Flüchtlingskinder an deutschen Schulen – auf was es jetzt ankommt

Hunderttausende geflüchtete Kinder kommen durch den Krieg in der Ukraine nach Deutschland. Wie gehen Schulen damit um? Drei Expertinnen im Gespräch

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs sind mehr als 600.000 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, 40 Prozent der Geflüchteten sind Kinder, vermeldet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Damit steht Deutschlands Bildungssystem wie 2015 erneut vor einer großen Herausforderung, den ankommenden jungen Menschen eine Perspektive zu bieten. Wie gelingt das? Was haben Schulen seit 2015 gelernt? Darüber sprach das Online-Magazin schulmanagement mit Prof. Dr. Dominique Rauch, Prof. Dr. Patricia Stosic und Prof. Dr. Svenja Vieluf vom Bundesforschungsprojekt „Schulischer Wandel in der Migrationsgesellschaft" (SchuWaMi). 

Redaktion: Frau Rauch, Frau Stosic, Frau Vieluf, schätzungsweise eine Viertelmillion Kinder sind inzwischen vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflüchtet und kommen in diesen Wochen und Monaten ins deutsche Bildungssystem. Wie schätzen Sie die Situation ein? Wo sehen sie die größten Herausforderungen für Deutschlands Schulen?

Prof. Dr. Patricia Stosic: Es ist schwierig, hier eine pauschale Einschätzung zu geben; der Ankommens- und Eingliederungsprozess ist in vollem Gange. Anders als bei den letzten größeren Fluchtbewegungen nach Deutschland, die wir insbesondere mit dem Jahr 2015 in Zusammenhang bringen, scheint man dieses Mal aus verschiedenen Gründen allerdings eine etwas flexiblere Bildungspolitik zu verfolgen. So wurde Ende März 2022 eine so genannte Task Force der KMK gegründet, die sich intensiv mit dem Thema befasst. Und anders als bislang, will man dieses Mal nicht einseitig auf Integration im Sinne einer Anpassung der geflüchteten Kinder und Jugendlichen an das deutsche Schulsystem setzen. Im Vordergrund steht also nicht ausschließlich die intensive Förderung des Deutschen in separierten, so genannten Willkommens- oder Intensivklassen. Sondern man will ausdrücklich die Rückkehrfähigkeit der ukrainischen Schüler:innen aufrechterhalten. Dies schließt, auch auf Wunsch der ukrainischen Behörden und Community, die Pflege der ukrainischen Identität, der ukrainischen Sprache und schließlich sogar den Anschluss an das ukrainische Curriculum ein. Erreichen will man dies etwa durch den Einsatz ukrainischer Lehrpersonen und eine Zusammenarbeit mit ukrainischen Bildungsbehörden. Gleichzeitig will man aber auch sicherstellen, dass die Kinder und Jugendlichen im Falle der Fälle eine Bleibeperspektive haben und gut in Deutschland ankommen, auch sollen Anschlussmöglichkeiten und gute Bildungs- und Ausbildungschancen im deutschen Schulsystem entwickelt werden. Die Vermittlung zwischen Rückkehrorientierung und Bleibeperspektive stellt hierbei eine Herausforderung auf verschiedenen Ebenen dar und bietet zugleich aber auch Chancen, sowohl für die ukrainischen Kinder und Jugendlichen als auch für das deutsche Bildungssystem, das die Beschulung neu-zugewanderter Schüler:innen bislang eher restriktiv organisiert hat.

Redaktion: Was sind die ersten und wichtigsten Schritte, die von Schulseite nun für die hier ankommenden Kinder geleistet werden müssen? Auf was kommt es in den ersten Wochen und Monaten besonders an? Wo sehen Sie eventuell auch Fallstricke oder vermeidbare Fehler in dieser ersten Zeit?

Stosic: Vor allem muss es zunächst darum gehen, Schule als ,sicheren Ort‘ für Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten und mit Fluchterfahrungen zu etablieren. Dies bedeutet, dass sie sich in der Schule zunächst sicher und aufgehoben fühlen sollen und sie von hier aus weiterführende Perspektiven und schließlich auch Leistungsbereitschaft und Leistungsvermögen entwickeln können. Hierfür braucht es entsprechende pädagogische Konzepte, in die die Schulsozialarbeit oder gegebenenfalls der schulpsychologische Dienst beziehungsweise außerschulische Helfersysteme eingebunden sind. Die schulpädagogische Bedeutung dieser Konzepte, auch die entsprechenden Fortbildungen für Lehrkräfte zum Thema Traumapädagogik würden wir jedoch unabhängig von der Situation ukrainischer Kinder und Jugendlichen sehen. Schulen sind generell ein Ort, an dem Kinder mit allen möglichen Belastungen und Vorerfahrungen zusammenkommen und von dem aus Hilfen und Unterstützung in diese Richtung der psychosozialen und biographischen Unterstützung gebündelt, organisiert und sichergestellt werden können.

Prof. Dr. Svenja Vieluf: Darüber hinaus müssen von Anfang an auch bezogen auf das Lernen und die schulische Arbeit Ziele benannt und mit den Familien kommuniziert werden. Wie schon in der Antwort auf Ihre erste Frage deutlich geworden ist, scheint dies in diesem Falle allerdings nicht so ganz einfach zu sein, beziehungsweise muss hier jede Schule in einen Prozess der Schulentwicklung einsteigen und für sich überlegen: Was können wir leisten? Und wie können wir die entsprechenden Ressourcen sicherstellen? Auf welche Strukturen können wir zurückgreifen? Welche gilt es neu zu entwickeln? Es kommt darauf an, eine zukunftsträchtige Perspektive für die Kinder und ihre Familien zu entwickeln, die umsetzbar ist und die Familien auf diesem Weg mitzunehmen. 

„Für das eine Kind ist die Konzentration auf den Erwerb einer neuen Sprache eine hohe Belastung, die vielleicht auch durch die Erwartungen der mitgeflohenen Mütter verstärkt wird, die hierin eine wichtige Unterstützung für die Familie sehen.“

Prof. Dr. Dominique Rauch

Prof. Dr. Dominique Rauch: Ein Fallstrick könnte sein, dass die Schule zu sehr in ihrer eigenen Organisationslogik verstrickt und nicht in der Lage sind, kindzentriert auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen mit Fluchterfahrung zu reagieren. So kann eine 3 bis 4 Stunden umfassende Beschulung mit dem Ziel Deutsch zu lernen vollkommen unterschiedlich wirken. Für das eine Kind ist die Konzentration auf den Erwerb einer neuen Sprache eine hohe Belastung, die vielleicht auch durch die Erwartungen der mitgeflohenen Mütter verstärkt wird, die hierin eine wichtige Unterstützung für die Familie sehen. Für das andere Kind wäre ein ergänzendes Angebot im Regelunterricht sinnvoll, um an die bisherige Beschulung und die Interessen des Kindes anzuschießen. Eine Organisationslogik, die vor allem auf Separierung setzt, bietet hier wenig Individualisierungsmöglichkeiten.

Redaktion: Seit 2015 hat das deutsche Schulsystem viele Kinder und Jugendliche mit Fluchthintergrund aufgenommen. In Ihrem Forschungsprojekt "Schulischer Wandel in der Migrationsgesellschaft" (SchuWaMi) geht es unter anderem um die Wechselwirkung zwischen der Schulkultur in Deutschland und den Kindern und Jugendlichen mit Fluchthintergrund. Was hat sich im deutschen Schulsystem durch die Erfahrungen seit 2015 geändert? Ist das System gewachsen und besser auf eine Situation, wie wir sie jetzt wieder erleben, vorbereitet?

Vieluf: In den letzten Jahren wurden sicherlich – auf der bildungspolitischen Ebene und in einzelnen Schulen mehr oder auch weniger – Strukturen etabliert, auf die man jetzt gut zurückgreifen kann. Manche Schulen haben sogar schon jahrzehntelange Erfahrung, haben zum Beispiel bereits in den 1990er- und 2000er-Jahren Kinder unterrichtet, die vor Kriegen in Serbien, dem Kosovo, Afghanistan, dem Irak und anderen Ländern geflohen waren. So haben sich – in einigen Schulen erst kürzlich, in anderen schon länger – bestimmte Routinen im Umgang mit neu zugewanderten Schüler:innen herausgebildet. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse unserer Befragung aber auch, dass selbst an Schulen mit intensiven langjährigen praktischen Erfahrungen der Anteil der Lehrpersonen, die im Kontext ihrer Ausbildung oder im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen die Gelegenheit hatten, auch theoretisches Wissen über dieses Thema zu erwerben, ziemlich gering ist. Mittlerweile werden an den meisten Universitäten Seminare zu diesen Themen angeboten, aber gerade ältere Lehrkräfte haben oft wenig Gelegenheit gehabt, sich aus wissenschaftlicher Perspektive mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Forschungsprojekt Schulischer Wandel in der Migrationsgesellschaft (SchuWaMi)

Das Projekt Schulischer Wandel in der Migrationsgesellschaft (SchuWaMi) untersucht, wie Schulen in Deutschland auf die vermehrte Aufnahme von geflohenen Kindern und Jugendlichen reagiert haben, welche institutionellen Veränderungsprozesse in diesem Kontext stattgefunden haben und stattfinden und inwiefern und wie es den Schulen dabei gelingt, die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung zu befördern. In diesem Projekt steht die Frage nach der Rolle der Schulkulturen und ihren institutionellen Voraussetzungen im Mittelpunkt. Schulkultur(en) prägen die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Fluchthintergrund, sind jedoch nicht statisch und können sich durch die Aufnahme der Kinder verändern. Gleichzeitig untersucht SchuWaMi Effekte auf die soziale und schulische Teilhabe geflüchteter Schülerinnen und Schüler und arbeitet dabei interdisziplinär, längsschnittlich und mit einem Mixed-Methods Design.

Stosic: Zudem findet eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik nach wie vor überwiegend an Haupt-/Real- und Gesamtschulen statt. Dies hat etwas damit zu tun, dass die deutsche Sprache vorausgesetzt wird und die Kinder erst in die Regelklassen überführt werden, wenn sie ausreichend Deutsch sprechen, um folgen zu können. Die sogenannten Willkommens- und Intensivklassen wurden häufig an schrumpfenden Hauptschulen eingerichtet, weil hier freie Räume zur Verfügung standen. Zwar ist ein Übergang von einer solchen Willkommensklasse in ein Gymnasium grundsätzlich möglich und geschieht auch, aber nicht selten verbleiben die Schüler*innen letztendlich doch in den Schulen, die sie zuerst aufgenommen haben. Eine systematische Vermittlung von Fächerinhalten zum Beispiel auf Arabisch stand bislang nicht zur Diskussion. Es wird spannend sein, zu sehen, wie dies nun mit Blick auf den Unterricht in Ukrainischer Sprache umgesetzt wird.

Rauch: Unterrichtskonzepte, die auf Mehrsprachigkeit setzen und sich bemühen die Mehrsprachigkeit der Kinder aktiv in den Unterricht einzubeziehen, werden in der Wissenschaft seit einiger Zeit diskutiert und auch empirisch geprüft. In der Breite haben sich solche Konzepte an deutschen Schulen jedoch nie durchgesetzt, obwohl auch ohne Schüler*innen die gerade aus der Ukraine oder wie 2015 aus Syrien oder auch Afghanistan migriert sind, deutsche Schulen von Kindern und Jugendlichen mit vielen verschiedenen Familiensprachen besucht werden. Gründe hierfür liegen auf allen Ebenen des Schulsystems, nicht zuletzt in der Schulkultur der Einzelschulen, die eher auf Leistung als auf Anerkennung von Diversität ausgerichtet ist, oder den Einstellungen der Lehrkräfte, die sich vor einem Kontrollverlust fürchten, wenn Sie andere Sprachen als Deutsch im Unterricht zulassen. Und eben möglicherweise auch daran, dass dies noch nicht lange systematisch und flächendeckend in der universitären Ausbildung thematisiert wird.

Redaktion: Wo sehen Sie die größten positiven Wandel in den vergangenen Jahren an Deutschlands Schulen? In welchen Bereichen hat sich verglichen damit wenig bewegt, wo sehen Sie bis heute noch die größten Defizite beziehungsweise Lernpotentiale?

Vieluf: Wir sehen, dass sich an einigen Schulen viel bewegt hat und die Beschulung von neu zugewanderten Schüler:innen ambitioniert angegangen wird. Viele Schulen haben sich hier auf den Weg gemacht und leisten tolle Arbeit. Kürzlich migrierte Kinder fühlen sich genauso wohl an den Schulen, wie ihre Klassenkamerad:innen und berichteten in unserer Befragung, dass sie sogar etwas mehr Unterstützung durch Lehrkräfte erfahren als die nicht migrierten Kinder. 

„Es sollte darum gehen, den Kindern Wertschätzung entgegenzubringen und die Sprachschätze, die sie mitbringen zu würdigen.“

Prof. Dr. Patricia Stosic

Stosic: Allerdings gibt es beispielsweise keinen Konsens dahingehend, wie mit den Familiensprachen der Kinder und Jugendlichen umgegangen werden sollte. Es gibt Schulen, an denen bestimmte Sprachen zum Beispiel auf dem Schulhof verboten sind. Ein wertschätzender Umgang mit Mehrsprachigkeit, gar die Einbindung verschiedener Sprachen in den Unterricht, das wären konzeptionelle Fragen, die unseres Erachtens noch mehr Beachtung finden sollten. Es geht hier auch nicht darum, dass Kinder kein Deutsch lernen sollen – die Sprachen sollten nicht in Konkurrenz zueinander betrachtet werden. Sondern es sollte darum gehen, den Kindern Wertschätzung entgegenzubringen und die Sprachschätze, die sie mitbringen zu würdigen. Die Wahrscheinlichkeit, einer hohen Identifikation mit dem Schulsystem und einer hohen Lernbereitschaft dürfte so höher sein, als wenn Kindern das Gefühl vermittelt wird, dass ihre Sprachen keinen Bildungswert haben. 

Rauch: Ein Problem, das vielen Schulen gemein ist, ist dass es eine dem System eigene Tendenz zu Trennung nach Alter und Leistung in feste Gruppen – Jahrgangsstufen und Klassen – gibt, die Quereinstiege erschweren, in denen Alter und Leistung weniger übereinstimmen können. Auch die bereits angesprochene geringe Flexibilität ist in vielen Schulen ein persistierendes Thema. Lernen mit Wochenplänen und Projektarbeit reicht hier nicht aus. Wandel könnte dahingehen, dass Kinder über den Tag hinweg in unterschiedlichen Lerngruppen lernen können beziehungsweise verstärkt jahrgangsübergreifendes Lernen realisiert wird. Entsprechende Versuche gibt es seit längerem in einzelnen Schulen. Eine breitere Umsetzung dieser Konzepte würde allerdings einen recht fundamentalen Wandel der schulischen Praxis bedeuten.

„Eine stärkere überregionale Vernetzung von Schulen könnte dazu beitragen, dass das Rad nicht an jeder Schule neu erfunden werden muss.“

Prof. Dr. Svenja Vieluf

Vieluf: Flexibilisierung ließe sich auch mit Hilfe – des ohnehin aktuell pandemiebedingt beschleunigten Prozesses – der Digitalisierung realisieren. Beispielsweise bestand eine Herausforderung für Schulen, die Unterricht in den Erstsprachen ihrer Schüler:innen anbieten wollten bislang darin, dass oft viele einzelne Schüler:innen an einer jeden Schule viele unterschiedliche Erstsprachen sprechen. In digitalen Kursen könnten Schüler:innen standortübergreifend ihre erstsprachliche Kompetenz vertiefen. Auch ergänzender Fachunterricht auf der Erstsprache könnte so möglich werden. Laut Medienberichten nutzen geflohene ukrainische Kinder bereits Möglichkeiten des Homeschooling, um mit ihren heimischen Klassen verbunden zu bleiben. Auf Dauer ist das so sicher keine Lösung, aber wenn sich ergänzende digitale Angebote als Wahl- oder Wahlpflichtfächer etablieren würden, könnten die Kinder sicher sehr profitieren.

Redaktion: Wie geht man von Schulseite am besten mit der unsicheren Langfrist-Perspektive der ankommenden Kinder um? Wie beschult man Kinder, von denen ungewiss ist, ob und wie lange sie in Deutschland bleiben? Von denen unklar ist, ob sie wieder Anschluss ans ukrainische Schulsystem haben oder auf ein Leben hier vorbereitet werden sollen?

Stosic: Dies ist, wie schon angesprochen, ein schwieriges Unterfangen. Sicherlich sollte die Ukrainische Sprache weiter gefördert werden, so wie unseres Erachtens jede Sprache, die ein Kind mitbringt, gefördert werden sollte. Es ist im Sinne einer Öffnung von Perspektiven für die Kinder und Jugendlichen wünschenswert, dass die Phase in denen der alleinige Fokus auf dem Erlernen des Deutschen liegt, möglichst kurzgehalten werden sollte, damit die Kinder schnell auch in anderen Fächern Kompetenzen erwerben können, die in allen relevanten Schulsystemen wichtig sind. Darüber hinaus gibt es ja bereits Überlegungen, wie Abschlüsse der verschiedenen Schulsysteme wechselseitig anerkannt werden können. Auf dieser Ebene der Internationalisierung ließe sich sicherstellen, dass zumindest formal Anschluss an verschiedene Bildungssysteme und Arbeitsmärkte gefunden werden kann. Die psychischen Folgen der unsicheren Situation kann Schule aber nicht auffangen. Hier braucht es andere Angebote.

Redaktion: Wenn wir davon ausgehen, dass Migration und Flucht, wie wir sie jetzt erneut im großen Umfang erleben, eine neue Normalität für Deutschlands Schulen darstellen: Wie muss sich Schulkultur in Deutschland langfristig entwickeln, um bestmöglich mit dieser Realität „fertig zu werden“? Um es mit den Worten ihren Forschungsprojekt zu fragen: Wie muss sich Schule wandeln in einer und für eine Migrationsgesellschaft?

Rauch: Zentral wäre ein Wandel hin zu größerer Anerkennung von Differenz und zu mehr Flexibilität im System. Konkret wäre auch eine Öffnung gegenüber migrationsbezogener Mehrsprachigkeit auf schulischer Ebene und im Unterricht wichtig. Wie dies allerdings realisiert werden kann, ist eine komplexe Frage, mit der Lehrpersonen nicht allein gelassen werden dürfen. Vielmehr sollten vor allem auch auf systemischer Ebene Strukturen hinterfragt und geändert werden – wie etwa die Dreigliedrigkeit des Bildungssystems, Benotung oder Homogenisierung nach Geburtsjahr, aber auch Personalausstattung und andere Ressourcen.

Vieluf: Hilfreich könnten außerdem Theorie-Praxis-Kooperationen sein, im Rahmen derer Wissenschaftler:innen, Lehrkräfte, Sozialarbeiter:innen gemeinsam Ansätze entwickeln würden, wie in der Praxis besser mit Differenzen umgegangen werden kann, die gleichzeitig theoriebasiert und an den lokalen Kontext angepasst sind. Eine stärkere überregionale Vernetzung von Schulen könnte zudem dazu beitragen, dass das Rad nicht an jeder Schule neu erfunden werden muss. Aber für eine Beteiligung an solchen Aktivitäten bräuchten Lehrpersonen auch eine zeitliche Entlastung. Das darf nicht in den Feierabendstunden laufen.

Redaktion: Frau Professorin Rauch, Frau Professorin Stosic, Frau Professorin Vieluf, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Prof. Dr. Dominique Rauch ist Leiterin im Projekt Schulischer Wandel in der Migrationsgesellschaft und seit 2019 Professorin für Psychologie an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

Zur Person

Prof. Dr. Svenja Vieluf ist Leiterin im Projekt Schulischer Wandel in der Migrationsgesellschaft und seit 2022 Professorin für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Unterrichtsforschung an der Technischen Universität Braunschweig.

Zur Person

Prof. Dr. Patricia Stosic ist Leiterin im Projekt Schulischer Wandel in der Migrationsgesellschaft und seit 2022 Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Duisburg-Essen.