Von der Sprachnachricht bis zum Podcast

Wie Audioaufnahmen den Unterricht bereichern können

Sprachnachrichten und Podcasts sind aus dem Alltag vieler Kinder und Jugendlicher nicht mehr wegzudenken. Einige Lehrkräfte haben erprobt, wie sie Audioaufnahmen im Unterricht sinnvoll einsetzen können. Dabei wurden sie wissenschaftlich begleitet.

Redaktion: Kinder und Jugendliche sind heutzutage schon so viel mit Smartphones und Tablets in Kontakt. In ihrer Freizeit verschicken sie Sprachnachrichten und hören Hörbücher oder Podcasts – warum würden Sie empfehlen, das auch im Unterricht zu nutzen?

Michaela Mörs: Zunächst einmal ist es so, dass mündliche Sprachfähigkeiten oft vorausgesetzt werden – dabei müssen auch sie trainiert werden. Und digitale Medien können dabei eine sinnvolle Ergänzung zu herkömmlichen Unterrichtsmethoden darstellen. Die Gelegenheiten zur mündlichen Sprachproduktion sind in der herkömmlichen Unterrichtskommunikation ja begrenzt. Durch den Einsatz digitaler Endgeräte mit ihren Möglichkeiten zu Audioaufnahmen können die Schülerinnen und Schüler mehr ins Sprechen kommen. Die individuelle Redezeit wird also erhöht. Audioaufnahmen können aber auch zur Förderung der Zuhörfähigkeit eingesetzt werden. Und gerade weil Podcasts und Sprachnachrichten in der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler so präsent sind, ist es auch wichtig, gemeinsam zu reflektieren, welche Merkmale sie aufweisen. Die Arbeit mit Audioaufnahmen kann Lehrkräfte außerdem dabei unterstützen, die mündlichen Sprachfähigkeiten ihrer Schülerinnen und Schüler besser zu erfassen.

Redaktion: Ab welchem Alter würden Sie den Einsatz von Audioaufnahmen empfehlen?

Mörs: Zuhöraufgaben und auch Aufgaben zur eigenen Sprachproduktion können im Grunde genommen schon ab der ersten Klasse eingesetzt werden. Für die Sprachproduktion können später dann auch größere Podcast-Projekte angegangen werden.

Redaktion: Können Sie Beispiele geben, was für Aufgaben das sein können?

Mörs: Passende Aufgaben kann man zu allen Unterrichtsinhalten entwickeln. Für die Produktion eigener Aufnahmen können die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel Erklärungen im Sachunterricht aufnehmen oder Bildbeschreibungen im Kunstunterricht. Im Deutsch- oder Fremdsprachenunterricht könnte es auch die Aufgabe sein, in die Rolle einer literarischen Figur zu schlüpfen und eine Sprachnachricht an eine andere Figur aufzunehmen – so wie man sonst vielleicht die Aufgabe geben würde, einen Brief oder einen Tagebucheintrag zu schreiben, um das Textverständnis und das Hineinversetzen in literarische Figuren zu fördern. So kann man also das fachliche Lernen gut mit dem sprachlichen Lernen verknüpfen.

Generell ist es wichtig, immer ausgehend vom Unterrichtsgegenstand zu überlegen, wie das fachliche mit dem sprachlichen Lernen verbunden werden kann, und dann auch, wie sich dazu die Möglichkeiten nutzen lassen, die digitale Tools bieten. Dass man also nicht denkt „Jetzt soll ich auch noch Podcasts produzieren“, sondern die Lernchancen sieht, die damit verbunden sind.

Redaktion: Welche Vorteile haben Audioaufnahmen gegenüber der mündlichen Sprachproduktion im analogen Setting?

Mörs: Dass die Lernenden sehr viel mehr Zeit haben, um mündliche Sprache zu produzieren. Ich denke, man muss sich immer wieder vor Augen führen, wie komplex der Vorgang ist, mündliche Sprache zu produzieren. Man muss dafür ja thematisches Wissen abrufen und es sprachlich möglichst richtig, verständlich und auf angemessene Weise verbalisieren. Im analogen Setting muss dieser Prozess in sehr kurzer Zeit ablaufen. Das kann für Schülerinnen und Schüler sehr herausfordernd sein – besonders, wenn sie das Deutsche als Zweitsprache erwerben. Manche Kinder haben darum im Unterrichtssetting auch große Hemmungen, sich zu äußern.

Insofern können Audioaufnahmen hilfreich sein. Denn dabei steht mehr Zeit zur Verfügung, den eigenen Redebeitrag zunächst zu planen. Außerdem kann die eigene Audioaufnahme erst mal angehört werden. Das eröffnet die Möglichkeit, noch mal zu überlegen, ob man das Gesagte auch anders ausdrücken könnte. Durch die zusätzliche Zeit können die Schülerinnen und Schüler – wenn nötig – auch passendere Ausdrücke nachschlagen oder erfragen. Außerdem besteht die Chance, die Aufnahme noch einmal neu anzufertigen. Revisionen sind sonst in der Mündlichkeit so nicht möglich – zumindest nicht so, dass sie unbemerkt bleiben.

Redaktion: Kleine Sprachnachrichten, Beschreibungen oder Erklärungen können die Schüler und Schülerinnen ja in Eigenregie aufnehmen, und es braucht keine aufwändige Nachbearbeitung. Wie ist es bei größeren Podcast- oder Hörspielproduktionen? Frisst die technische Nachbearbeitung da nicht zu viel Zeit?

Mörs: Natürlich muss bei größeren Vorhaben ausreichend Zeit für die technische Vor- und Nachbereitung eingeplant werden. In den Projekten, die wir begleitet haben, hielt sich das aber in Grenzen. Das waren eine neunte Klasse sowie Schülerinnen und Schüler einer Jahrgangsstufe 11. Die Gruppen wurden dabei so eingeteilt, dass sich jeweils eine Schülerin oder ein Schüler bereits etwas mit der genutzten Aufnahme- und Schnittsoftware auskannte. Aber es hängt natürlich von der Lerngruppe ab, und ich würde ja auch empfehlen, erst mal klein anzufangen und nicht direkt mit großen Podcast-Projekten zu starten.

Redaktion: Wie haben Sie die Motivation der Schülerinnen und Schüler bei diesen Audio-Projekten erlebt?

Mörs: Viele waren sehr motiviert und haben sich gewünscht, dass solche Projekte häufiger durchgeführt werden. Denn sie knüpfen ja an der Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen an und können total motivierend und kreativitätsfördernd wirken.

Redaktion: Was für Projekte waren das genau, die Sie begleitet haben?

Mörs: In einem Oberstufenkurs haben Schüler und Schülerinnen während einer Klassenfahrt nach Weimar einen Podcast über prägende Persönlichkeiten in Goethes Leben aufgenommen. Dafür haben sie zunächst Recherchen über diese Personen angestellt und sich dann für den Podcast gegenseitig interviewt. Dabei sind sie in die Rollen der jeweiligen Personen geschlüpft. Eine besondere Herausforderung für die Schüler und Schülerinnen war dabei, einen passenden mündlichen Sprachgebrauch zu verwenden. Sie haben also reflektiert, ob die Sprache, die sie genutzt haben, für die historische Persönlichkeit wirklich angemessen war.

In der neunten Klasse haben die Schülerinnen und Schüler ihre Lieblingsbücher in verschiedenen Podcast-Folgen vorgestellt. Eine der Gruppen war mit ihrem eigenen Produkt beim ersten Mal so unzufrieden, dass sie die Folge noch mal neu aufgenommen hat. Dabei konnten sie für sich selber eine deutliche Verbesserung feststellen. Auch hier sieht man also, dass die Aufnahmen auch zur Reflexion über den eigenen Sprachgebrauch und über den eigenen Lernfortschritt anregen.

Redaktion: Was bietet die Rezeption von Hörtexten für Vorteile?

Mörs: Dadurch, dass die Hörtexte in eigenem Tempo gehört werden können, kann man die Zuhör-Fähigkeit anders trainieren als beim Zuhören in einem analogen Setting. Schülerinnen und Schüler können die Beiträge bei Bedarf pausieren und zurückspulen. Damit geht einher, dass sie auch ihr eigenes Verständnis reflektieren. Dazu müssen sie aber entsprechend angeleitet werden. Das Zuhören zu üben ist sehr wichtig für das schulische Lernen. Allerdings erfüllt ein erheblicher Teil der Schüler und Schülerinnen da nicht die Mindeststandards.

Kinder, die noch nicht so gut Deutsch sprechen, können auch eine Audio-Übersetzungsapp nutzen. Sie können Stellen in einem Hörtext, die sie noch nicht verstanden haben, mithilfe der App in ihrer Erstsprache und dann nochmal im Deutschen anhören. Das eröffnet für mehrsprachige Schüler und Schülerinnen also ganz neue Lernmöglichkeiten.

Redaktion: Wo könnten Lehrer und Lehrerinnen passende Hörtexte finden?

Mörs: Man kann zum Beispiel im öffentlich-rechtlichen Bereich in Audiotheken oder in Podcast-Datenbanken zu vielen Unterrichtsthemen Audios finden. Für Grundschüler gibt es da einige Kinder-Radioangebote. Ich habe dazu in einer Handreichung einige Links zu Plattformen gesammelt, auf denen man suchen kann. Die Handreichung enthält vor allem auch Hinweise zur methodischen Umsetzung.

Redaktion: Frau Mörs, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Michaela Mörs ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache an der Universität Köln.