Positive Rückmeldungen für das Referendariat

Der Präsident des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) in Baden-Württemberg, Prof. Dr. Thomas Riecke-Baulecke, erläutert Forschungsbefunde zur Lehrkräfteausbildung.

Die Qualität der Lehrkräfteausbildung ist ein zentraler Erfolgsfaktor für gute Schule. Wie schätzen die an der Ausbildung Beteiligten die Qualität ein? Darüber spricht der Präsident des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) in Baden-Württemberg und Mitherausgeber dieses Magazins, Prof. Dr. Thomas Riecke-Baulecke, im Interview.

Redaktion: Herr Riecke-Baulecke, das Thema Lehrkräftebildung gehört sicher zu den Dauerbrennern der bildungspolitischen Debatte und es gibt immer wieder kritische Stimmen, die mit der gängigen Praxis unzufrieden sind. So hat beispielsweise Dr. Carolina Börries von der Universität Oldenburg erst kürzlich im Interview mit unserem Magazin Kritik geübt. Sie ist der Meinung, dass die angehenden Lehrkräfte durch die gegenwärtige Struktur des Referendariats über Gebühr belastet und gestresst werden. Referendarinnen und Referendare befänden sich in einer permanenten Bewertungssituation, statt angstfrei zu lernen, wie man vor der Klasse guten Unterricht macht. Was sagen Sie zu dieser Diagnose?

Prof. Dr. Thomas Riecke-Baulecke: Als ich vor vielen Jahren Sprecher im Referendariat war, erhielt ich des Öfteren solche Rückmeldungen. Ich kenne sie aus eigener Erfahrung gut, sie waren für mich damals Anlass, im Dialog mit dem Studienseminar über Veränderungen nachzudenken. Und so halte ich es auch heute. Hellhörig sollten wir allerdings sein, wenn aus einzelnen Rückmeldungen und Eindrücken Verallgemeinerungen abgeleitet werden, das gilt sowohl mit Blick auf die erste Phase der Ausbildung als auch für die zweite, den Vorbereitungsdienst. Die Behauptung, der Vorbereitungsdienst bereite die angehenden Lehrkräfte nur unzureichend auf den Beruf vor, ist aus Sicht aller an der Ausbildung Beteiligten nicht haltbar.

Redaktion: Welche wissenschaftlich abgesicherten Befunde gibt es zur Frage, wie angehende Lehrkräfte den Vorbereitungsdienst bewerten?

Riecke-Baulecke: Im Rahmen einer umfangreichen Vergleichsstudie (Benchmarking in der Lehrerbildung) wurden alle an der Ausbildung Beteiligten in den fünf norddeutschen Bundesländern und Bayern zur Qualität der Ausbildung in der zweiten Phase befragt (Christensen et al., 2007). Die übergroße Mehrheit der an der Ausbildung Beteiligten und die Referendarinnen und Referendare selbst gaben an, dass der Vorbereitungsdienst die angehenden Lehrkräfte gut auf ihre Arbeit als Lehrkraft vorbereite. Interessant war, dass diese Einschätzung unabhängig von den sehr unterschiedlich ausgestalteten Ausbildungs- und Prüfungsordnungen in den Bundesländern ausfiel. Diese Studie – die auch eine Vielzahl von Ergebnissen insbesondere auch mit Blick auf die Umsetzung der KMK-Standards für die Lehrerbildung und die Bedeutung der verschiedenen Bausteine des Vorbereitungsdienstes enthält – ist zwar schon etwas älter, aber der positive Befund ist nach wie vor gültig, das bestätigen zahlreiche Folgeerhebungen, die in Schleswig-Holstein durchgeführt wurden.

Als ein Beispiel sei der Wert genannt, wonach 85 Prozent der befragten Lehrkräfte in den ersten Berufsjahren retrospektiv der Aussage „Der Vorbereitungsdienst hat mich gut auf meine Arbeit als Lehrkraft vorbereitet“ mit „trifft eher zu“ oder „trifft voll zu“ zustimmen (Christensen et al. 2007, S. 70). Zum gleichen Ergebnis kommt 2016 eine Expertenkommission im Rahmen einer externen Evaluation in Schleswig-Holstein. Sie hält fest: „In den Interviews im Rahmen unserer Evaluation ergab sich ein überaus positives Bild: Über die verschiedenen Akteursgruppen hinweg zeigt sich, dass die Ausbildung als gute Vorbereitung für die Arbeit an den Schulen bewertet wird. Die Inhalte der Module und Veranstaltungen wurden nicht nur von den Ausbildungslehrkräften als relevant für die Schule gesehen. Die LiVs (Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst, Anm. der Red.) würden am Ende über die Kompetenzen verfügen, die sie als junge Lehrpersonen benötigen – so das einheitlich vermittelte Statement. Auch die Motivation und das Engagement der jungen Lehrpersonen wurden sehr positiv bewertet." (Gräsel & Richter, 2016, S. 11)

„Festgestellt wurde, dass das subjektive Befinden von angehenden Lehrkräften im Mittel positiv ist.“

Prof. Dr. Thomas Riecke-Baulecke

Redaktion: Gibt es noch weitere Studien zum Vorbereitungsdienst?

Riecke-Baulecke: Ja, die wohl bekannteste wurde im Rahmen des Forschungsprojekts Coaktiv-R durchgeführt. Hier ging es um Professionswissen, Überzeugungen, motivationale Orientierungen und selbstregulative Fähigkeiten, wie zum Beispiel um den Umgang mit beruflichen Belastungen und den eigenen Ressourcen. Festgestellt wurde, dass das subjektive Befinden von angehenden Lehrkräften im Mittel positiv ist. Die vielfältigen Belastungen im Vorbereitungsdienst machen sich zwar bei denjenigen, die in ihrer Ausbildung bereits weiter sind, in etwas erhöhten Erschöpfungswerten bemerkbar, doch dieser Effekt erscheint relativ gering, denn gleichzeitig wurde eine hohe Berufszufriedenheit geäußert. Fazit der Forschenden: „Insgesamt sprechen unsere Befunde nicht für einen großen Praxisschock“ (Voss et al. 2011, S. 12). 

Solche empirischen Befunde sind wichtig, aber als Verantwortliche für die Lehrkräftebildung sind wir gut beraten, wenn wir ergänzend dazu auch Gespräche mit den Beteiligten führen. Zu meinen ersten Schritten seit der Gründung des ZSL (Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung) 2019 gehörte deshalb die Initiierung eines „Qualitätsdialogs“. Bei meiner Rundreise durch die Seminare in Baden-Württemberg, bei der ich Gesprächsrunden mit rund 350 Personen von 42 Personalvertretungen der Lehramtsanwärter:innen hatte, erhielt ich durchweg sehr positive Rückmeldungen zur Ausbildung in Baden-Württemberg, aber natürlich auch Hinweise auf Optimierungsbedarfe, die sich mit den Empfehlungen aus den angesprochenen Studien vielfach decken.

Redaktion: Wo sehen Sie Optimierungsbedarf, welche Punkte sind für Sie vordringlich?

Riecke-Baulecke: Die oben erwähnte Benchmarking-Studie hat verdeutlicht, dass unterrichtsnahe Ausbildungselemente für sehr bedeutsam gehalten werden. Andere Elemente, wie etwa die Hausarbeit, wurden hingegen als deutlich weniger relevant eingeschätzt. Das wirft Fragen auf: Sind die bisherigen Formen der Hausarbeit so sinnvoll? Oder: Wie kann die Qualität der Ausbildung an den Schulen gesichert und mit der Ausbildung in den Seminaren/Landesinstituten verzahnt werden? Ein großer Wunsch aller Beteiligten ist auch, dass Ausbildungsinhalte und Kriterien für guten Fachunterricht aufeinander abgestimmt sein sollten. Aus Coaktiv-R ist mitzunehmen, dass für einen produktiven Umgang mit Belastungssituationen, insbesondere im schulischen Kontext, Fragen der Klassenführung in praxisnahen Trainings und Fallbearbeitungen zu akzentuieren wären. Das sind einige der Punkte, über die nachgedacht werden sollte. 

„Darüber, dass die Auseinandersetzung mit den besonderen Ansprüchen des Berufs möglichst frühzeitig und kontinuierlich in der Lehrkräfteausbildung stattfinden sollte, gibt es eigentlich Konsens.“

Prof. Dr. Thomas Riecke-Baulecke

Redaktion: Was sagen Sie zum Leistungsdruck im Referendariat?

Riecke-Baulecke: Da gilt Ähnliches wie für die Schule: Schule wie Ausbildung beinhalten beides, nämlich Lern- und Leistungssituationen. Beide sind wichtig und sollten ihren Stellenwert haben: In Lernsituationen geht es primär um Kompetenzerwerb, wozu das Lernen aus Fehlern gehört; in Leistungssituationen sollen erworbene Kompetenzen möglichst fehlerfrei gezeigt werden – um es einmal einfach auszudrücken. Um Lernen und Leisten möglichst optimal zu fördern, tun wir gut daran, dem jeweils besonderen Charakter der unterschiedlichen Situationen Rechnung zu tragen und sie nicht ständig zu vermischen. Durch permanenten Leistungsdruck kann effektives Lernen eingeschränkt werden und das gleiche gilt für die Leistungserbringung, wenn man die Erwartungen zu stark relativiert. Institutionen oder Maßnahmen, die Berechtigungen vergeben, sollten Leistungsanforderungen an klar definierte und entsprechend der Art der jeweiligen Berechtigung, durchaus auch an anspruchsvolle Kriterien binden.

Die abschließenden Staatsprüfungen für den Lehrberuf berechtigen dazu, eine gesellschaftlich bedeutsame und hohe Professionalität voraussetzende Tätigkeit auszuführen, nämlich die Bildung und Erziehung der nachwachsenden Generation verantwortlich mitzugestalten. Ziel der Lehrkräfteausbildung ist, dies zu gewährleisten. Dazu gehört selbstverständlich auch eine leistungsorientierte Qualitätssicherung. Nicht jede Person mit Hochschulzugangsberechtigung ist automatisch geeignet, Lehrerin oder Lehrer zu werden. Darüber, dass die Auseinandersetzung mit den besonderen Ansprüchen des Berufs möglichst frühzeitig und kontinuierlich in der Lehrkräfteausbildung stattfinden sollte, gibt es eigentlich Konsens. Das gilt ebenso für den Anspruch an Wissenschaftlichkeit und Praxisnähe in den Domänen der fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen sowie pädagogisch-psychologischen Ausbildung. Strittig sind eher Fragen der konzeptionellen Umsetzung und Gewichtung. Hier ist mehr Forschung notwendig, die empirisch begründete Entscheidungen ermöglicht und davor bewahrt, sich von gängigen Mythen zu Fehlschlüssen verleiten zu lassen. 

Redaktion: Herr Prof. Dr. Riecke-Baulecke, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Prof. Dr. Thomas Riecke-Baulecke ist Präsident des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg, zuvor führte er seit 2003 als Direktor das Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein. Herr Riecke-Baulecke ist Mitherausgeber des Online-Magazins schulmanagement.