Schulleitung in Zeiten der Krise

Im Gastbeitrag beschreibt Prof. Dr. Colin Cramer Herausforderungen für Schulleitungen und wie sich ihre Aufgaben in der Pandemie verändert haben.

Schulleitungen haben seit jeher einen bedeutsamen und zugleich herausfordernden Beruf. Die Anforderungen haben sich jedoch während der Corona-Pandemie nochmals erhöht. Auf der Basis einer Längsschnittstudie erläutert Prof. Colin Cramer, wie Schulleitungen auf diese krisenbedingten Herausforderungen reagieren, was ihnen hilft, sie zu meistern und welche Perspektiven Schulleitung langfristig hat.

Anforderungen an Schulleitung und ihre Karriere

Schulleitungen haben einen direkten Einfluss auf die Schulorganisation und Schulkultur. Damit hat ihr Handeln indirekt auch einen Effekt auf das Lernen und die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. Traditionell unterrichten Schulleitungen, die in Deutschland aus Lehrpersonen hervorgehen, weiterhin selbst, haben zahlreiche administrative Aufgaben, sind Vorgesetzte und betreiben Personalentwicklung, fungieren als Schlichtungsstelle, führen und managen die Schule, betreiben Organisationsentwicklung und kooperieren mit externen Stellen. Dieses Aufgabenspektrum hat wiederholt dazu geführt, den Beruf Schulleiterin und Schulleiter nicht nur mit hohen Anforderungen, sondern auch mit grenzenlosen Aufgaben und folglich hohen Belastungen in Verbindung zu bringen.

„Zwar ist die überwiegende Mehrheit der Schulleitungen mit der eigenen Karriere zufrieden, doch ein Fünftel aller Schulleitungen denkt zugleich über einen Arbeitsplatzwechsel nach.“

Prof. Dr. Colin Cramer

Die Aufgaben von Schulleitung lassen sich grob in zwei unterschiedliche Tätigkeitsbereiche aufteilen: Einerseits müssen sie Schulen mit den ihnen bereits zur Verfügung stehenden Mitteln verwalten, um einen reibungslosen Ablauf des Alltagsgeschäfts zu garantieren. Auf der anderen Seite sind Schulleitungen aufgefordert, Innovationen in der Schule voranzutreiben. Schulleitungen gaben vor der Corona-Pandemie an, weit mehr Zeit für die Verwaltung auf Basis von Vorhandenem als für die Erneuerung von Schule aufzuwenden. Sie nennen das wachsende Aufgabenspektrum und die steigenden Verwaltungsarbeiten als zentrale Belastungsfaktoren. Zwar ist die überwiegende Mehrheit der Schulleitungen mit der eigenen Karriere zufrieden, erlebt die Arbeit als inspirierend und hat Freude daran – doch ein Fünftel aller Schulleitungen denkt zugleich über einen Arbeitsplatzwechsel nach. Gründe dafür sind etwa der Wunsch nach beruflicher Entwicklung, eine als unangemessen wahrgenommene Bezahlung oder der erlebte Mangel an Unterstützung. Die Hälfte der Schulleitungen sieht eine merkliche Diskrepanz zwischen ihrem Engagement und dessen Wertschätzung (Gratifikationskrise) und gibt an, unter chronischem Stress zu stehen.

Diese hohe administrative Anforderung an Schulleitung widerspricht den Gründen, warum sich Schulleitungen für diese Führungsaufgabe entschieden haben. Die wichtigsten Motive von Schulleitungen für diesen Karriereschritt sind das Entwickeln und Erproben neuer Ideen sowie eigene Entscheidungen treffen zu wollen und der Wunsch nach einer abwechslungsreichen Tätigkeit. Aber auch soziale Motive, beispielsweise für das Wohl anderer Menschen sorgen und diesen beistehen und helfen zu wollen, sind bedeutsam. Schulleitungen wollen führen, sie haben sich bewusst für diese Führungsaufgabe entschieden. Im Umkehrschluss sind es gerade eine erwartete hohe Beanspruchung, geringe Anreize sowie das große Interesse an der pädagogischen Tätigkeit, die Lehrpersonen davon abhalten, einen Wechsel in das Schulleitungsamt anzustreben.

Schulleitungen in der Corona-Pandemie

Ausgehend von dem ohnehin großen Aufgabenspektrum sehen sich Schulleitungen in der Corona-Pandemie neuen und ungeahnten Herausforderungen ausgesetzt. Dies lässt sich insbesondere an der Zeit der ersten bundesweiten Schulschließungen im Frühjahr 2020 zeigen. Schulleitungen mussten mit bislang undenkbaren Änderungen der Rahmenbedingungen, wie beispielsweise dem Aussetzen der Präsenzpflicht und der Organisation des Fernunterrichts umgehen und durch eine radikale Neuorganisation des Schulalltages den Weiterbetrieb der Schulen sicherstellen. Dies erforderte eine hochgradige Flexibilität und individuelle Lösungen auf Ebene der einzelnen Schulen. Die bundesweite Studie »Schulleitungsmonitor Deutschland« zeigt, dass das zu spürbaren Veränderungen geführt hat. Die einst vorherrschende Verwaltung der Schule mit vorhandenen Mitteln ist während der Schulschließungen einem sehr hohen Maße radikaler Innovation gewichen, weil Schulleitungen auf die unvorhergesehenen Turbulenzen reagieren mussten.

„Die Bewältigung einer Krise zwingt zur Innovation. Gelingt es, diesen Innovationsschub in den Alltag mitzunehmen?“

Prof. Dr. Colin Cramer

Besonders umfangreiche und tiefgreifende Innovationen werden von Schulleitungen durchgeführt, die sich schon vor der Krise als selbstwirksam beschreiben, die also ihren eigenen Fähigkeiten vertrauen und auch gegen Widerstände an den Erfolg ihres Handelns glauben. Ihre Berufserfahrung oder die Größe ihrer Schule hat darauf kaum Einfluss. Schulleitungen, die vor der Pandemie die Schule stärker mit vorhandenen Mitteln verwalten, eignen sich in der Krise weniger neues Wissen und weniger neue Fähigkeiten an. Zugleich aber müssen sie mehr Innovationen umsetzen, um Defizite aufzuholen. Wie gelingt es also, selbstwirksame Schulleitungen zu gewinnen und diese selbstwirksam zu machen und so die Profession Schulleitung für künftige Krisen gut aufzustellen? Wichtig erscheinen geteilte Erfolgserlebnisse bei der Schulentwicklung und das Vermeiden von Misserfolg. Auch hier nehmen Schulleiterinnen und Schulleiter eine Schlüsselrolle ein. Schulleitungen sollten mehr als bislang auf ihre Aufgaben vorbereitet und bei diesen begleitet werden.

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Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Stephan Gerhard Huber und Nadine Schneider zur Qualifizierung von Schulleitungen.

Perspektiven von Schulleitung nach der Krise

Auch im Anschluss an die noch immer spürbaren Auswirkungen der Pandemie auf Schulen werden die regulären Anforderungen an Schulleitungen bestehen bleiben. Die Krise hat allerdings einmal mehr vor Augen geführt, wie wichtig auch kontinuierliche Innovationen an Schulen sind, auch um diese für künftige Krisen gut aufzustellen. Schulleitungen stehen vor der Herausforderung, eine Balance zwischen stärker verwaltenden und stärker innovierenden Aufgaben zu finden. Wird nach der Krise erneut die Verwaltung von Schule mit vorhandenen Mitteln überbetont, so werden neue Krisen kaum adäquat bewältigt werden können. Wird hingegen die Innovation überbetont, droht eine Abfolge von Reformen, die wenig nachhaltig sind und alle Kräfte hierfür binden. Die Fähigkeit zur Ambidextrie (Beidhändigkeit) von Schulleitung mit Blick auf diese doppelte Anforderung des Verwaltens und Innovierens erfordert eine solide wissenschaftliche Grundqualifikation in der Breite der Aufgaben von Schulleitung sowie eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung. Nur so kann immer wieder neu für das komplexe Tätigkeitsfeld von Schulleitung sensibilisiert werden und die wissensbezogenen, kompetenzbezogenen und reflexiven Voraussetzungen für ein professionelles Handeln können geschaffen werden. Gefordert sind Wissenschaft und Schuladministration, die Rahmenbedingungen hierfür zu optimieren.