Smartphone-Verbote an Schulen – was bringen sie wirklich?

Professor Klaus Zierer hat die Wirkung von Handyverboten an Schulen untersucht. Wie sie bestenfalls wirken, erklärt er im Interview.

Das Handy am Schuleingang abgeben und erst nach dem Unterricht wieder abholen – führt das zu besseren Lernsituationen an Schulen? Professor Klaus Zierer hat mit seinem Kollegen Tobias Böttger mehrere internationale Studien analysiert, um herauszufinden, was Smartphone-Verbote an Schulen tatsächlich verändern. Im Interview spricht er über die Resultate und erklärt, warum ein Verbot allein nicht ausreicht.

Redaktion: Herr Professor Zierer, Smartphone-Verbote an Schulen werden in Deutschland und international breit diskutiert. Können Sie uns kurz schildern, welcher Fragestellung Sie mit Ihrer Metastudie zum Thema genau nachgegangen sind?

Prof. Dr. Klaus Zierer: Der Impuls für unsere Forschung war die Forderung Mitte 2023 von Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien, die Nutzung von Handys an Grundschulen in der Unterrichtszeit zu reglementieren. Das entfachte eine zum Teil sehr emotional geführte Debatte. Mit meinem Kollegen Tobias Böttger habe ich dann nach empirischen Daten gesucht, die für oder wider ein solches Verbot sprechen. Zu unserer Überraschung war es zunächst so, dass wir sehr viele Meinungsbeiträge fanden, auch in Fachzeitschriften, aber relativ wenig Studien und entsprechend wenig Evidenz. Dass es hier auch gerade international so wenig systematische Untersuchungen gab, hat uns auch aufgrund der Brisanz des Themas ein Stück weit überrascht. Wir haben aber schließlich fünf internationale Studien für unsere Analyse gefunden, die quantitativ abbilden konnten, was uns interessiert hat: wie Handyverbote sich auf das soziale Wohlbefinden an der Schule und auf die Lernleistung auswirken.

Redaktion: Und wie wirken sie sich aus?

Zierer: Im Kern kann man feststellen, dass Smartphone-Verbote sich sowohl positiv auf das soziale Wohlbefinden als auch auf die Lernleistung auswirken. Wobei der Effekt auf das soziale Wohlbefinden weit deutlicher und stärker ausgeprägt ist.

Redaktion: Wie erklären Sie sich den geringeren Effekt auf die Lernleistung?

Zierer: In den einzelnen Studien wird bezüglich des recht geringen Effekts eines Smartphone-Verbots auf die Lernleistung argumentiert, dass selbst an Schulen, in denen kein Smartphone-Verbot existiert, im Unterricht das Handy nicht oder selten herausgenommen wird, um zu spielen oder durch soziale Netzwerke zu scrollen – weil jede Lehrkraft das unterbinden würde. In gewisser Weise wird also implizit eine Form von Smartphone-Verbot an fast allen Schulen praktiziert. Hinzu kommt, dass die Lernleistung vor allem von der Unterrichtsqualität abhängt. Die wird von vielen anderen wichtigen Faktoren bestimmt und nur sehr begrenzt von einem Handyverbot.

„An Schulen mit Smartphone-Verbot, vor allem in den Pausen, verändern sich die Interaktionen zwischen den Schülerinnen und Schülern deutlich.“

Prof. Dr. Klaus Zierer

Redaktion: Warum ist die Situation beim sozialen Wohlbefinden anders? 

Zierer: Die Beobachtungen zum sozialen Wohlbefinden im Kontext eines Smartphone-Verbots sind sehr aufschlussreich: An Schulen mit Smartphone-Verboten, vor allem in den Pausen, verändern sich die Interaktionen zwischen den Schülerinnen und Schülern deutlich. Es wird mehr miteinander gesprochen und gespielt und die Kinder versinken seltener isoliert in ihren Handy-Bildschirmen. Auch Formen von Cyberbullying nehmen im Vergleich zu Schulen ohne ein solches Verbot ab. Diese Effekte auf das soziale Wohlbefinden sind klar erkennbar und verdeutlichen, dass Schule nicht nur ein Ort des Lernens ist, sondern auch ein Lebensraum, der eine wichtige Rolle bezüglich sozialer Beziehungen und Freundschaften spielt. Interessant ist aber auch ein weiteres Ergebnis: Das Verbot der Smartphones allein reicht nicht aus.

Redaktion: Was braucht es noch?

Zierer: Ein Verbot sollte immer in einen medienpädagogischen Kontext eingebettet sein. Das bedeutet, dass wir transparent mit den Schülerinnen und Schülern über die Gründe und Ziele des Verbots sprechen und auch die Eltern einbeziehen. Außerdem muss das Verbot an die Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler angepasst werden – je älter sie werden, desto differenzierter sollte man das Verbot gestalten. Ein pauschales Verbot über alle Jahrgangsstufen hinweg ist daher wenig sinnvoll. Stattdessen sollte das Verbot im Rahmen der Medienerziehung pädagogisch getragen werden.

„Halbherzige Maßnahmen, die nicht konsequent umgesetzt werden, kann man sich sparen.“

Prof. Dr. Klaus Zierer

Redaktion: Haben Sie noch weitere Schlüsse ziehen können aus der Beobachtung der konkreten Umsetzung von Smartphone-Verboten an Schulen?

Zierer: Ja, in den Studien zeigt sich immer wieder, dass Smartphone-Verbote nur dann wirken, wenn sie konsequent umgesetzt und vom Kollegium mitgetragen werden. Ein interessantes Beispiel ist Bayern, wo das Ministerium ein Smartphone-Verbot vorschreibt. In der Praxis hängen aber oft nur Schilder am Schuleingang und das Verbot wird kaum durchgesetzt. An einer der Schulen meiner eigenen Kinder sehe ich das ganz direkt: Sie erzählen mir, dass die Schülerinnen und Schüler zwar auf dem Pausenhof das Smartphone nicht offen nutzen sollen, aber auf die Toiletten ausweichen, um dort ungestört am Handy zu sein. Dabei passieren genau die Dinge, die das Verbot eigentlich verhindern soll – wie unangemessene Fotos und fragwürdige Challenges. Ein Smartphone-Verbot braucht die volle Unterstützung und Überzeugung des gesamten Kollegiums, um wirklich zu greifen. Halbherzige Maßnahmen, die nicht konsequent umgesetzt werden, kann man sich sparen. Nur mit klaren Regeln und einer geschlossenen Haltung funktioniert ein Verbot, das bestätigen auch die Studien.

Redaktion: In den USA gibt es in immer mehr Bundesstaaten Smartphone-Verbote, die teilweise recht strikt umgesetzt werden: Die Geräte werden zu Beginn des Schultags weggeschlossen. Halten Sie das für sinnvoll?

Zierer: Ich halte ein solch striktes Smartphone-Verbot in Schulen grundsätzlich für sinnvoll – besonders für bestimmte Altersgruppen. Für Grundschülerinnen und Grundschüler stellt sich ohnehin die Frage, ob sie überhaupt ein Smartphone benötigen. Für die Unterstufe, also die Klassen 5 bis 7, ergibt es auf jeden Fall Sinn, die Geräte während des Schultags wegzuschließen. Studien zeigen, dass allein die Präsenz eines Smartphones – ob auf dem Tisch oder in der Tasche – die Konzentration und Aufmerksamkeit negativ beeinflusst. Besonders jüngeren Kindern, deren Impulskontrolle noch nicht vollständig entwickelt ist, fällt es schwer, sich davon nicht ablenken zu lassen. Ein durchdachtes Medienkonzept könnte beispielsweise vorsehen, dass Schülerinnen und Schüler der 5. bis 7. Klassen ihre Smartphones am Morgen in eine ‚Smartphone-Garage‘ legen und erst nach dem Unterricht wieder abholen. Dies bedeutet nicht, dass ich gegen Technik im Unterricht bin – vielmehr sollten gezielt Schultablets oder andere schulische Geräte eingesetzt werden, wenn sie zum Thema passen. Für ältere Schülerinnen und Schüler könnte man festgelegte Zeiträume einführen, etwa am Nachmittag, in denen sie ihre Geräte für soziale Kontakte nutzen dürfen. So könnte ein ‚Smartphone-Raum‘ geschaffen werden, wo Schülerinnen und Schüler
ihre Netzwerke pflegen und Termine organisieren können, bevor die Geräte wieder weggelegt werden. Ein solches gestaffeltes Verbot wäre altersgerecht und pädagogisch sinnvoll.

Redaktion: Wie gehen Schulen am besten mit Widerständen gegen Smartphone-Verbote um?

Zierer: Schulen begegnen Widerständen gegen Smartphone-Verbote am besten durch Transparenz und Information. Es gibt keine allgemeingültigen Studien darüber, wo genau die Widerstände liegen, aber viele dieser Debatten entstehen besonders dann, wenn klare landesweite Richtlinien vonseiten der Ministerien fehlen. Davon unabhängig ist es entscheidend, Schüler, Schülerinnen und Eltern umfassend zu informieren. Ein einfaches Beispiel ist der Blaulichtfilter – viele Menschen wissen nicht, dass er im Smartphone integriert ist, um zu verhindern, dass das Schlafhormon durch das blaue Bildschirmlicht unterdrückt wird, was Schlafstörungen vorbeugen kann. Wenn Eltern und Kinder verstehen, welche Auswirkungen ständige Nutzung, durch Algorithmen erzeugte Blasen in sozialen Medien oder die schnelle Abfolge von TikTok-Videos auf Konzentration und Wohlbefinden haben, steigt die Akzeptanz eines Verbots. Ein gemeinsames Fundament aus Wissen und Austausch ist aus meiner Sicht entscheidend, damit ein Verbot nicht als Zwang, sondern als unterstützende Maßnahme gesehen wird.

„Das Smartphone ist ein mächtiges Instrument, das unzählige Möglichkeiten bietet. Studien zeigen jedoch, dass junge Menschen oft Unterstützung brauchen, um zu entscheiden, wann und wie sie es nutzen – und wann sie es besser weglegen.“

Prof. Dr. Klaus Zierer

Redaktion: Welche Rolle spielt das Thema Medienkompetenz im Umgang mit Smartphones an Schulen? 

Zierer: Wir leben in einer Welt voller digitaler Medien, und die Vorstellung, dass Kinder als ‚Digital Natives‘ automatisch den Umgang mit diesen Geräten beherrschen, ist naiv. Studien zeigen klar, dass Medienkompetenz erlernt werden muss. Dazu gehören Medienkunde, Mediennutzung, Mediengestaltung und vor allem Medienkritik, also die Fähigkeit, kritisch und reflektiert mit Medien umzugehen. Kinder brauchen hier Begleitung – das geschieht nicht von selbst. Sie müssen lernen, was hinter sozialen Medien und Nachrichten steht, welche Risiken durch Filterblasen und Datenschutzprobleme bestehen und wie sich der Umgang mit diesen Medien auf sie auswirkt. Das Smartphone ist ein mächtiges Instrument, das unzählige Möglichkeiten bietet. Studien zeigen jedoch, dass junge Menschen oft Unterstützung brauchen, um zu entscheiden, wann und wie sie es nutzen – und wann sie es besser weglegen. Die Begleitung zur Medienkompetenz ist der Schlüssel. Schulen müssen Mediennutzung schrittweise reglementieren, um die Schülerinnen und Schüler letztlich zu einem kompetenten Umgang mit der Technik zu befähigen. Dabei sind die Eltern ebenfalls gefordert, da sie häufig sogar naiver mit Medien umgehen als ihre Kinder. Viele Eltern haben das Handy immer griffbereit, selbst am Esstisch oder beim Zubettbringen, und unterschätzen die Auswirkungen dieser ständigen Verfügbarkeit auf das eigene Verhalten und das ihrer Kinder. Schulen spielen hier eine entscheidende Rolle, da niedrige Medienkompetenz oft mit schlechteren Lernleistungen korreliert und digitale Ungleichheit verstärken kann – besonders bei Kindern aus bildungsfernen Familien, die Technik oft unreflektierter nutzen. Digitalisierung könnte so leicht ein Motor für Bildungsungleichheit werden, wenn wir nicht pädagogisch gegensteuern.

Redaktion: Sie haben schon angedeutet: Vielen Erwachsenen fehlt es selbst an Medienkompetenz und einem gesunden Umgang mit Medien. Sehen Sie vor diesem Hintergrund Eltern und Lehrkräfte derzeit in der Lage, Medienkompetenz effektiv zu vermitteln? Oder braucht es hierfür entsprechende Fortbildungen?

Zierer: Absolut, es braucht dringend Fortbildungen, um Medienkompetenz und einen gesunden Umgang mit Medien sowohl bei Lehrkräften als auch bei Eltern zu stärken. An einer der Schulen meiner eigenen Kinder erlebe ich, dass einige Lehrkräfte während des Unterrichts WhatsApp-Nachrichten schreiben oder sogar telefonieren – und selbst rechtlich fragwürdige Praktiken, wie das Einrichten von WhatsApp-Gruppen für Fünftklässlerinnen und Fünftklässler, kommen vor. Hier fehlt oft das Bewusstsein für die eigene Vorbildfunktion und den Bildungsauftrag. Medienkompetenz zu fördern heißt nicht nur, fachliche und pädagogische Kompetenzen zu vermitteln, sondern auch, eine klare Haltung zum verantwortungsvollen Umgang mit Technik zu entwickeln. Auch bei den Eltern zeigt sich eine breite Spannweite: Während einige sehr gut informiert sind, sind andere eher unreflektiert im Umgang mit digitalen Geräten. Kinder aus bildungsfernen Familien haben oft sehr früh Zugang zu Smartphones oder Konsolen, ohne dass die Eltern die möglichen Konsequenzen bedenken. Diese Bandbreite an Medienkompetenz, sowohl im Kollegium als auch bei den Eltern, zeigt, dass reine Verbote nicht ausreichen. Es braucht umfassende Aufklärung und Begleitung – nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, sondern auch für Lehrkräfte und Eltern. Die Vermittlung von Medienkompetenz ist ein Thema, das nur durch ein gemeinsames Engagement aller Beteiligten nachhaltig verankert werden kann.

Redaktion: Herr Professor Zierer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Univ.-Prof. Dr. Klaus Zierer ist seit 2015 Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. Davor war er Universitätsprofessor für Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Allgemeine Didaktik/Schulpädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Er studierte von 1996 bis 2001 das Lehramt an Grundschulen und war von 2004 bis 2009 als Grundschullehrer tätig. Er arbeitet und publiziert seit über zehn Jahren mit John Hattie im Kontext von „Visible Learning”.