Quereinsteiger als Antwort auf Lehrkräftemangel?

Die Erziehungswissenschaftlerin Christin Lucksnat bietet in ihrem Gastbeitrag einen Einblick in den Forschungsstand zum Thema Quer- und Seiteneinstieg in den Lehrberuf

Sie haben nicht auf Lehrarmt studiert und dennoch spielen sie eine entscheidende Rolle im deutschen Schulsystem: Quer- und Seiteneinsteiger:innen im Lehrer:innenberuf könnten einen wesentlichen Teil dazu beitragen, den Lehrkräftemangel der kommenden Jahre zumindest zum Teil abzufedern. Doch was wissen wir eigentlich über sie? Erziehungswissenschaftlerin Christin Lucksnat erläutert in ihrem Gastbeitrag den aktuellen Forschungsstand zu dieser Lehrer:innengruppe.

Wer sind eigentlich Quereinsteiger:innen?

Im Jahr 2021 war etwa jede zehnte neu eingestellte Lehrkraft eine Person, die kein traditionelles Lehramtsstudium abgeschlossen hat (9,3 Prozent; KMK, 2022). Diese Zahl stammt von der Kultusministerkonferenz (KMK), die hierbei von „sonstigen (unbefristeten) Lehrkräften“ spricht und zwischen Lehrkräften mit und ohne Hochschulabschluss auf Masterniveau unterscheidet. Etwa 6,5 Prozent der neu eingestellten ausgebildeten Lehrkräfte ohne Lehramtsstudium verfügt über einen Abschluss auf Masterniveau, 2,8 Prozent haben keinen solchen (KMK, 2022). Diese Unterscheidung macht bereits deutlich: die Gruppe der Lehrkräfte ohne traditionelles Lehramtsstudium ist in sich nicht homogen.

In den Medien und im allgemeinen Sprachgebrauch wird jedoch häufig verallgemeinert und der Begriff der Quereinsteiger:innen genutzt, um über Personen zu sprechen, die kein traditionelles Lehramtsstudium an einer Universität abgeschlossen haben. Die Gruppe der Quereinsteiger:innen ist jedoch hinsichtlich ihrer Voraussetzungen wie bereits erwähnt sehr heterogen, was sowohl empirische Studien als auch Erfahrungsberichte von Lehrkräften zeigen.

Die Forschung nimmt deshalb häufig eine formale Unterscheidung zwischen zwei Gruppen vor: Quereinsteiger:innen sind Personen, die zwar kein Lehramtsstudium absolviert haben, aber trotzdem die Voraussetzungen für den regulären Vorbereitungsdienst erfüllen. Zu diesen Voraussetzungen zählen ein Masterabschluss oder ein äquivalenter Abschluss sowie zwei lehramtsbezogene Fächer, die sich aus diesem ableiten lassen. Sollte nur ein lehramtsbezogenes Fach vorhanden sein, kann das zweite nachstudiert werden.

Seiteneinsteiger:innen bezeichnen hingegen Personen, die weder ein traditionelles Lehramtsstudium noch den Vorbereitungsdienst absolviert haben, aber eine pädagogische berufsbegleitende Qualifizierung erhalten. Die Unterscheidung zwischen Quer- und Seiteneinsteiger:innen wird jedoch in den einzelnen Bundesländern nicht einheitlich verwendet. Um über alle Personen zu sprechen, die keinen traditionellen Weg ins Lehramt gewählt haben, nutzen wir im Folgenden den Begriff der nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräfte.

„Schüler:innen zeigen per se keine schlechteren Leistungen, wenn sie von nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet werden.“

Christin Lucksnat

Was wissen wir über nicht-traditionell ausgebildete Lehrkräfte?

Die Heterogenität von Personen ohne traditionelles Lehramtsstudium macht es der Forschung nicht leicht, allgemeingültige Aussagen für alle Quer-und Seiteneinsteiger:innen zu machen. Die Anzahl der wissenschaftlichen Arbeiten in Deutschland ist derzeit noch übersichtlich und konzentriert sich häufig nur auf Quereinsteiger:innen, während Seiteneinsteiger:innen bislang nur wenig untersucht wurden. Die bisher vorliegenden Arbeiten weisen darauf hin, dass die Mehrheit der nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräfte motiviert für den Beruf ist, weil sie gern unterrichtet und mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten möchte. Im Vergleich zu traditionell ausgebildeten Lehrkräften verfügen sie jedoch über weniger pädagogisches Wissen, etwa im Bereich der Unterrichtsmethoden. Sie arbeiten häufiger an Schulen, an denen viele Kinder mit Migrationshintergrund und Lernmittelbefreiung unterrichtet werden.

Ferner wird deutlich, dass Schüler:innen per se keine schlechteren Leistungen zeigen, wenn sie von nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet werden. Diese wenigen Untersuchungen in Deutschland machen jedoch keinen Unterschied darin, welche Qualifizierung die Personen durchlaufen haben und welche Kompetenzen durch die Tätigkeit im Beruf erworben wurden. Aus diesem Grund wurde in einer Arbeit ebenfalls unterschieden, ob sich nicht-traditionelle Lehrkräfte mit wenig Berufserfahrung von traditionell ausgebildeten Lehrkräften mit vergleichbarerer Berufserfahrung unterscheiden. Hier zeigten sich ebenfalls keine Unterschiede hinsichtlich der wahrgenommenen Unterrichtsqualität durch Schüler:innen. Trotz dieser insgesamt ermutigenden Befunde müssen diese mit aller Vorsicht interpretiert werden, da Jahr für Jahr immer mehr Personen als nicht-traditionelle Lehrkräfte eingestellt werden, die zum Teil keinen Hochschulabschluss mitbringen. Aus diesem Grund braucht es mehr Forschung insbesondere zu der Gruppe von nicht-traditionellen Lehrkräften, die aktuell in den Schulen anfangen. Ferner deuten die Befunde an, dass eine größere Heterogenität innerhalb der jeweiligen Gruppe (nicht-traditionell ausgebildete Lehrkräfte vs. traditionell ausgebildete Lehrkräfte) besteht als zwischen den beiden Gruppen.

Welches Wissen fehlt über nicht-traditionell ausgebildete Lehrkräfte?

Die Forschung zu nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräfte steht in Deutschland noch am Anfang. Deshalb gibt es auch noch viele Dinge, die wir nicht wissen. So gibt es zum Beispiel keine statistischen Daten darüber, wie häufig und schnell nicht-traditionell ausgebildete Lehrkräfte wieder die Schule verlassen. Erste Studien weisen darauf hin, dass die Bereitschaft, im Beruf zu verbleiben, im ersten Berufsjahr hoch ist.

Ein weiterer noch nicht erforschter aber enorm wichtiger Aspekt ist das Wissen darüber, mit welcher Haltung Schulen und Lehrkräfte auf die Einstellung von nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräften blicken und welche Veränderungen, Chancen, aber auch Herausforderungen sich dadurch an Schulen ergeben. Wir wissen auch nicht, wie sich die Leistung oder Motivation von Schüler:innen entwickelt, wenn sie eine längere Zeit von nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet werden. Es bleiben daher noch viele Fragen offen, die in der Zukunft näher untersucht werden sollten.

„Studien weisen darauf hin, dass nicht-traditionell ausgebildete Lehrkräfte vielfältige praktische Erfahrungen aus anderen Berufen mitbringen, die traditionell ausgebildete Lehrkräfte nicht haben, und die sie in den Unterricht einbringen können“

Christin Lucksnat

Welchen Beitrag können nicht-traditionell ausgebildete Lehrkräfte an Schulen leisten?

Nicht-traditionell ausgebildete Lehrkräfte sind derzeit an den Schulen vieler Bundesländer nicht mehr wegzudenken, denn sie gewährleisten, dass überhaupt ausreichend Unterricht stattfindet. Neben diesem Beitrag, der eher pragmatischer Natur ist, können nicht-traditionell ausgebildete Lehrkräfte auch inhaltliche Beiträge an Schulen leisten. Studien weisen darauf hin, dass sie vielfältige praktische Erfahrungen aus anderen Berufen mitbringen, die traditionell ausgebildete Lehrkräfte nicht haben, und die sie in den Unterricht einbringen können. Sie stellen dabei auch Rollenvorbilder dar, die von Erfahrungen und Erlebnissen aus vorherigen Berufen erzählen können. Studien berichten auch davon, dass nicht-traditionell ausgebildete Lehrkräfte einen Perspektivwechsel in Schulen anregen und teilweise auch mit neuen Methoden die Unterrichtsgestaltung bereichern.

Welche Unterstützung benötigen nicht-traditionell ausgebildete Lehrkräfte?

Studien weisen darauf hin, dass nicht-traditionell ausgebildete Lehrkräfte eine Doppelbelastung erleben: Sie wechseln zurück in eine Noviz:innenrolle, obwohl sie bereits Expert:in in einem anderen Beruf waren. Gleichzeitig wird von ihnen häufig erwartet, dass sie in hoher Qualität allein unterrichten und nebenbei berufsbegleitend die Qualifizierung durchlaufen. Hinzu kommt, dass sie signifikant häufiger an Schulen in herausfordernden Lagen arbeiten, wo weniger Zeit für ihre Betreuung bleibt. Vor diesem Hintergrund erscheint es wichtig, dass die Unterstützungsangebote individuell auf die Bedürfnisse der Personen angepasst werden, indem etwa individuelle Coachings angeboten werden.

Lehrkräfte, die die Betreuung und Ausbildung von nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräften an Schulen übernehmen, sollten dafür Deputatsreduktionen und entsprechende Mentor:innenqualifizierungen erhalten. Dadurch hätten sie hinreichend Zeit für gemeinsames Lernen, zum Beispiel durch Hospitationen und Team-Teaching, was eine hohe Qualität der Praxiserfahrung in der Betreuung ermöglichen würde. In Studien wurde auch mehrfach gezeigt, dass das pädagogische Wissen von nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräften geringer ist als bei traditionell ausgebildeten Lehrkräften. Um diese Lücken zu schließen, sollten daher verstärkt Angebote geschaffen werden, die konsequent an den Standards der Lehrkräftebildung angelehnt sein müssen.

Um mehr Personen ohne Lehramtsstudium für den Lehrberuf zu begeistern und im Beruf zu halten, sollten Angebote für Zusatzqualifikationen eingerichtet werden, die berufsbegleitend den Erwerb von Studienabschlüssen ermöglichen. Das würde die Beschäftigung in einer regulären Beamtenlaufbahn ermöglichen.