Selbstwirksamkeit: Warum sie für Schulleitungen entscheidend ist
Trotz Hürden an eigene Stärken und Handlungsoptionen glauben – Wege zur Förderung von Selbstvertrauen im Leitungsamt

Leitungspersonen an Schulen müssen komplexe Aufgaben meistern und Veränderungsprozesse anstoßen. Prof. Colin Cramer erläutert, wie innere Stärke und unterstützende Strukturen dazu beitragen, Herausforderungen zu bewältigen und Schulentwicklung nachhaltig voranzubringen.
Redaktion: Herr Professor Cramer, als Mit-Koordinator des Schulleitungsmonitors rücken Sie Schulleitungen ins Zentrum der Forschung. Was ist das Besondere am Monitoring?
Prof. Colin Cramer: Lange Zeit wurde im deutschsprachigen Raum kaum zu Schulleitungen geforscht. Inzwischen liegen jedoch belastbare Daten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vor. Auch deshalb ist der Schulleitungsmonitor so relevant, weil es uns damit gelungen ist, in allen drei Ländern Informationen zu Schulleitungen über mehrere Erhebungszeitpunkte zu gewinnen.
Der Schulleitungsmonitor (SLM)
Der SLM zielt darauf ab, umfassende und regelmäßige Bestandsaufnahmen zur Arbeitsweise und zu den Arbeitsumständen von Schulleitungen zu liefern. Dabei sollen schulführungsrelevante Probleme wissenschaftlich fundiert identifiziert und Ansatzpunkte für die Optimierung des Führungshandelns an Schulen generiert werden. Das Projekt wird seit 2019 in Deutschland, seit 2021 in der Schweiz und seit 2022 in Österreich durchgeführt und soll in regelmäßigen Abständen wiederholt werden.
Redaktion: Viele Schulleitungen berichten – auch im Schulleitungsmonitor –von hoher Überlastung und begrenzten Einflussmöglichkeiten. Wie können Schulleitungen auch unter solchen schwierigen Bedingungen handlungsfähig bleiben?
Cramer: Schulleitungen verweisen immer wieder auf eine besondere Herausforderung, wenn ihre Schule in einem sozial benachteiligten Umfeld liegt. Unsere Studie zeigt: In solchen Schulen sind Schulleitungen in besonderem Maße auf Sicherheit und Akzeptanz im Kollegium angewiesen. Persönliche Ressourcen wie Selbstwirksamkeit oder Arbeitsengagement reichen für eine erfolgreiche Führung nicht aus. Handlungsfähigkeit und Resilienz entstehen vor allem dann, wenn ein starker Zusammenhalt und ein hohes Engagement im Kollegium insgesamt vorhanden sind. Dies unterstreicht die Bedeutung transformationaler Führung: Eine Schule kann nicht allein durch die Schulleitung getragen werden, sondern erfordert eine geteilte Führungsverantwortung.
Redaktion: Wie kann geteilte Führungsverantwortung aussehen?
Cramer: Geteilte Führungsverantwortung bedeutet, dass die Schulleitung Aufgaben und Verantwortung bewusst im Kollegium verteilt, sodass Lehrpersonen aktiv in Schulentwicklungsprozesse eingebunden werden. Forschung zeigt, dass dies nicht nur das Engagement und die Innovationskraft des Teams steigert, sondern auch die Selbstwirksamkeit der Schulleitung stärkt. Ein dynamischer Austausch zwischen Leitung und Kollegium ermöglicht es der Schule, resilienter auf Herausforderungen zu reagieren, Innovationen umzusetzen und die professionelle Entwicklung aller Beteiligten zu fördern.
Weiterlesen: Gezielte Qualifizierung macht Schulleitungen handlungsfähig
Vorbereitungsprogramme und Weiterbildungen als Schlüssel für Entlastung, Führungskompetenz und Selbstwirksamkeit
Redaktion: Die Forschung beschäftigt sich inzwischen verstärkt mit der Selbstwirksamkeit von Schulleitungen. Welche positiven Auswirkungen ergeben sich, wenn Schulleitungen ein starkes Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten besitzen?
Cramer: Tatsächlich hat die Selbstwirksamkeit von Schulleitungen, sprich das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen und die Überzeugung, auch gegen Barrieren handlungsfähig zu sein, positive Effekte. Selbstwirksame Schulleitungen agieren innovativer und waren daher beispielsweise auch während der pandemiebedingten Schulschließungen im Vorteil.
Redaktion: Wie können Schulleitungen ihren eigenen Führungsstil kritisch reflektieren und gegebenenfalls anpassen, um Stress zu reduzieren und Selbstwirksamkeit zu entfalten?
Cramer: Unsere Forschung zeigt, dass erfolgreiche Führung ein Ausbalancieren erfordert: Einerseits gilt es, Vorhaben mit vorhandenen Ressourcen voranzutreiben, andererseits den Mut zu haben, Neues zu wagen. Es müssen beispielsweise Verwaltungsabläufe so effizient gestaltet werden, dass Freiraum für innovative Schulentwicklung geschaffen wird. Gerade in Krisenzeiten wie während der Schulschließungen in der Corona-Pandemie, bedarf es auch radikaler Schulentwicklung, um neue Kräfte freizusetzen und Perspektiven zu eröffnen.
Redaktion: Ihre eigene Forschung legt nahe, dass besonders sogenannte Mastery Experiences, also Erfolgserlebnisse, wichtig sind, um die Selbstwirksamkeit von Schulleitungen zu fördern. Wie können diese Erfahrungen gefördert werden?
Cramer: Eigene Erfolge, das Lernen an erfolgreichen Modellen, positive Bestärkung durch Kolleginnen und Kollegen sowie die Überzeugung, dass Erfolg möglich ist, sind zentrale Bedingungen für den Aufbau und Erhalt von Selbstwirksamkeit. Besonders bedeutsam ist dies in der Einstiegsphase ins Amt: Wie werden neue Schulleitungen in dieser herausfordernden Situation begleitet, wie gehen sie mit Misserfolgen um und wie lässt sich verhindern, dass diese ihre Selbstwirksamkeit schwächen? Ähnlich wie bei Lehrkräften in den ersten Berufsjahren stellt sich die Frage, wie Schulleitungen so eingeführt und unterstützt werden können, dass sie ihre Rolle stabil entwickeln, ohne durch Rückschläge an Selbstvertrauen zu verlieren oder auszubrennen.
Redaktion: Sie sprechen das Lernen an erfolgreichen Modellen an. Wie kann ein schulischer Rahmen geschaffen werden, in dem solche „Lernansteckung“ stattfindet?
Cramer: Unsere Studien zeigen, dass Netzwerke über die eigene Schule hinaus von großer Bedeutung sind. Es reicht nicht aus, allein professionelle Lerngemeinschaften innerhalb des Kollegiums zu etablieren. Notwendig sind Professional Learning Networks, also tragfähige Kooperationen mit Nachbarschulen, Schulaufsicht, Kommune, Vereinen, Religionsgemeinschaften, Initiativen, Wirtschaft oder Wissenschaft. In solchen erweiterten Netzwerken entstehen neue Ideen, die den Handlungsspielraum von Schulen deutlich erweitern. Während Schulen bislang vor allem im Sinne von „Closed Innovation“ bestehende Strukturen optimieren, ermöglichen größere Netzwerke eine Öffnung zu „Open Innovation“ und damit eine zukunftsfähige Schulentwicklung.
Solche Netzwerke sind dynamisch: Kooperationen mit hohem Aufwand und geringem Ertrag werden beendet, neue entstehen, besonders ertragreiche Verbindungen werden ausgebaut. Dabei muss sichergestellt sein, dass über Netzwerke neues Wissen in die Schulen gelangt. In einer demokratischen Wissensgesellschaft ist es unerlässlich, dass die Stimme der Wissenschaft Gehör findet. Denken wir beispielsweise an die öffentlich-politischen Debatten um eine acht- oder neunjährige Gymnasialzeit, die Diskussion um eine (nicht)verbindliche Grundschulempfehlung oder andere kontroverse Bildungsthemen, zu welchen sich auch Schulleitungen im Alltag verhalten müssen: Hier wird häufig intuitiv und erfahrungsbasiert argumentiert, aber in Netzwerken und in der Kooperation mit Wissenschaft werden solche Fragen mehrperspektivisch diskutiert und eine Beschäftigung mit vielfältigen Argumenten wird zwingend, die abgewogene Entscheidungen wahrscheinlicher machen.
Redaktion: Kollektive Selbstwirksamkeit spielt in Ihrer Forschung ebenfalls eine Rolle. Welche Bedeutung hat das gemeinsame Wirksamkeitserleben im Kollegium oder Führungsteam, und wie lässt sich dieses gezielt stärken?
Cramer: Selbstwirksamkeit ist nicht nur individuell: Inspirierende Schulleitungen können ihr Kollegium motivieren, und ein innovatives Kollegium kann die Selbstwirksamkeit der Schulleitung stärken. Gemeinsam beeinflussen die pädagogischen Fachkräfte die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler. Eine selbstwirksame Schule wirkt damit letztlich auch positiv auf die Gesellschaft.
Redaktion: Gibt es unterschätzte Potenziale im System Schule, die aus Sicht der Schulleitung aktiviert werden könnten?
Cramer: Eine pauschale Antwort ist kaum möglich. Schulen können am besten selbst feststellen, welche Entwicklungspotenziale sie haben und welche Unterstützung sie benötigen – insbesondere mithilfe ihres erweiterten Netzwerks. Voraussetzung ist, dass sie bereit sind, diesen Weg zu gehen, über die notwendigen Ressourcen verfügen und durch ihr Netzwerk beim Innovieren unterstützt werden. Schulleitungen übernehmen dabei eine Schlüsselfunktion, da sie über die Expertise verfügen müssen, komplexe Prozesse zu steuern und Entwicklungsprozesse trotz Widerständen in Gang zu setzen. Beispiele sind die digitale Transformation, der Ganztagsbetrieb oder ein systematisches Qualitätsmanagement. Wichtig ist hier, die Stärken aller Mitglieder der Schule zu nutzen.
Redaktion: Herr Professor Cramer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person
Prof. Dr. Colin Cramer hat die Stiftungsprofessur für Erziehungswissenschaft an der Universität Konstanz und an der Pädagogischen Hochschule Thurgau inne. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Professionsforschung, Lehrkräftebildung und Educational Leadership.





