Überbehütet und unkonzentriert? Wie die Generation Alpha Lehrkräfte herausfordert
Generationenforscher Dr. Rüdiger Maas erklärt im Interview, was die jüngste Generation kennzeichnet – und wie das Schule beeinflusst

Die Generation Alpha startet mit einer Reihe eigener Herausforderungen ins Leben – und stellt damit auch Lehrkräfte und Eltern auf die Probe. Im Interview erklärt Dr. Rüdiger Maas, Leiter des Instituts für Generationenforschung, warum Überbehütung und digitale Bespielung prägend sind, wie sich das auf die Schule auswirkt und welche Ansätze dabei helfen können, dass Kinder resilienter und selbstständiger werden.
Redaktion: Herr Dr. Maas, wie genau ist die Generation Alpha definiert?
Dr. Rüdiger Maas: Die Einteilung in Generationen hat ihren Ursprung in der Populärwissenschaft. Der Begriff „Generation Alpha“ wurde von Mark McCrindle, einem australischen Unternehmensberater, geprägt, er beschreibt Kinder, die ab 2010 geboren wurden. Der Begriff basiert auf dem Konzept der Generationenabfolge, die mit der Generation X begann und nun, nach der Generation Z, mit dem Alphabet neu startet. Ob jede neue Kohorte wirklich so präzise alle 15 Jahre eine neue Generation repräsentiert, bleibt offen. Unsere Forschung zeigt allerdings, dass es Unterschiede zwischen den Generationen gibt, insbesondere, wenn sich die Sozialisierungsbedingungen verändern; allerdings halten sich diese Bedingungen nie an die 15 Jahre. Es entstehen bestimmte Phänomene, die eine Generation prägen, etwa die verstärkte Nutzung von Social Media oder die digitalen Technologien. Diese Veränderungen betreffen zwar nicht immer nur junge Menschen, aber je nach Alter haben diese eben einen anderen Einfluss: Nachhaltigkeit ist ein generationenübergreifendes Thema, während digitale Medien oft unterschiedliche Bedeutungen für Jung und Alt haben.
Redaktion: Was hat Ihre Forschung zur Generation Alpha konkret ergeben?
Maas: Unsere Studien haben gezeigt, dass die Generation Alpha in einer Welt aufwächst, die stark von Überbehütung und digitaler Bespielung geprägt ist. Für unsere Analyse haben wir zunächst qualitative Interviews mit über 77 Pädagog:innen, Grundschullehrkräften und Kita-Fachkräften geführt, die uns ihre Beobachtungen schilderten. Dabei wollten wir keine Wertung vornehmen, sondern lediglich Veränderungen im Verhalten von Kindern, Eltern und im Bildungssystem aufzeigen. Aus den Ergebnissen wurde ein Fragebogen erstellt, an dem über 1.000 Pädagoginnen mitgemacht haben. Am Ende konnten so mehr als 22.000 Kinder beurteilt werden. Eine zentrale Erkenntnis: Die Eltern von heute agieren häufig stark verkopft und weniger intuitiv. Das Durchschnittsalter der Erstgebärenden liegt inzwischen bei über 30 Jahren, wodurch zwischen Eltern und Kindern oft eine große Altersdifferenz besteht. In einer sich schnell wandelnden Welt fühlen sich viele Eltern unsicher und greifen auf Suchergebnisse im Internet zurück, um Entscheidungen zu treffen. Durch diese internetbasierten Suchen verunsichern sich die Eltern selbst. Hinzu kommen die permanenten negativen Push-Nachrichten, die ebenfalls zu einer Verzerrung führen, dem sogenannten “Negativity Bias" – eine Tendenz, Negatives stärker wahrzunehmen und zu gewichten. Innerhalb weniger Minuten kann eine Google-Suche von einer harmlosen Frage zu einer Katastrophenvorstellung eskalieren. Das hat weitreichende Folgen: Viele Eltern entwickeln Ängste, etwa vor Entführungen oder Verletzungen, und übertragen diese auf ihre Kinder. Daraus entsteht unter anderem das Phänomen der Überbehütung.
Redaktion: Welche Folgen hat diese Überbehütung für die Kinder?
Maas: Man übernimmt Dinge, die die jeweiligen Kinder im Endeffekt selbst schon machen könnten. Das äußert sich in einer verstärkten Kontrolle und Betreuung der Kinder. Viele Eltern begleiten ihre Kinder nicht nur zur Schule, sondern warten schon 30 Minuten vorher, um sie wieder abzuholen. Auch in Freizeitaktivitäten wie dem Fußballtraining bleiben sie präsent und übernehmen Aufgaben, die die Kinder selbst erledigen könnten, wie das Anziehen des Trikots. Dies führt zu einer geringeren Selbstständigkeit der Kinder, die sich daran gewöhnen, dass alle Probleme für sie gelöst werden. Wenn diese Unterstützung einmal ausbleibt, fühlen sie sich oft hilflos und suchen nach Ersatzpersonen, sei es die Lehrkraft oder später der Staat. Dieses Verhalten prägt auch das Verhältnis zur Schule. Eltern drängen verstärkt auf akademische Erfolge, jedes Kind soll aufs Gymnasium. Gleichzeitig schätzen Eltern ihre Kinder oft unrealistisch ein: Studien zeigen, dass die meisten Eltern ihre Kinder in verschiedenen Bereichen als überdurchschnittlich wahrnehmen. Das führt zu einer Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Leistung der Kinder und den Erwartungen der Eltern.
Redaktion: Welche Rolle spielt die Digitalisierung in der Sozialisierung dieser Generation?
Maas: Die Digitalisierung ist ein prägender Faktor für die Generation Alpha. Bereits früh werden digitale Geräte wie Tablets oder Smartphones als Mittel gegen Langeweile eingesetzt. Kinder lernen dadurch, sich extern bespielen zu lassen, statt intrinsisch motiviert zu handeln oder ihre Fantasie zu nutzen. Das hat Auswirkungen auf ihre Aufmerksamkeitsspanne und ihre Fähigkeit, sich auf analoge Lernmethoden einzulassen. Auch in der Schule zeigt sich dieser Effekt. Während analoge Lernmethoden, wie das Schreiben auf Papier, oft nachweislich bessere Ergebnisse liefern, wird dennoch versucht, Defizite in der digitalen Kompetenz durch vermehrten Einsatz digitaler Medien bei Kindern auszugleichen – statt bei den Erwachsenen anzusetzen, die diese Kompetenzen häufig selbst nicht ausreichend beherrschen.
„Kinder müssen zunächst die analogen Grundlagen lernen, bevor sie digitale Tools sinnvoll einsetzen können.“
Dr. Rüdiger Maas
Redaktion: Bietet die Digitalisierung nicht auch eine Chance für die Generation Alpha? Mit Tablets lässt sich ja auch kreativ und produktiv arbeiten.
Maas: Sie haben recht, die Digitalisierung bietet enorme Chancen, wenn sie richtig genutzt wird. Die Frage ist nur, wie wir sie in den Bildungsprozess integrieren. Mein Wunsch wäre, dass wir die digitale Welt effizient nutzen, aber auch bewusst Grenzen setzen. Kinder müssen zunächst die analogen Grundlagen lernen, bevor sie digitale Tools sinnvoll einsetzen können. Ein Vergleich: Als der Taschenrechner eingeführt wurde, wurden Menschen, die ohnehin schlecht in Mathematik waren, dadurch nicht besser. Aber diejenigen, die bereits ein gutes mathematisches Verständnis hatten, konnten durch den Taschenrechner noch effizienter arbeiten. Genau so ist es mit digitalen Tools: Sie sind großartig, aber nur, wenn Kinder handwerklich die Kulturtechniken beherrschen und ein solides Wissen und Verständnis aus der analogen Welt mitbringen, um die digitalen Ergebnisse zu bewerten und kritisch einzuordnen. Mein Ansatz wäre es, digitale Geräte bewusst zu nutzen, zum Beispiel in speziellen „Tablet-Räumen“. Dort könnten Kinder gezielt lernen, wie sie Tablets einsetzen, um Probleme zu lösen oder kreativ zu arbeiten, ohne dass diese Geräte Teil ihres gesamten Alltags werden. Parallel dazu sollten wir immer wieder analoge Lernmethoden einbinden, um die Auswirkungen von Digitalisierung bewusst zu machen und den Kindern zu zeigen, wie sich das Lernen analog und digital unterscheidet.
Redaktion: Wie kann der Einsatz von Technologie im Klassenzimmer gestaltet werden, ohne die Kinder der Generation Alpha zu überfordern?
Maas: Die Lehrkräfte brauchen hier eine klare Ausbildung und Schulung. Es reicht nicht, Tablets zu verteilen, ohne dass die Lehrenden die nötigen Kompetenzen haben, um sie sinnvoll einzusetzen. Digitale Didaktik, digitale Ethik, digitale Pädagogik und grundlegende technische Fertigkeiten müssen Teil der Lehrerausbildung sein. Doch wir dürfen nicht den Fehler machen, zu glauben, dass Kinder durch digitale Geräte automatisch besser lernen. Das Gegenteil ist oft der Fall: Die Chance einer Ablenkung kann durch ein Tablet sehr groß sein, denn Apps und Push-Nachrichten können Kinder immer wieder aus ihrer momentanen Handlung herausnehmen. Aber auch ein zu großer Fokus auf Technologie kann dazu führen, dass Kinder weniger intrinsisch motiviert sind. Lernen muss nicht immer nur Spaß machen. Es darf auch mal anstrengend sein, ein Goethe-Gedicht auswendig zu lernen oder sich durch ein Buch zu kämpfen. Solche Herausforderungen stärken Resilienz und vermitteln das Gefühl, etwas geschafft zu haben, auch wenn es schwierig war.
„Für einen Achtjährigen ist es wichtiger, Fantasie und Problemlösungsfähigkeiten zu entwickeln, als früh mit einem Tablet umzugehen.“
Dr. Rüdiger Maas
Redaktion: Sie kritisieren also die frühe Einführung digitaler Geräte. Was wäre Ihrer Meinung nach eine bessere Alternative für die Generation Alpha in der Grundschule?
Maas: Ich bin ein Verfechter davon, Grundschulen als weitgehend digital-freie Räume zu gestalten. Kinder sollten von 8 bis 16 Uhr die Möglichkeit haben, sich ohne digitale Ablenkungen zu entfalten. Die Grundlagen des analogen Lernens sind essentiell, und wenn diese nicht frühzeitig vermittelt werden, fehlt später die Basis, um digitale Tools sinnvoll zu nutzen. Digitale Technologien sind heutzutage so intuitiv, dass Kinder sie später schnell erlernen können. Für einen Achtjährigen ist es wichtiger, Fantasie und Problemlösungsfähigkeiten zu entwickeln, als früh mit einem Tablet umzugehen. Ab einem Alter von etwa 12 oder 14 Jahren können digitale Werkzeuge dann gezielt eingeführt werden, um etwa Programmieren zu unterrichten.
Redaktion: Einige Schulen setzen heute auf Gamification und Edutainment, um Kinder zu motivieren. Ist das in Ihren Augen für diese Generation ein sinnvoller Ansatz?
Maas: Gamification hat sicherlich ihren Platz, aber sie sollte nicht der Kern des Unterrichts sein. Sie nutzt sich tatsächlich sehr schnell ab. Einige Unternehmen haben zeitweise auf sogenanntes Recrutainment gesetzt, ein Vorstellungsgespräch, das unterhalten soll. Ich kenne kein Unternehmen, das diese Methode beibehalten hat. Bildung darf nicht ausschließlich darauf abzielen, möglichst unterhaltsam zu sein. Der Fokus auf Edutainment kann dazu führen, dass Kinder weniger Durchhaltevermögen entwickeln, weil sie erwarten, dass Lernen immer leicht und spielerisch sein muss.
Redaktion: Welche langfristigen Auswirkungen könnte die frühzeitige Digitalisierung auf die Generation Alpha haben?
Maas: Die ständige Bespielung durch digitale Geräte führt zu einer Art Konditionierung. Kinder assoziieren digitale Geräte mit Unterhaltung und schnellem Zeitvertreib. Wenn sie dann in der Schule Tablets oder Handys sehen, denken sie automatisch an diese Nutzungsmuster, statt sich auf den eigentlichen Lerninhalt zu konzentrieren. Hinzu kommt, dass der Einsatz von Technologie oft soziale Ungleichheiten verstärkt. Nicht alle Familien können sich die gleichen Geräte leisten, was zu einer weiteren Spaltung führt. Wenn wir digitale Werkzeuge im Unterricht nutzen, sollten diese für alle gleich zugänglich sein – etwa durch schuleigene Geräte, die im Unterricht bleiben und nicht mit nach Hause genommen werden. Digitale Werkzeuge sind ein wertvolles Hilfsmittel, wenn sie bewusst und gezielt eingesetzt werden. Sie sollten aber immer von einer starken Basis aus analogem Lernen und sozialer Interaktion begleitet werden. Schulen und Lehrkräfte müssen die Verantwortung übernehmen, den Kindern zu zeigen, wie Technologie sinnvoll genutzt wird – nicht als Ersatz für analoge Erfahrungen, sondern als Ergänzung.
„Viele glauben, dass Kinder, weil sie Smartphones und Tablets intuitiv bedienen können, auch tatsächlich kompetent im Umgang mit digitalen Technologien sind. Aber liken, wischen und spielen bedeuten noch keine echte digitale Kompetenz.“
Dr. Rüdiger Maas
Redaktion: Was ist ein typisches Missverständnis, das über die Generation Alpha kursiert?
Maas: Eines der größten Missverständnisse betrifft eben die digitale Kompetenz. Viele glauben, dass Kinder allein schon aufgrund der Tatsache, dass sie Smartphones und Tablets intuitiv bedienen können, auch tatsächlich kompetent im Umgang mit digitalen Technologien sind. Aber liken, wischen und spielen bedeuten noch keine echte digitale Kompetenz. Das ist vergleichbar mit der Einführung der Fernbedienung: Damals konnten Kinder sie schnell bedienen, aber niemand hielt sie deswegen für technisch versiert. Heute wird diesen alltäglichen Handlungen oft zu viel Bedeutung beigemessen, ohne dass eine tiefere Reflexion oder echte Kompetenz dahintersteckt.
Redaktion: Welche weiteren Herausforderungen begegnen Lehrkräften in der Interaktion mit der Generation Alpha?
Maas: Die Herausforderungen für Lehrkräfte sind vielfältig und haben sich mit der Generation Alpha weiter verschärft. Ein zentraler Punkt ist der zunehmende Einfluss und die Rolle der Eltern. Eltern sind heute viel stärker in den Schulalltag eingebunden. Hausaufgaben, die früher eine Hauptverantwortung des Schülers waren, werden jetzt oft gemeinsam mit den Eltern erledigt. Das kann positiv sein, wenn Eltern und Lehrkräfte in die gleiche Richtung arbeiten. Doch häufig gibt es Konflikte, weil Eltern ihr Kind anders wahrnehmen als die Lehrkraft, die den gesamten Klassenverband im Blick hat. Eine weitere Schwierigkeit entsteht, wenn Eltern zunehmend Druck auf Lehrkräfte ausüben. Manche Eltern hinterfragen Korrekturen akribisch, diskutieren die Notengebung und suchen auch in Erziehungsfragen regelmäßig den Rat der Lehrkräfte – was am Ende die Zeit, die Lehrkräfte für diese Eltern aufwenden müssen, stark steigern wird. Unsere Studien zeigen, dass etwa 17 Prozent der Eltern wöchentlich Erziehungsfragen an Erzieher:innen und später Lehrkräfte herantragen. Wenn Vorschläge der Lehrkraft nicht sofort greifen, stehen diese Eltern in der nächsten Woche wieder mit neuen Fragen da. Das bindet Ressourcen und zeigt, wie sehr Unsicherheit und Überbehütung bei Eltern zugenommen haben.
Redaktion: Diese Ressourcen, die Sie ansprechen, sind nur begrenzt vorhanden. Viele Lehrkräfte arbeiten bereits an ihrer Belastungsgrenze. Was ist die Konsequenz?
Maas: Einige Lehrkräfte gaben in unseren Interviews zu, dass sie sich angesichts des Drucks zurückziehen. Sie sagen sinngemäß: „Dann soll das Kind eben aufs Gymnasium gehen, und der nächste Lehrer muss damit zurechtkommen.” Es gibt eine Tendenz, dass Schüler:innen immer weiter „durchgereicht“ werden, selbst wenn sie die Voraussetzungen für den nächsten Schritt nicht erfüllen. Was früher zu viele Kinder auf Hauptschulen zurückgelassen hat, wird heute umgekehrt: Es landen immer mehr Kinder auf weiterführenden Schulen, die dort nur schwer zurechtkommen. Das belastet nicht nur die Lehrkräfte, sondern auch das System insgesamt.
Redaktion: Welche Erkenntnisse haben Sie über die emotionalen und sozialen Kompetenzen der Generation Alpha gewonnen, insbesondere im Kontext Schule?
Maas: Das ist ein weiteres großes Thema für diese Generation. Unsere Forschung zeigt, dass Kinder, die extrem überbehütet werden, ähnliche Entwicklungsverzögerungen aufweisen wie Kinder, die stark vernachlässigt werden – insbesondere in den Bereichen Sprache und Sozialverhalten. Überbehütete Kinder sind es gewohnt, dass Erwachsene Konflikte für sie lösen. Wenn sie sich in der Schule streiten, gehen sie schnell zur Lehrkraft und erwarten, dass diese den Konflikt klärt, anstatt selbst Lösungen zu suchen. Eine andere Entwicklung ist die abnehmende Empathie. Viele Kinder sind durch die digitale Welt geprägt, in der oft eine Schwarz-Weiß-Logik vorherrscht. Emotionen und Konflikte werden schnell absolut bewertet. Lehrkräfte berichten, dass Kinder seltener in echte Konflikte geraten, aber wenn sie es tun, haben sie Schwierigkeiten, rechtzeitig aufzuhören oder die Perspektive des Gegenübers zu verstehen. Das zeigt sich auch später in höheren Altersgruppen.
Redaktion: Wie sieht die soziale Dynamik im Klassenzimmer und innerhalb von Gruppen bei der Generation Alpha aus?
Maas: Die soziale Dynamik im Klassenzimmer weist sowohl altbekannte als auch neue Muster auf. Viele klassische Gruppenkonstellationen, wie wechselnde Freundschaftsnetzwerke, gerade bei Mädchen, bei denen Beziehungen oft indirekt über andere vermittelt sind und instabil sein können, oder der Wechsel von besten Freunden, sind weiterhin vorhanden. Was sich jedoch verändert hat, ist der stärkere Einfluss der Eltern auf soziale Situationen. Zum Beispiel ist es heute nicht ungewöhnlich, dass Eltern bei Kindergeburtstagen bleiben, anstatt die Kinder allein miteinander spielen zu lassen. Ein anderes Beispiel sind Peergroups, die sich oft entlang sprachlicher oder kultureller Linien bilden, insbesondere in westdeutschen Städten, wo die Generation Alpha besonders multi-divers aufwächst. Auf dem Land und in ostdeutschen Regionen sind solche Dynamiken weniger ausgeprägt.
Redaktion: Was können Lehrkräfte tun, um die Herausforderungen mit der Generation Alpha zu bewältigen?
Maas: Lehrkräfte müssen lernen, Eltern stärker einzubinden, ihnen aber auch klare Grenzen aufzeigen, denn diese spielen eine größere Rolle im Schulalltag als früher. Eltern haben heute viele Ängste, die oft schon bei der Einschulung beginnen. Es wäre sinnvoll, Eltern intensiver auf die Schule vorzubereiten – etwa durch spezielle Veranstaltungen, die ihnen die Bedeutung von Hausaufgaben und die Eigenständigkeit ihrer Kinder näherbringen. Es sollte klargemacht werden, dass es völlig normal ist, wenn Kinder Hausaufgaben anstrengend oder langweilig finden, und dass das Teil des Lernprozesses ist. Wichtig ist auch, sich daran zu erinnern, dass nicht alle Eltern problematisch sind. Wir schätzen, dass etwa 20 Prozent der Eltern besonders fordernd sind und Lehrkräfte vor Herausforderungen stellen. Der Großteil der Eltern arbeitet konstruktiv mit den Lehrkräften zusammen, fällt aber weniger auf. Dennoch sind es diese fordernden Eltern, die die Dynamik und die Arbeit der Lehrkräfte stark in Anspruch nehmen und oft im Fokus stehen. Das Wichtigste ist, Eltern und Lehrkräfte in dieselbe Richtung zu bringen, damit sie gemeinsam das Beste für die Kinder dieser Generation erreichen können.
Redaktion: Wir haben nun viele kritische Aspekte in Bezug auf die Generation Alpha diskutiert. Gibt es auch positive Entwicklungen?
Maas: Ja, natürlich. Die Generation Alpha wächst in einer multi-diversen Gesellschaft auf, in der Themen wie kulturelle Vielfalt und Genderfragen selbstverständlich werden. Viele Kinder entwickeln eine erhöhte Toleranz gegenüber anderen Lebensentwürfen. Zudem verbringen Eltern heute mehr Zeit mit ihren Kindern, was positiv für die Beziehung sein kann. Auch gesellschaftliche Trends wie der Rückgang von Substanzmissbrauch und Kriminalität oder der Rückgang von Suizidraten bei Jugendlichen sind ermutigend. Dennoch bleibt die Herausforderung, wie wir Kinder in einer digitalen und zunehmend komplexen Welt auf das Leben vorbereiten, ohne sie zu überfordern oder ihre Eigenständigkeit zu untergraben.
Redaktion: Herr Doktor Maas, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person
Rüdiger Maas ist ein deutscher Psychologe und Autor, der sich intensiv mit der Erforschung von Generationen und ihren spezifischen Merkmalen beschäftigt. Als Leiter des Instituts für Generationenforschung in Augsburg hat er zahlreiche Studien zur Generationenpsychologie veröffentlicht, mit einem besonderen Fokus auf die Generation Alpha und die Auswirkungen der Digitalisierung auf deren Entwicklung.