Viel hilft viel? So unterstützen Hausaufgaben den Lernerfolg

Wie Hausaufgaben bearbeitet werden, ist entscheidend für den Lernerfolg. Verhaltensdaten von Schüler:innen zeigen: Langes Büffeln ist nicht unbedingt von Vorteil.

Ob und inwieweit Hausaufgaben sinnvoll sind, wird in der Forschung unterschiedlich bewertet. Verschiedene Studien kommen zu teils widersprüchlichen Ergebnissen, was unter anderem daran liegt, dass viele Untersuchungen auf Selbstauskünften beruhen. Psychologin Hannah Deininger hat Verhaltensdaten von Lernenden ausgewertet, die dabei helfen könnten, Klarheit zu schaffen.

Redaktion: Frau Deininger, wie sieht die aktuelle Forschungslage zum Zusammenhang von Hausaufgaben und Lernerfolg aus?

Hannah Deininger: Der Zusammenhang zwischen Hausaufgaben und Lernerfolg ist komplex. In der Forschung geht man davon aus, dass hierbei verschiedene Faktoren wie Gewissenhaftigkeit, Motivation und Lernkontext eine Rolle spielen. Eine populäre Hypothese besagt, dass Hausaufgaben den Lernerfolg grundsätzlich verbessern und vor allem dann effektiv sind, wenn alle Hausaufgaben ausgiebig bearbeitet werden, getreu dem Motto: Viel hilft viel. Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass Schülerinnen und Schüler nicht zwangsläufig erfolgreicher lernen, wenn sie ihre Hausaufgaben länger bearbeiten. Eine weitere Hypothese geht davon aus, dass Hausaufgaben effektiv sind, sobald Kinder und Jugendliche eine entsprechende Herangehensweise an den Tag legen. Dazu gehört, dass sie sich anstrengen, sich Zeit nehmen und geeignete Lernstrategien anwenden.

Redaktion: Wie kommt es zu diesen unterschiedlichen Einschätzungen?

Deininger: Diese Unterschiede können häufig auf methodische Herausforderungen zurückgeführt werden. Beispielsweise definieren nicht alle Studien den Lernerfolg gleich: Während einige Studien auf standardisierte Tests setzen, verwenden andere Studien auch qualitative Lernzuwächse oder Selbstberichte. Ein zusätzliches methodisches Problem stellt die Abhängigkeit von Selbstangaben der Kinder oder Eltern zum Hausaufgabenverhalten dar, was häufig zu Verzerrungen führt.

Redaktion: In Ihrer Studie haben Sie Daten untersucht, die das Verhalten von Schüler:innen widerspiegeln. Welche Vorteile bietet die Analyse dieser Art von Daten?

Deininger: Verhaltensdaten sind Informationen, die über die Handlungen, Entscheidungen und Interaktionen einer Person gesammelt werden. Ganz allgemein können dazu Dinge wie besuchte Websites oder geklickte Buttons zählen. Verhaltensdaten sind sehr detailliert und objektiv. Bezogen auf unsere Studie erlauben sie daher Einblicke in das tatsächliche Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler, ohne auf Selbstauskünfte angewiesen zu sein.

Redaktion: Welche Art von Daten haben Sie für Ihre Studie untersucht?

Deininger: Die in unserer Studie erfassten Verhaltensdaten stammen aus einer digitalen Lernumgebung, in der die Kinder ihre Hausaufgaben erledigten. Insgesamt haben wir Daten von über 500 Schülerinnen und Schülern aus der 7. Klasse analysiert. Dabei wurden unter anderem die Bearbeitungsdauer und das Klickverhalten aufgezeichnet, was sowohl die Navigation im System als auch das Antwortverhalten abbildet. Diese Daten ermöglichen es uns, objektiv nachzuvollziehen, welche Aufgaben die Kinder zu welchen Zeiten und wie lange bearbeitet haben sowie ihren jeweiligen Erfolg dabei. So können wir etwa die Häufigkeit und Regelmäßigkeit der Hausaufgabenerledigung ableiten. Ergänzt wurden diese objektiven Daten durch Selbstangaben zum Hausaufgabenverhalten, zur Motivation und zur Gewissenhaftigkeit.

Redaktion: Zu welchen Ergebnissen kommt Ihre Studie?

Deininger: Unsere Studie brachte zwei wesentliche Erkenntnisse: Erstens zeigte sich, dass nur die Kombination aus Selbstberichten und Verhaltensdaten ein umfassendes Bild des Hausaufgabenverhaltens ermöglicht; beide Datenquellen beleuchten also unterschiedliche Facetten. Zweitens stellten wir fest, dass eine gewissenhafte Erledigung der Hausaufgaben mit einem höheren Lernerfolg einhergeht. Dabei wurde ebenfalls deutlich, dass die Qualität der Bearbeitung entscheidend ist. Dagegen zeigen unsere Ergebnisse keinen positiven Zusammenhang zwischen der Bearbeitungszeit und dem Lernerfolg. Längere Bearbeitungszeiten sind daher nicht automatisch förderlich, insbesondere wenn sie durch unkonzentriertes Arbeiten bedingt sind.

Redaktion: Gab es überraschende Ergebnisse, die gegen Ihre Erwartungen oder gängige Annahmen sprachen?

Deininger: Überraschenderweise zeigte sich, dass der Lernerfolg umso geringer war, je mehr Zeit insgesamt für die Hausaufgaben aufgewendet wurde, was darauf hindeutet, dass unkonzentriertes Arbeiten hier einen größeren Einfluss hat. Zudem sehen wir, dass Persistenz, also eine gewisse Beharrlichkeit von Kindern, bei schweren Aufgaben nicht aufzugeben, keinen Zusammenhang mit dem Lernerfolg aufweist. Auch ein regelmäßiges Hausaufgabenbearbeiten erbrachte in unserer Studie keinen Vorteil im Vergleich zu einem komprimierten Abarbeiten der Hausaufgaben. 

Redaktion: Wie können Schulen von Ihren Erkenntnissen profitieren?

Deininger: Aus wissenschaftlicher Sicht gewinnt die Analyse und Interpretation von Verhaltensdaten derzeit stark an Bedeutung. Allein die Tatsache, dass die subjektive Einschätzung der Schülerinnen und Schüler nicht mit ihrem Verhalten übereinstimmt, zeigt, wie zielführend ein Feedback auf Basis des tatsächlichen Verhaltens für den Lernerfolg sein könnte. Damit die gewonnenen diagnostisch wertvollen Informationen sinnvoll an Kinder und Lehrkräfte zurückgegeben werden können, wären jedoch zunächst Anpassungen der Datenschutzbestimmungen an Schulen erforderlich. Gleichzeitig müsste auch der Zugang für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Analyse dieser Daten erleichtert werden. Denn unsere erste Analyse zeigt zwar vielversprechende Ansätze, doch um konkrete und valide Empfehlungen geben zu können, benötigen auch wir erst einmal mehr Daten.

Redaktion: Frau Deininger, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Hannah Deininger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung. Sie betreibt Forschung an der Schnittstelle zwischen Psychologie und Informatik. Generell interessiert sie sich dafür, wie maschinelle Lernmethoden und erklärbare KI dazu beitragen können, Lernprozesse besser zu verstehen und zu verbessern.