehmen. Der Mittelwert wird jedoch über alle Werte der gesamten Klassen hinweg gebildet und bietet nur einen groben Einblick. Daher ist zum anderen die Verteilung der Werte innerhalb der Klasse interessant. Dies zeigt der Lehrkraft, ob sich die Schülerinnen und Schüler in ihrem Eindruck eher einig sind und übereinstimmen, oder ob manche den Unterricht als eher unstrukturiert wahrnehmen, andere wiederum als sehr strukturiert. In beiden Fällen könnte ein gleicher Mittelwert vorliegen, weshalb die Betrachtung der Verteilung der Werte als zusätzliche Informationsquelle empfehlenswert ist.
Eine große Anzahl an wissenschaftlichen Studien hat gezeigt, dass Schülerurteile eine verlässliche Methode zur Erfassung der erlebten Unterrichtsqualität sind. Auch konnte mehrfach gezeigt werden, dass Schülerurteile positiv mit unterschiedlichen Zielkriterien des Unterrichts wie dem Leistungszuwachs, der Motivation oder dem Selbstkonzept in Verbindung stehen. Eine gute Unterrichtsqualität aus Sicht der Schülerinnen und Schüler geht also mit höheren Werten in solchen Zielkriterien des Unterrichts einher.
Welche Grenzen hat Schülerfeedback?
Wissenschaftliche Studien haben jedoch auch gezeigt, dass das Urteil von Schülerinnen und Schülern verschiedenen Merkmalen beeinflusst sein kann. So zeigte sich beispielsweise, dass die Zusammensetzung der Klasse oder die Note der Schülerinnen und Schüler im gleichen und sogar in einem anderen Fach die Urteile zur Unterrichtsqualität verzerren können. Lehrkräften muss außerdem bewusst sein, dass manche Vorgänge im Unterricht nicht von allen Schülerinnen und Schülern (gleichermaßen) stets sichtbar und beurteilbar sind, das gilt beispielsweise in einem differenzierten Unterricht, der nicht im Frontalstil gehalten wird. Solche Grenzen sollten bei der Interpretation der Ergebnisse stets mitgedacht und in der Diskussion der Ergebnisse mit den Schülerinnen und Schülern thematisiert werden.
Fazit zur Nutzung von Schülerfeedback
Schülerinnen und Schüler erleben im Laufe ihrer schulischen Laufbahn eine Vielzahl unterschiedlicher Lehrkräfte und Wege, wie Unterricht stattfindet. Weil Schülerinnen und Schüler die Hauptrezipienten von Unterricht sind und aus heutigem Verständnis Unterricht sowohl von der Lehrkraft als auch den Schülerinnen und Schülern gestaltet wird, sollte ihre Wahrnehmung auch berücksichtigt werden, um dem Anspruch demokratischer Teilhabe gerecht zu werden. Dies fordert auch der Landesschülerbeirat in seinem aktuellen Grundsatzprogramm. Es ist dabei jedoch wichtig, dass Schülerinnen und Schüler ihre Angaben anonym abgeben können, da sie sich nach wie vor in einem Abhängigkeitsverhältnis von der Lehrkraft befinden. Gleiches sollte auch für die Lehrkraft sichergestellt sein, falls Schülerfeedback in Schulen systematisch eingeholt wird. In diesem Fall sollten Schulleitungen nur zusammengefasste Werte einsehen können, beispielsweise pro Jahrgangsstufe. Aus diesem Grund erscheint es umso wichtiger, dass an Schulen eine Feedbackkultur etabliert wird, in der gegenseitige sachliche Rückmeldung als selbstverständlich empfunden wird.