Neue Forschung zu Lehrer-Schüler-Beziehungen: Warum sie so wichtig sind wie nie zuvor

Neue Studien kristallisieren immer deutlicher heraus: Beziehungspflege ist eine Schlüsselressource für Lernende und Lehrende

Schon lange ist in der Forschung bekannt, dass ein gutes Verhältnis zwischen Lehrkräften und Schüler:innen eine Reihe von positiven Effekten hat, etwa auf Motivation, Lernverhalten und Leistungen der Lernenden. Neuere Studien unterstreichen diese Wirkung vertrauensvoller Beziehungen im Klassenzimmer nicht nur, sondern erweitern das Bild um wesentliche Aspekte. Einer davon: Gute Lehrer-Schüler-Beziehungen wirken auch auf die Lehrkraft selbst vielfältig positiv zurück.

In der Corona-Pandemie, als die zwischenmenschliche Interaktion zwischen Lehrkraft und Schüler:innen stark eingeschränkt war, zeigte sich besonders, wie sehr es auf das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden ankommt: Bildungsforscherin Ann-Kathrin Jaekel beobachtete 2020 im Distanzunterricht, dass persönlich erstellte Videos oder auch persönliche Treffen mit Lehrerinnen und Lehrern aus Schülersicht großen Einfluss auf die Unterrichtsqualität, ihre Freude am Lernen und ihre Anstrengungsbereitschaft haben.

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Für Motivation, Wohlbefinden und Leistung von Schulkindern spielt die persönliche Beziehung zu ihrer Lehrkraft eine große Rolle. Der Schlüssel ist emotionale Unterstützung, erklärt Bildungsforscherin Ann-Kathrin Jaekel.

Neue Studien bestätigen Hattie: Ein gutes Verhältnis zur Lehrkraft steigert schulische Leistungen

Dass die Beziehungen, die Lehrende und Lernende zueinander aufbauen, eine entscheidende Bedeutung für schulischen Lernerfolg haben, zeigte schon vor 17 Jahren der renommierte neuseeländische Bildungsforscher John Hattie in seiner Metastudie Visible Learning (2008). Auch in seiner aktuellen Auswertung (Visible Learning: The Sequel, 2023) zählt die Lehrer-Schüler-Beziehung zu den stärkeren Einflussgrößen auf schulische Leistungen – deutlich wirksamer als etwa Klassengröße, Hausaufgaben oder offene Lernformen.

Aktuelle Studien bestätigen und differenzieren diesen Befund: So zeigte eine Untersuchung von Xiaohui Chen et al. (2024) mit über 300 Schüler:innen an chinesischen Landesschulen, dass Jugendliche mit einer guten Beziehung zur Lehrkraft im Schnitt bessere Noten schreiben. Auch die systematische Übersichtsarbeit von Giulia Di Lisio et al. (2025) mit 45 quantitativen Studien kommt zu dem klaren Ergebnis: Positive Lehrer-Schüler-Beziehungen stehen durchgängig in Zusammenhang mit höherem Engagement und besseren Lernleistungen. Umgekehrt sind belastete Beziehungen häufig mit Leistungsabfall oder gar Schulverweigerung verknüpft.

Alle drei Studien zeigen damit übereinstimmend, wie entscheidend eine tragfähige Beziehung zur Lehrkraft für den schulischen Erfolg ist – unabhängig von Land, Schulform oder Studienmethode.

Zentrale Merkmale starker Lehrer-Schüler-Beziehungen

Die Bildungsforscherin Ann-Kathrin Jaekel hat bereits 2022 im Online-Magazin Schulmanagement zentrale Merkmale starker Lehrer-Schüler-Beziehungen benannt – basierend auf aktuellen Befunden der Bildungspsychologie. Dazu gehören:

  • Verlässliche, positive Bindung und ein Gefühl von sozialer Eingebundenheit
  • Unterstützende Beziehung – keine Kumpelrolle
  • Sensibler Umgang mit Fehlern: kein Bloßstellen, kein Spott
  • Ansprechbarkeit der Lehrkraft bei Sorgen und Fragen
  • Konstruktive Unterstützung im Sinne lernförderlicher Unterrichtsqualität
  • Respektvoller, zugewandter und empathischer Umgang
  • Geduld und individuelle Hilfe bei Verständnisproblemen
  • Klare, faire und ermutigende Rückmeldungen
  • Wahrgenommene Gerechtigkeit trotz hierarchischer Rollenverteilung

Besonders benachteiligte Schüler:innen können profitieren

Gerade für benachteiligte Schüler:innen können gute Lehrer-Schüler-Beziehungen besonders wertvoll sein und ihnen helfen, schwere Lebensphasen zu meistern. So betonen Di Lisio und Kolleg:innen in ihrer Analyse der Studienlage, dass besonders Kinder mit Migrationshintergrund, aus bildungsfernen Haushalten oder mit Lernschwierigkeiten überdurchschnittlich stark von guten Beziehungen mit Lehrkräften profitieren: Auch die zuvor genannte Studie von Chen und Kolleg:innen weist nach, dass ein gutes Verhältnis zur Lehrkraft besonders jenen half, die erschwerte Lernbedingungen haben, etwa durch psychische Belastungen oder sozioökonomische Nachteile. Entscheidend war dabei, dass die Schülerinnen und Schüler eine gewisse Resilienz aufwiesen. Dann bot eine positive Lehrer-Schüler-Beziehung diesen Kindern trotz Belastung einen entscheidenden Schutzfaktor für den schulischen Erfolg.

Für die Schulpraxis ist diese Wechselwirkung hochgradig relevant: In einem schulischen Umfeld, das sowohl auf Beziehungspflege als auch auf Resilienzförderung setzt (etwa durch Rückmeldung, Ermutigung, sichere Räume), verstärken sich beide Wirkfaktoren gegenseitig.

Eng verknüpft: Wohlbefinden und psychische Gesundheit von Lehrkräften und Schüler:innen

Zunehmend rückt die Forschung auch die Wirkung vertrauensvoller Lehrer-Schüler-Beziehungen auf das Wohlbefinden der Lernenden in den Fokus. Eine britische Studie (Mills-Webb & Hennessey, 2025) zeigt, dass positive Beziehungen im Klassenzimmer Stress mindern und Achtsamkeit fördern können: Schüler:innen, die eine vertrauensvolle Beziehung zu ihrer Lehrkraft haben, nehmen Lernsituationen entspannter wahr – und entwickeln stabilisierende Kompetenzen im Umgang mit Belastung. Noch deutlicher fällt dieser Zusammenhang in einer groß angelegten chinesischen Studie aus (Yan et al., 2025): Auf Basis von Daten über 127.000 Schüler:innen und 2.700 Lehrkräften konnten die Forschenden zeigen, dass die psychische Gesundheit von Lehrkräften eng mit jener ihrer Schüler:innen korreliert. Lehrkräfte mit depressiven Symptomen hatten im Schnitt auch mental belastetere Klassen, während umgekehrt psychisch stabile Lehrkräfte deutlich häufiger mental gesündere Schüler:innen begleiteten. Die Forschenden konnten diese Verbindung auf Basis eines sogenannten Eins-zu-eins-Matchings belegen – also für jede einzelne Klasse und ihren jeweiligen Klassenlehrer:in direkt zuordnen.

Auch in Deutschland deuten Daten in eine ähnliche Richtung: Laut dem Deutschen Schulbarometer 2024, einer Befragung von 1530 Kindern und Jugendlichen zwischen 8 und 17 Jahren, berichten Schüler:innen von einem höheren schulischen Wohlbefinden, wenn sie regelmäßig an Klassenleitungsstunden teilnehmen, in denen offen über Sorgen, Konflikte oder Klassenthemen gesprochen wird. Die Autor:innen betonen: Schon die institutionalisierte Möglichkeit zum Austausch wirkt stabilisierend auf das emotionale Erleben im Schulalltag.

Tatsächliches Vertrauen der Schüler:innen zählt

Einen interessanten Einblick in das Beziehungsgefüge zwischen Lehrkräften und Schüler:innen im Bezug auf das Wohlempfinden bietet eine aktuelle Studie an Grundschulen in Nordrhein-Westfalen (Ialuna et al., 2024). Sie untersuchte, wie sich kulturell sensible Unterrichtsprinzipien, Lehrer-Schüler-Beziehungen und das Gefühl schulischer Zugehörigkeit zueinander verhalten. Das Ergebnis: Kinder, die selbst eine enge Beziehung zu ihrer Lehrkraft empfanden, fühlten sich signifikant wohler und verbundener mit ihrer Schule. Besonders stark war dieser Effekt bei Schüler:innen mit Migrations- oder Fluchterfahrung.

Ein zentrales Ergebnis: Nicht die Einschätzung der Lehrkraft war ausschlaggebend, sondern allein die Wahrnehmung der Kinder selbst. Die Studie zeigt: Lehrkräfte, die sich selbst als besonders sicher in „culturally responsive teaching“ beschrieben, berichteten paradoxerweise über mehr Konflikte mit geflüchteten Schüler:innen. Das lässt auf eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit schließen – und unterstreicht, wie entscheidend die tatsächliche Perspektive der Schülerinnen und Schüler auf die Beziehung ist und welches Vertrauen sie tatsächlich entwickeln. Die Forschenden empfehlen: Lehrkräfte sollten besser darin geschult werden, kulturelle Vielfalt sensibel zu bedienen und so Beziehungen zu allen Schülergruppen zu stärken.

Gute Beziehung zu Schüler:innen stärken auch die Lehrkräfte

Nicht nur Kinder und Jugendliche profitieren von guten Lehrer-Schüler-Beziehungen – auch Lehrkräfte selbst. In einem systematischem Review hat Benjamin Dreer von der Universität Erfurt (2023) 44 Studien mit über 76.000 Lehrpersonen ausgewertet, dabei zeigte sich: Das Wohlbefinden von Lehrkräften hängt eng mit der Beziehung zu ihren Schüler:innen zusammen. Wer sich im Klassenzimmer verstanden und respektiert fühlt, der zeigt mehr Zufriedenheit und entsprechend eine stärkere mentale Gesundheit. „Positive Lehrer-Schüler-Beziehungen waren mit einem höheren Wohlbefinden der Lehrkräfte und einem geringeren Maß an Stress und Burnout verbunden”, schreibt der Wissenschaftler.

Der Zusammenhang wirkt also in beide Richtungen: Je besser es Lehrkräften psychisch geht, desto stabiler gelingen ihnen Beziehungsarbeit und Klassenführung mit entsprechend positiven Konsequenzen für die Lernenden. Und je besser sich die Beziehungen zu den Schüler:innen entwickeln, desto mehr profitieren wiederum die Lehrkräfte davon. Einzelstudien im Review zeigen, dass gute Beziehungen zu Schüler:innen eine Art emotionales Schutzpolster bieten können: Sie stärken das Gefühl, im eigenen Beruf angenommen und gebraucht zu werden.

Gerade in Zeiten von Arbeitsverdichtung, Lehrkräftemangel und wachsendem Druck auf Schulen ist das ein starkes Argument: Die Beziehung zwischen Lehrkraft und Schüler:innen ist nicht nur für Lernende bedeutsam, sie ist auch eine Ressource für die Lehrperson.