Unser Bildungssystem im Jahresrückblick

Prof. Dr. Olaf Köller lässt das Jahr 2022 aus Sicht der Bildungsforschung Revue passieren und gibt einen Ausblick auf das neue Jahr.

Das Jahr 2022 ist nicht spurlos an der deutschen Bildungslandschaft vorübergegangen. Die Folgen der Coronapandemie wirken nach. Dazu kamen aus der Ukraine geflüchtete Schülerinnen und Schüler und ein fortwährender Lehrkräftemangel. Im Jahr 2023 werden sich diese Probleme nicht auflösen, ist sich Prof. Dr. Olaf Köller sicher. Gleichzeitig werden wichtige Weichen gestellt, um die Defizite im Schulsystem zu verringern.

Redaktion: Herr Professor Köller, wenn Sie aus Sicht der Bildungsforschung auf das Jahr 2022 zurückblicken, welche Themen waren es, die Sie in den vergangenen Monaten am meisten beschäftigt haben?

Prof. Dr. Olaf Köller: Ein Ereignis, das uns dieses Jahr sicherlich alle erschüttert hat, war der Ukrainekrieg. Für das Schulsystem bedeutete das die Aufnahme von über 200.000 geflüchteten Schülerinnen und Schülern. Daran schloss sich schnell die Frage an, ob und wie lange diese Schülerinnen und Schüler und ihre Begleitpersonen in Deutschland bleiben werden und ob die Schülerinnen und Schüler in ihrer Heimatsprache unterrichtet werden oder Deutsch lernen sollten. Dazu gab es einige Diskussionen und die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK) hat in ihrer Stellungnahme schon früh darauf hingewiesen, dass eine ganze Reihe der Geflüchteten in Deutschland bleiben wird und die Schülerinnen und Schüler sowie Kindergartenkinder rasch Sprachlernangebote brauchen, um Perspektiven in unserem Bildungssystem zu haben.

Das zweite großes Thema dieses Jahres war sicherlich die Publikation des IQB-Bildungstrends. Die Erhebung fand 2021 nach zwei Lockdowns statt. Nachdem bereits die Erhebung im Jahre 2016 gegenüber der von 2011 einen Rückgang der Kompetenzen gezeigt hatte, war eine weitere Verschlechterung erwartbar. Zum einen aufgrund der Pandemie und den damit verbundenen Schulschließungen, für die ja schon zuvor nationale und internationale Befunde gezeigt haben, dass besonders Grundschulkinder unter den Schulschließungen zu leiden hatten. Aber eben auch, weil sich sinkende Leistungen bereits seit dem IQB-Bildungstrend 2011 als genereller Trend andeuteten. 

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Im Schulkontext spielt zudem noch ein drittes großes Thema mit hinein: der demografische Wandel und der damit verbundene akute Lehrkräftemangel in allen 16 Bundesländern. Derzeit werden Scharen an Quer- und Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger und neuerdings auch eher rudimentär qualifizierte Lehrkräfte angestellt, wie beispielsweise Studierende, die ihr Lehramtsstudium abgebrochen haben, um nun dennoch in den Schuldienst aufgenommen zu werden. Dies verdeutlicht: Wir haben eklatante Probleme und es besteht dringend Handlungsbedarf.

Und noch ein weiteres großes Problem ist in diesem Jahr besonders deutlich geworden, nämlich der große Einbruch am dualen Ausbildungsmarkt. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist gesunken, sodass wir ein erhebliches Delta am Ausbildungsmarkt haben. Dass Ausbildungsplätze frei bleiben, weil wir zu wenig qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber haben, wird auch in den nächsten Jahren ein Riesenproblem sein. 

„In einzelnen Ländern gibt es positive Anzeichen dafür, dass das Corona-Aufholprogramm gut funktioniert hat.“

Prof. Dr. Olaf Köller

Redaktion: Die Themen, die Sie ansprechen, haben alle einen problematischen Unterton. Wo wurden an den Schulen dieses Jahr Chancen genutzt? 

Köller: Eine positive Entwicklung der vergangenen Pandemiejahre, die wir auch 2022 sehen, ist der deutliche Digitalisierungsschub an den Schulen. In diesem Zusammenhang hat der Bund auch die Einrichtung von digitalen Kompetenzzentren ausgeschrieben, die eine kontinuierliche Professionalisierung von Lehrkräften vorantreiben sollen. Aber auch die Länder haben teilweise große Anstrengungen unternommen, um die Digitalisierung zu forcieren. Bei allen Problemen, die die Pandemie gebracht hat, sehen wir zudem, dass das Schulsystem insgesamt gar nicht so schlecht durch die Krise gekommen ist. Es gibt Publikationen, die zeigen, dass die Abiturdurchschnittsnoten in den Ländern während der Pandemie besser geworden sind und die Quoten der Sitzengebliebenen geringer ausfallen. Davon muss man einen gewissen Pandemiebonus abziehen, aber im Großen und Ganzen ist ein Großteil der Schülerinnen und Schüler gut durch die Pandemie gekommen – das gilt insbesondere für die älteren Klassenstufen und leistungsstarke Schülerinnen und Schüler.

In einzelnen Ländern gibt es außerdem positive Anzeichen dafür, dass das Corona-Aufholprogramm gut funktioniert hat. Insbesondere im Stadtstaat Hamburg, der die Aufholmittel zielgenau eingesetzt hat und die Förderung der Basiskompetenzen mit Fokus auf besonders benachteiligte Gruppen angegangen ist und folgerichtig auch im Bildungstrend ganz gut abgeschnitten hat. Auch andere Länder wie Schleswig-Holstein oder Baden-Württemberg, die sich an den Empfehlungen der SWK orientiert haben, waren hier erfolgreich, während das Programm anderswo, wie etwa in Niedersachsen, eher weniger Früchte getragen haben dürfte.

Auch die Hochschulen sind fast ungeschoren durch die Krise gekommen. Nach pandemiebedingten Einbrüchen bei den Studienanfängerzahlen haben sich diese wieder auf einem hohen Niveau eingependelt. Dazu haben übrigens insbesondere die ausländischen Studienanfängerinnen und -anfänger beigetragen.

Redaktion: Die Ständige Wissenschaftliche Kommission, deren Co-Vorsitzender Sie sind, hat dieses Jahr Gutachten und Stellungnahmen auf den Weg gebracht. Was hat die SWK damit 2022 in der Politik bewegt?

Köller: Die zwei großen SWK-Gutachten des Jahres bezogen sich auf die Themenbereiche „Digitalisierung im Bildungssystem“ und „Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern. Perspektiven für die Grundschule“.  Darüber hinaus gab es die bereits erwähnte Stellungnahme zu den geflüchteten Schülerinnen und Schülern aus der Ukraine und ein Impulspapier zur „Entwicklung von Leitlinien für das Monitoring und die Evaluation von Förderprogrammen im Bildungsbereich“. Für all diese Papiere gilt, dass die Mehrzahl der Ministerinnen und Minister dankbar für unsere Empfehlungen war. Die Reaktionen auf die Stellungnahme zur Situation ukrainischer Geflüchteter waren sehr positiv. Viele unserer Empfehlungen sind anschließend auch umgesetzt worden. Kinder aus der Ukraine wurden in Sprachlern- oder Willkommensklassen aufgenommen. Gleichzeitig gibt es auch Angebote in ihrer Herkunftssprache. 

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Die Ständige Wissenschaftliche Kommission erläutert in ihrem neuen Gutachten Lösungsansätze, um die Vermittlung basaler Kompetenzen an den Grundschulen zu verbessern.

Die beiden großen Gutachten sind, glaube ich, noch im Verdauungstrakt der Ministerinnen und Minister und es wird derzeit gut überlegt, wie mit diesen Empfehlungen umgegangen werden soll. Aber auch hier zeichnet sich bereits ab, dass wir auf positive Resonanz stoßen. Beispielsweise wurde die Empfehlung, Informatik ab der Sekundarstufe I verpflichtend einzuführen, sehr positiv aufgenommen. Hier erwarte ich einen raschen Wandel. Anderes wird sicherlich länger dauern. Was das Grundschulgutachten betrifft, bin ich mir sicher, dass viele der Empfehlungen in den kommenden Jahren umgesetzt werden. Wir können es uns schlicht nicht erlauben, eine Risikogruppe von 22 Prozent in Mathematik und von 18 Prozent in Deutsch zu haben. Auf diese Weise produzieren wir schon in der Grundschule Modernisierungsverlierer, die auch in der Sekundarstufe I abgehängt werden und nicht in den Ausbildungsmarkt aufgenommen werden können. Insofern bin ich mir sicher, dass auch bei der Mittelallokation in den kommenden Jahren ein Schwerpunkt auf die Unterstützung benachteiligter Schülerinnen und Schüler gelegt wird. 

In meiner Arbeit empfinde ich aber vor allem eine überaus vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre und Kooperation zwischen Wissenschaft und Politik.

„2023 werden wir mit zahlreichen nationalen und internationalen Schulleistungsstudien konfrontiert.“

Prof. Dr. Olaf Köller

Redaktion: Wie bewerten Sie dieses Jahr aus bildungswissenschaftlicher Sicht?

Köller: Ich würde sagen, dass die Krisen dieses Jahr deutlich schwerer wiegen als die Chancen. Das Problem des Lehrkräftemangels wird uns mindestens noch für die nächsten zehn Jahre beschäftigen. Und auch wenn wir uns vor Augen führen, dass die 2021 getestete Kohorte im IQB-Bildungstrend sowohl in Mathematik als auch in Deutsch ein halbes Schuljahr hinter der im Jahr 2011 getesteten Kohorte hinterherhinkt, sind das beunruhigende Zahlen. Das wird nicht dadurch kompensiert, dass wir wieder ein paar Studienanfängerinnen und Studienanfänger mehr an den deutschen Universitäten haben. 

Redaktion: Welche entscheidenden Weichenstellungen sehen Sie im Jahr 2023 auf das deutschen Bildungssystem zukommen?

Köller: Zunächst einmal werden wir 2023 wieder mit zahlreichen nationalen und internationalen Schulleistungsstudien konfrontiert werden. Im Mai steht die Publikation der internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) auf dem Programm. In der zweiten Jahreshälfte wird der IQB-Bildungstrend für die Sekundarstufe I vorliegen. Zudem stehen im Herbst die Ergebnisse des internationalen PISA-Vergleichs fest, dessen Erhebung bereits dieses Jahr stattfand. Zu befürchten ist, dass wir auch bei den Neuntklässlerinnen und Neuntklässlern bzw. 15-Jährigen, auf die die beiden letztgenannten Studien Bezug nehmen, deutliche Leistungsrückgänge sehen werden. Sowohl im internationalen Vergleich in den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften als auch im Ländervergleich mit Blick auf die getesteten Sprachkompetenzen im IQB-Bildungstrend. Wenn sich der Negativtrend fortsetzt, der sich bereits seit 2012 abzeichnet, wird sich hier sicherlich auch die Diskussion über die Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen verschärfen, die in der neunten Jahrgangsstufe ja kurz vor dem Übergang in die Sekundarstufe II beziehungsweise in die berufliche Erstausbildung stehen. Und es wird natürlich auch wieder besonders spannend – und ich befürchte auch besonders deprimierend sein – zu sehen, wie schlecht die erste Generation der Zugewanderten in diesen Studien und insbesondere im Ländervergleich abschneidet. 

„In der Bildungsforschung müssen wir noch einmal neu denken, wie sich Lehr-Lernprozesse auch ohne unmittelbare Begleitung einer Lehrkraft gestalten lassen.“

Prof. Dr. Olaf Köller

Redaktion: Welche „Hausaufgaben“ muss die Bildungsforschung 2023 erledigen, um dazu beizutragen, die Defizite im Schulsystem zu verringern?

Köller: Als Bildungsforscherinnen und Bildungsforscher müssen wir dringend alternative Unterrichtsmodelle entwickeln und erforschen. Wir müssen wegkommen von der Vorstellung, dass ein Schulalltag so aussieht, dass die Schülerinnen und Schüler sechs bis acht Stunden täglich von einer Lehrperson bespielt werden und dabei in Reih‘ und Glied sitzen. In der Bildungsforschung müssen wir noch einmal neu denken, wie sich Lehr-Lernprozesse auch ohne unmittelbare Begleitung einer Lehrkraft gestalten lassen. Ansätze dazu gibt es bereits durch die Flipped-Classroom-Methode oder das Blended-Learning-Modell. Das Rad muss also nicht neu erfunden werden, aber es muss systematischer ausbuchstabiert werden als bisher, was dies konkret für unterschiedliche Altersgruppen und Bildungsniveaus bedeutet. Dazu gehört auch, dass die Bildungsforschung belastbare Daten liefert, ob und wie gut diese Modelle funktionieren. Damit einher gehen Forschungsanstrengungen im Bereich der digitalen Unterrichtsmedien. Denn viele dieser Szenarien, die ohne eine Lehrkraft auskommen, kapitalisieren natürlich den Einsatz digitaler Endgeräte und implizieren, dass digitale Medien eine wichtige Rolle im Lehr-Lern-Geschehen spielen. Hierzu brauchen wir auch eine grundlegende wissenschaftspolitische Diskussion darüber, wie sich in Deutschland nachhaltige Forschungs- und Entwicklungsstrukturen etablieren lassen, um im Bereich der digitalen Medien auch langfristige Programme angehen zu können.

Ein weiterer Aspekt, den sich die Bildungsforschung auf die Fahne schreiben sollte, ist die Implementationsforschung. Es wird darum gehen, besser nachvollziehen zu können, warum Maßnahmen und Förderprogramme, die gut evaluiert sind, häufig trotzdem nicht wirken. Es kann nicht immer nur heißen „Wir wissen, was wirkt. Wir müssen es nur machen.“ Das ist meiner Meinung nach zu unterkomplex gedacht. Natürlich wissen wir, wie gewisse Dinge unter standardisierten Bedingungen funktionieren. Aber wenn wir aus diesen Settings heraustreten und in der Praxis anwenden, kann das mit einer Reihe von Problemen verbunden sein. Deshalb braucht es notwendigerweise mehr Wissen darüber, unter welchen Rahmenbedingungen welches Modell wo funktionieren kann. Das scheint mir ein zentrales Desiderat zu sein, nicht nur für 2023, sondern für die kommenden Jahre allgemein.

Redaktion: Was muss sich 2023 an den Schulen ändern? Was sollten Schulleitungen und Lehrkräfte jetzt angehen?

Köller: Wichtig wäre zunächst eine Haltungsänderung, denn auch im Jahr 2023 werden wir in durch ein Tal der Tränen gehen. Lehrkräfte und Schulleitungen sollten sich darauf einstellen und die Herausforderungen annehmen.  Ich wünsche mir deshalb weniger Gejammere und eine stärkere „Wir schaffen das“-Mentalität. Dafür müssen wir auch immer wieder deutlich machen, dass die akuten Defizite nicht etwa auf finanzielle Ressourcen zurückzuführen sind, sondern zu einem großen Teil darauf, dass schlichtweg Fachkräfte fehlen. Diesen Missstand werden diejenigen, die derzeit an den Schulen sind, weitestgehend ausbaden müssen, um den Schulbetrieb am Laufen zu halten. Schulleitungen spielen in diesem Prozess eine wichtige Rolle und brauchen dringend mehr Unterstützung, beispielsweise durch die Landesinstitute. Es wird darum gehen, Schulen weiterzuentwickeln und neu zu denken. Es wird zu überlegen sein, wie mit Zeit umgegangen wird und wie Lehrkräfte insbesondere in bürokratischen Fragen entlastet werden können. Zudem sind Schulleitungen beim Thema Digitalisierung gefragt. Denn viele Lehrkräfte wissen nach wie vor nicht, wie sie digitale Endgeräte in ihrem Unterricht einsetzen sollen. Um zu verhindern, dass haufenweise digitale Endgeräte in der Ecke landen, braucht es sowohl schulinterne als auch externe Professionalisierungssprozesse. Viele Länder haben in ihren Landesinstituten hierfür eigene sogenannte digitale Kompetenzzentrenstellen aufgebaut. Und auch ganz grundsätzlich kommt den Landesinstituten eine wichtige Gelenkfunktion zu, zwischen Forschung und Praxis zu vermitteln. Damit diese Kooperation funktioniert, muss auch die Wissenschaft in ihrer Zusammenarbeit nachbessern. Denn was wir in der Forschung wissen, ist, dass wissenschaftsbasierte Professionalisierungsprogramme, die eine solche Theorie-Praxis-Kooperation suchen, am erfolgreichsten sind.

„Wenn wir der jetzigen Generation von Schülerinnen und Schülern wirklich Bildungschancen gewähren wollen, müssen wir jetzt in den sauren Apfel beißen.“

Prof. Dr. Olaf Köller

Redaktion: Was steht für 2023 auf der Agenda der Ständigen Wissenschaftliche Kommission? 

Köller: Im Arbeitsprogramm der SWK wird es im Wesentlichen zwei große Bereiche geben, die im nächsten und übernächsten Jahr bearbeiten werden. Der erste Bereich betrifft die Sicherung der Ausbildungsfähigkeit am Ende der Sekundarstufe I und der damit verbundenen Berufsorientierung. Das zweite große Thema schließt an den Lehrkräftemangel und an die Professionalisierung im Lehrberuf an. Hierzu werden wir uns die Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern nochmals genau anschauen und Empfehlungen abgeben. Dabei geht es insbesondere darum, wie Professionalisierungsmodelle auch für alternative Wege ins Lehramt, zum Beispiel bei Quer- und Seiteneinstiegen, so gestaltet werden können, dass sie nicht nur die Unterrichtsquantität, sondern auch die Unterrichtsqualität sichern. Dies wird sicherlich Diskussionen über den Sinn und Unsinn des Vorbereitungsdienstes sowie die Studiendauer nach sich ziehen. Ansonsten müssen wir auch im nächsten Jahr damit rechnen, dass Kitas und Schulen stetig Alarm schlagen, dass ihnen pädagogische Fach- und Lehrkräfte fehlen. Das müssen wir noch mal aushalten. Und ich vermute auch, dass es eine ganze Reihe an Maßnahmen geben wird, die manch einer mit einem Griff in den Giftschrank vergleichen wird, denn angesichts der Lage muss vieles zur Disposition und Diskussion gestellt werden. Angefangen beim Deputat der Lehrkräfte, über den Umgang mit vorzeitigen Pensionierungen bis hin zu einer möglichen Veränderung der Stundentafeln und der Konzentration auf Kernfächer. Möglicherweise wird die eine oder andere Musikstunde ausfallen, um Deutsch- und Mathematikstunden zu sichern. Wir müssen uns klar machen, dass wir vor einer historischen Herausforderung stehen. Wenn wir der jetzigen Generation von Schülerinnen und Schülern wirklich Bildungschancen gewähren wollen, müssen wir jetzt in den sauren Apfel beißen und noch mehr leisten als wir es in der Vergangenheit getan haben. Die aktuellen Krisen werden im Jahr 2023 nicht verschwinden und sie werden das Schulsystem und vor allem auch die Lehrkräfte und Lehrerverbände weiterhin auf Trab halten. 

Redaktion: Herr Professor Köller, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Prof. Dr. Olaf Köller ist Psychologe und seit 2009 geschäftsführender wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel. Zuvor war er Gründungsdirektor des IQB und Professor für Empirische Bildungsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu seinen Forschungsinteressen gehören Bildungsmonitoring, Diagnose schulischer Kompetenzen, individuelle Entwicklungsprozesse unter den institutionellen Rahmenbedingungen von Schule und die Evaluation von Schul- und Unterrichtsentwicklungsprogrammen.