Bei welchen Aufgaben Lehrkräfte und Schulleitungen entlastet werden können
Die Arbeitszeit von Lehrkräften ist durch zu viele unterrichtsfremde Aufgaben ausgefüllt. Woher Entlastung kommen kann, diskutieren Dr. Frank Mußmann und Thomas Dornhoff im Interview.
Eine neue Expertise von Mark Rackles, ehemaliger Staatssekretär für Bildung im Senat von Berlin, hat die Debatte um die Arbeitszeiterfassung von Lehrkräften neu entfacht. Wie sich die Aufgaben für Lehrkräfte und Schulleitungen verändert haben und wie Lehrkräfte wieder mehr Zeit für ihr eigentlichen Aufgaben bekommen können, diskutieren Dr. Frank Mußmann und Schulleiter Thomas Dornhoff im Interview.
Redaktion: Herr Mußmann, Sie haben untersucht wie sich die Arbeitszeit von Lehrern und Lehrerinnen heute gestaltet. Wie viel Zeit verbringen Lehrer und Lehrerinnen überhaupt noch mit Unterrichten?
Dr. Frank Mußmann: Mittlerweile macht der reine Unterricht nur noch ein Drittel der Gesamtarbeitszeit aus. Das war in früheren Jahrzehnten deutlich mehr, in der Grundschule waren es durchaus mal 50 Prozent, da ist es runtergegangen auf 40 Prozent und bei den allgemeinbildenden weiterführenden Schulen auf um die 30 Prozent. Es sind einfach in den letzten Jahrzehnten viele neue, zusätzliche Aufgaben dazugekommen.
Thomas Dornhoff: Ja, zum Beispiel der riesige Bereich der Digitalisierung. Früher waren das nur Computerräume, aber durch die Dynamik der letzten Jahre gab es ja ganz andere Fragen, da ging es ja darum, pädagogische Plattformen zu nutzen und vor der Nutzung kommt die individuelle Vorbereitung. Denn man muss sich natürlich auch klarmachen, dass mit dem Einführen von neuen digitalen Medien auch die Skills in diesem Bereich wachsen müssen. Denn diese im Unterricht souverän zu bedienen unter den Augen von 30 Schülerinnen und Schülern, das erzeugt einen enormen Druck und erfordert eigentlich Vorbereitungszeit, die es aber nicht gibt.
Mußmann: Wir haben tatsächlich in unserer Digitalisierungsstudie auch den digitalen Stress, der auf Lehrern und Lehrerinnen lastet, gemessen und da haben wir gesehen, dass genau das ein wesentlicher Stressfaktor ist, was Herr Dornhoff gerade beschrieben hat. Nämlich wenn gerade bei neuen digitalen Systemen, die noch nicht so etabliert sind oder vielleicht noch nicht so funktionieren, wie sie funktionieren sollten, es ein enormer Stressfaktor ist, vor der Klasse zu stehen, zu performen und sich darauf vorzubereiten, dass nichts schiefgeht. Wenn man sich deshalb quasi doppelt und dreifach vorbereiten muss, weil man es nicht nur für, sagen wir mal Apple TV vorbereitet, sondern für den Fall, dass das nicht funktioniert, man es noch einmal als PDF auf dem Laptop vorbereitet hat und für den Fall, dass das nicht funktioniert, man vielleicht noch ein Papier dabei hat, das ist ein ganz großer Stressfaktor. Wobei das je nach Schule ja auch sehr unterschiedlich ist.
Redaktion: Wenn der ganze Bereich der Digitalisierung mittlerweile so ein Stressfaktor ist, dann könnte es doch sinnvoll sein, IT-ler an Schulen einzustellen, damit Lehrkräfte wieder mehr Zeit für den Unterricht haben?
Mußmann: Ja, da sehe ich sogar eine echte win-win-Situation und es müssen ja keine studierten Informatiker sein, das können auch IT-Fachkräfte mit Haupt- oder Realschulabschluss sein, oder vielleicht sogar ohne Abschluss, die mit einer dualen Ausbildung als IT-Fachkraft ausgebildet werden könnten. Denn bei den Anforderungen in der Schule geht es ja nicht darum, Weltraumtechnik zu installieren.
Dornhoff: Das Problem sind die rechtlichen Voraussetzungen. Es müsste da ein extra Stellenprofil geschaffen werden, um diese Leute einzubinden und ihnen eine Perspektive zu bieten. Die langfristige Bindung an die Schule könnte da ein Problem sein, denn IT-Fachkräfte sind ja generell stark nachgefragt. Schule hat da nur sehr begrenzte Möglichkeiten, was die Perspektiven angeht. Da könnte man auch schauen, welche Menschen sonst schon im System Schule sind, die man über Schulungen weiterbilden könnte, ich denke da etwa an Schulassistenten und -assistentinnen. Deren Stellenprofil und Kompetenzen könnte man vielleicht erweitern, so dass sie auch die IT machen. Dafür muss man dann natürlich auch die entsprechenden Bezahlmöglichkeiten schaffen.
Redaktion: Welche weiteren Professionen könnten bei den Aufgaben ohne pädagogischen Hintergrund unterstützen?
Mußmann: Die sind vielfältig. Da müssen wir erstmal schauen, was in den letzten zehn, 15 Jahren an Aufgaben dazugekommen ist. Das sind zum Beispiel Vergleichsarbeiten, Wettbewerbe, Evaluationen und Lernstandserhebungen. Das sind sinnvolle Dinge, die es aber früher nicht gegeben hat und die laut unserer repräsentativen Befragung jede Lehrkraft im Durchschnitt immerhin 24 Minuten in der Woche kosten.
Darunter fällt auch der gesamte Bereich der Lernstandsdokumentation, die viele juristische Notwendigkeiten mit sich bringt. Da müsste man insgesamt schauen, wie man die Verwaltungsarbeiten im Schulalltag für Lehrkräfte vereinfachen könnte. Digitalisierung ist da nur eins von vielen Themen – ich würde gerne noch über das Thema Inklusion sprechen.
Redaktion: Welche Unterstützungsbedarf sehen Sie im Bereich Inklusion?
Mußmann: Der ganze Bereich Inklusion bringt viele zusätzliche Aufgaben mit sich, die von anderen Professionen wie Sonderpädagogen, Sozialpädagogen und teilweise Unterrichtshelfern erledigt werden können. Da bleibt heute häufig viel an einer einzelnen Lehrkraft hängen, was sie am Ende von der Unterrichtsvor- und -nachbereitung, also den pädagogischen Kernaufgaben, abhält.
Dornhoff: Ja, im Hinblick auf die wachsende Heterogenität der Lerngruppen haben wir einige Herausforderungen. Die erfordert eine größere Zusammenarbeit innerhalb der Kollegien, da gibt es jetzt mehr Konferenzen, der Austausch zwischen den Fachlehrerinnen und Fachlehrern mit den Sozialpädagogen und Schulbegleiterinnen und Schulbegleitern braucht zum Beispiel viel Zeit.
Redaktion: Wie viel Zeit verbringen Lehrkräfte insgesamt mit diesen neuen Aufgaben, die es vor ein bis zwei Jahrzehnten noch nicht gab?
Mußmann: Das ist laut unseren Studien fast ein Viertel der Arbeitszeit. Deshalb haben wir auch geschaut, was das für Auswirkungen hat. Unsere Forschung hat ergeben, dass Lehrkräfte priorisieren müssen, denn wenn etwa Ergebnisse von Lernstandserhebungen eingetragen werden müssen, dann kann man sich das ja nicht sparen. Dafür muss man dann an anderer Stelle sparen, etwa an der Unterrichtsvor- und nachbereitung. Darunter leiden viele Lehrkräfte: Es ist ein großer Belastungsfaktor, wenn sie nicht die Unterrichtsqualität gewährleisten können, die sie professionell von sich selbst erwarten.
Dornhoff: Zusätzlich gibt es da auch einen hohen Druck wegen der Veränderung der Unterrichtskultur: Ich kann die neuen digitalen Geräte nicht einfach ignorieren. Die Geräte müssen genutzt werden. Der Druck ist enorm, dann auch Konzepte zu finden und das auch umzusetzen und die Dynamik wird sich weiter fortsetzen.
Redaktion: Da wären wir wieder bei den IT-lern und Schulassistenten…
Dornhoff: Ja, und da muss man die Frage stellen, ist Schule wirklich ein Feld, wo unter den Voraussetzungen eines durch Fachkräftemangel geprägten Arbeitsmarkts, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langfristig gehalten werden können? Oder wären diese Stellen dann nachhaltig von Fluktuation betroffen? Das wäre ein großes Problem bei einem System, das eben auf Routinen aufsetzt – wir haben in Schulen eine große Zahl an Prozessen, die nur ein- bis zweimal im Jahr stattfinden. Und das bedeutet, ich profitiere deutlich davon, wenn Menschen länger in System sind, weil sie zumindest einmal diesen Durchlauf von Zeugniserstellung oder Ähnlichem miterlebt haben. Ich sehe bei den Schulsekretariaten noch deutliche Potenziale: Bei Sekretärinnen und Sekretären ist es heute so, dass die Arbeitsplatzbeschreibung und Entlohnung häufig nicht die Aufgaben abbilden, die sie in der Realität haben. Wenn man die Schulsekretariate personell und kompetenzmäßig stärken würde, könnte das eine Möglichkeit sein, um konkurrenzfähig am Arbeitsmarkt zu sein.
Mußmann: Ein schönes Beispiel für die IT-Kräfte hätte ich aus Frankfurt. Da gibt es, auch aus der Not geboren, IT-Fachkräfte, die aus einem Pool heraus feuerwehrmäßig an die Schulen gehen. Das Schuldezernat hat da für eine schulübergreifende Lösung gesorgt.
Redaktion: Welche Unterstützung von anderen wünschen sich Lehrkräfte noch?
Mußmann: Wir haben in unseren Studien festgestellt, dass viele Lehrkräfte sich auch organisatorische Unterstützung bei der Klassenführung wünschen. Das wäre ja ein Bereich, der zur Weiterqualifizierung führen würde. Ein Beispiel wären die Organisation von Klassenfahrten, Schulveranstaltungen aller Art oder auch neue Formen der Öffentlichkeitsarbeit – wenn das jemand systematisch angehen würde, würde das das Schulsekretariat aufwerten. In einer ähnlichen Situation haben sich an den Universitäten beispielsweise die neuen Fakultätsreferentinnen und Fakultätsreferenten bewährt. Ergänzend würde ich hier aber noch erwähnen, dass sich in unserer Befragung Lehrkräfte besonders aus dem Bereich der Schulsozialarbeit und Schulpsychologie Verstärkung wünschen.
Redaktion: Herr Doktor Mußmann und Herr Dornhoff, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Zur Person
Dr. Frank Mußmann ist Projektleiter an der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Georg-August-Universität Göttingen. Er hat in den letzten Jahren mehrere Studien zu Arbeitszeit und Arbeitsbelastung bei Lehrkräften durchgeführt.
Zur Person
Thomas Dornhoff ist Schulleiter am Hainberg-Gymnasium in Göttingen.