Medienkompetenz an Schulen fördern: Journalistische Prinzipien als Schlüssel zur Bildung
Warum Quellenprüfung, Perspektivenvielfalt und Verantwortungsbewusstsein Teil des Unterrichts sein sollten

Die Debatte über Medienkompetenz an Schulen konzentriert sich derzeit stark auf die Smartphone-Nutzung und deren Einschränkungen. Medienwissenschaftler Prof. Bernhard Pörksen setzt dem das Konzept der „redaktionellen Gesellschaft“ entgegen. Im Interview erklärt er seine Bildungsvision, die Schülerinnen und Schüler zu reflektierten Mediennutzenden macht.
Redaktion: Herr Professor Pörksen, welche Kompetenzen sollte nach Ihrem Konzept der redaktionellen Gesellschaft jede Schülerin und jeder Schüler in Bezug auf Medienkompetenz erwerben, um in der digitalen Öffentlichkeit verantwortungsvoll agieren zu können?
Prof. Bernhard Pörksen: Aus meiner Sicht sollten wir den Übergang von der digitalen Gesellschaft, in der wir heute leben, hin zur redaktionellen Gesellschaft der Zukunft aktiv gestalten. Die redaktionelle Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der die Prinzipien und Maximen des guten Journalismus zu einem Bestandteil der Allgemeinbildung geworden sind, zum Beispiel: Analysiere deine Quellen, nutze unterschiedliche Quellen, prüfe zuerst, publiziere später, höre auch die andere Seite, mach ein Ereignis nicht größer, als es ist, und orientiere dich an Relevanz und Proportionalität.
Meine These lautet: Im Ethos des guten Journalismus liegt ein Wertegerüst für das öffentliche Sprechen – und damit eine Bildungsvision für Schülerinnen und Schüler, die längst selbst zu Senderinnen und Sendern geworden sind.
Redaktion: Sie schlagen ein eigenes Schulfach vor, das Medienwissenschaft, Ethik und Sozialpsychologie verbindet. Angesichts der bildungspolitischen Realität: Wie kann Medienkompetenz praxisnah und fächerübergreifend im bestehenden Stundenplan der Schulen verankert werden?
Pörksen: Aus meiner Sicht braucht es tatsächlich ein eigenes Schulfach, weil die Medienrevolution, die wir erleben, so tiefgreifend ist- vergleichbar mit der Erfindung der Schrift, dem Buchdruck und der Vernetzung der Welt. Ein solches Schulfach sollte die Macht der Medien verdeutlichen, die Medienpraxis einüben, das Ringen um das bessere Argument fördern und die genaue Quellenkenntnis schärfen.
Darüber hinaus sollte es eine Disziplin trainieren, die man angewandte Irrtumswissenschaft nennen könnte, also die Auseinandersetzung mit der enormen Irrtumsanfälligkeit des Menschen. Ich persönlich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, ein bisschen Medienkunde hier und da mitzumachen. Die Frage der Verantwortung ist zu grundlegend, um sie zu sehr zu verwässern.
Redaktion: Welche direkt umsetzbaren Übungen oder Formate würden Sie Lehrkräften dennoch vorschlagen, um Schülerinnen und Schüler für den kritischen Umgang mit Informationen und digitalen Medien zu sensibilisieren?
Pörksen: Mir imponiert es sehr, dass so viele Journalistinnen und Journalisten oft gegen kleines Geld oder ganz ehrenamtlich in die Schulen gehen. Da gibt es aus meiner Sicht eine bislang unentdeckte Graswurzelreproduktion der Medienbildung, die vom Spielfeldrand und aus dem Journalismus kommt. Journalistinnen und Journalisten einzuladen und die Auseinandersetzung mit der Frage zu trainieren, was glaubwürdige, relevante und überhaupt veröffentlichte Information ist, erscheint mir als ein einfach umsetzbares Gebot der Stunde.
Redaktion: Herr Professor Pörksen, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person
Prof. Dr. Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und Autor zahlreicher Bücher. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem Medienwandel, Krisen- und Reputationsmanagement sowie Inszenierungsstile in Politik und Medien.





