Personalisierte KI-Lernassistenten: Großes Potenzial für individualisiertes Lernen?

Künstliche Intelligenz bietet enormes Potenzial für individualisiertes Lernen. Wie KI-Assistenten den Unterricht verändern könnten.

Künstliche Intelligenz hält Einzug in deutsche Klassenzimmer - und könnte den Unterricht grundlegend verändern. Aktuelle Studien zeigen: Personalisierte KI-Lernassistenten steigern nicht nur die Lernerfolge, sondern können auch die Motivation der Schülerinnen und Schüler steigern. Doch wie funktionieren die digitalen Helfer genau? Und was bedeutet ihr Einsatz für Lehrkräfte?

ChatGPT und andere KI-Tools werden inzwischen von vielen Lehrkräften zur Unterrichtsvorbereitung, zur Klassenfahrt-Planung oder zur Formulierung von Elternbriefen genutzt. Manche Schülerinnen und Schüler nutzen sie auch schon als Lernassistenten. Eine Meta-Studie von Deng und Yu hat gezeigt, dass das Sinn machen kann: Lernende, die mit Chatbots arbeiten, erzielen demnach tendenziell bessere Ergebnisse als Lernende, die traditionelle Methoden nutzen. Die Meta-Studie zeigte auch, dass Chatbots Lerninhalte nicht nur kurzfristig vermitteln, sondern dazu beitragen, dass auf diese Weise vermittelte Inhalte auch langfristig im Gedächtnis bleiben. Außerdem können Chatbots die Lernbereitschaft von Schülerinnen und Schülern fördern.

"Diese aktuellen Forschungserkenntnisse zeigen auch, dass KI-Lernassistenten zu einer Individualisierung des Unterrichts beitragen können", erklärt Sebastian Becker-Genschow, Professor für Digitale Bildung mit Schwerpunkt Künstliche Intelligenz an der Universität zu Köln. Er untersucht mit seinem Team die Wirksamkeit der digitalen Helfer genauer. Ziel dabei ist es, dass sich das KI-System  an Lerntempo und -stil jedes einzelnen Lernenden anpasst und maßgeschneiderte Aufgaben und Erklärungen bietet. "So können wir jeden optimal fördern - egal ob Mathe-Ass oder Nachhilfeschüler", so Becker-Genschow. „Wir forschen aktuell daran, wie Chatbots wie ChatGPT oder Claude, die auf großen Sprachmodellen basieren, für den Unterricht konfiguriert werden können. Damit gehen wir in die Schulen und evaluieren die Wirksamkeit dieser digitalen Helfer."

Dabei werden benutzerdefinierte, für bestimmte Aufgaben spezialisierte KI-Chatbots genutzt. Diese basieren auf spezifischem Wissen, verfügen über didaktische und pädagogische Fähigkeiten und können verschiedene Rollen oder Charaktere übernehmen – zum Beispiel Marie Curie als Role Model für Mädchen. Sie sind über die normale Konversation mit dem Chatbot konfigurierbar, ohne dass Programmierkenntnisse erforderlich sind, was einen niedrigschwelligen Zugang zur Anwendung ermöglicht. Diese digitalen Lernassistenten sind zudem jederzeit und überall verfügbar.

Mehr Motivation durch digitale Lernbegleiter

Die Studie verfolgt einen mehrstufigen Ansatz. "Zunächst testen wir die Methodik in einer kontrollierten Umgebung", erläutert Sebastian Becker-Genschow. "Der nächste Schritt ist dann, Lehrkräfte entsprechend zu schulen und die Technologie für den realen Unterrichtseinsatz zu adaptieren." Langfristig sei das Potenzial dieser digitalen Helfer enorm. "Wir sprechen hier nicht von einer Revolution, aber es gibt die Möglichkeit, den Unterricht individueller zu gestalten und neue didaktische Konzepte einzuführen."

Ein besonderes Augenmerk von Becker-Genschows Forschung liegt darauf, wie Schülerinnen und Schüler mit Chatbots interagieren und welche Einstellungen und Emotionen dabei auftreten. "Insbesondere beobachten wir, dass das Interesse an MINT-Fächern bei Schülerinnen im Laufe der Schulzeit schwindet." Hier könnten weiblich konnotierte Chatbots als Rollenmodelle fungieren und Begeisterung für technische oder wissenschaftliche Berufe wecken, so seine Hoffnung.

Besonders spannend: Die Kinder und Jugendlichen interagieren laut seiner Studie völlig unbefangen mit den KI-Assistenten. "Die positiven Emotionen sind sogar stärker ausgeprägt als bei herkömmlichen Lernmethoden", berichtet der Forscher. Ein Grund dafür: Die Hemmschwelle, Fehler zuzugeben, sinke im Vergleich zur echten Lehrkraft. Vielen fällt es offenbar leichter, bei einer KI statt bei der Lehrkraft nachzufragen: "Die Lernenden wissen, dass es keine negativen Konsequenzen hat, wenn sie einen Chatbot befragen. Das schafft eine ganz neue Offenheit fürs Lernen."

Die Nutzung von Chatbots ist nicht auf bestimmte Schulformen oder Fächer beschränkt. "Unsere Forschung legt nahe, dass Schülerinnen und Schüler unabhängig von Schulart oder Leistung diese Technologien in ähnlichem Maße nutzen", berichtet Sebastian Becker-Genschow. Entscheidend sei jedoch die didaktische Einbindung: "Es kommt nicht nur auf das Tool an, sondern vor allem auch darauf, wie es in ein pädagogisches und didaktisches Konzept eingebettet wird."

Chancen für mehr Bildungsgerechtigkeit

Besonders wichtig sei die Frage der Bildungsgerechtigkeit. "Kinder aus akademischen Haushalten erhalten oft Unterstützung durch Nachhilfe oder durch ihre Eltern. Aber was ist mit denen, die sich das nicht leisten können?" Hier könnten Chatbots eine wertvolle Ergänzung sein: "Wenn diese Systeme kostenlos zur Verfügung stehen, bieten sie allen Schülerinnen und Schülern eine Chance, über den Unterricht hinaus zu lernen und sich weiterzuentwickeln."

Für Lehrerinnen und Lehrer bedeutet der Einsatz von KI-Assistenten sowohl Chance als auch Herausforderung. "Es geht nicht darum, die Lehrkraft zu ersetzen", betont Becker-Genschow. "Vielmehr können die KI-Systeme den Unterricht bereichern und die individuelle Förderung erleichtern." Entscheidend sei die richtige didaktische Einbindung. Lehrkräfte sollen durch Schulungen fit gemacht werden für den Einsatz der neuen Technologie.

Zur Person

Sebastian Becker-Genschow ist Professor für Digitale Bildung an der Universität zu Köln. Er leitet das Forschungsgebiet Digitale Bildung mit dem Schwerpunkt Künstlicher Intelligenz.  Seine Forschungsschwerpunkte sind hierbei die Digitalisierung von Lehr-Lernprozessen sowie die Lernprozessanalyse mittels Eyetracking und künstlicher Intelligenz.