Warum der IQB-Bildungstrend für das Bildungsmonitoring so wichtig ist

Wieder nimmt ein neues SWK-Gutachten Bezug auf den IQB-Bildungstrend. Zwei Bildungsforscher:innen erläutern, wie dieser zustande kommt und was ihn auszeichnet.

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission will mit neuen Vorschlägen den Negativtrend beim Erreichen der Mindeststandards stoppen. Das Gutachten reagiert damit auf die besorgniserregenden Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2021. Dr. Rebecca Schneider und Dr. Stefan Schipolowski erklären, wie der IQB-Bildungstrend entwickelt, durchgeführt und ausgewertet wird.

Seit wann gibt es Bildungsstandards und die IQB-Bildungstrends?

Verbindliche Bildungsstandards, die länderübergreifend festlegen, welche Kompetenzen Schülerinnen und Schüler zu bestimmten Zeitpunkten in ihrer Schullaufbahn erworben haben sollten, verabschiedete die Kultusministerkonferenz (KMK) erstmals in den Jahren 2003 und 2004. Im Rahmen der sogenannten „Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz zum Bildungsmonitoring in Deutschland“ wurde zudem festgelegt, dass regelmäßig überprüft werden soll, inwieweit die Bildungsstandards in den Ländern tatsächlich erreicht werden. Seit dem Jahr 2009 werden diese bundesweiten Studien durch das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) durchgeführt. Der IQB-Bildungstrend 2021 ist bereits die dritte Studie zum Erreichen der Bildungsstandards im Primarbereich und zeigt auf, wie sich das Kompetenzniveau von Viertklässlerinnen und Viertklässlern mit Blick auf zentrale Kompetenzziele in den Fächern Deutsch und Mathematik zwischen den Jahren 2011, 2016 und 2021 verändert hat.

„In den Bildungstrends werden nur Aufgaben eingesetzt, die sich sowohl aus fachdidaktischer als auch aus empirischer Sicht bewährt haben.“

Dr. Rebecca Schneider und Dr. Stefan Schipolowski

Wie werden die eingesetzten Kompetenztests entwickelt?

Um die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zuverlässig und differenziert zu erfassen, setzt der IQB-Bildungstrend standardbasierte Testaufgaben ein, die zentrale Vorgaben der Bildungsstandards widerspiegeln und ein breites Fähigkeitsspektrum angemessen abbilden.

Entwickelt werden die Aufgaben unter Federführung des IQB von Lehrkräften aus der gesamten Bundesrepublik, die durch Expertinnen und Experten aus der Fachdidaktik und der Bildungsforschung geschult und beraten werden. Der Aufgabenentwicklungsprozess umfasst mehrere Schritte. Er beginnt mit ersten Ideen und Entwürfen für Testaufgaben, die die beteiligten Lehrkräfte in Aufgabenentwicklungsgruppen gemeinsam mit Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktikern diskutieren und überarbeiten. Anschließend erfolgen sogenannte Präpilotierungen, bei denen die Aufgabenentwürfe in einzelnen Schulklassen auf Verständlichkeit überprüft und erste authentische Lösungen von Schülerinnen und Schülern eingeholt werden. Expertinnen und Experten aus der empirischen Bildungsforschung und der Fachdidaktik beurteilen und kommentieren in einem zweiten Schritt die Aufgaben unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus den Präpilotierungen. Alle Aufgaben, die in diesem Begutachtungsprozess nach meist mehreren Korrekturschleifen als geeignet eingestuft wurden, werden anschließend in umfangreicheren Erhebungen empirisch erprobt. In den Bildungstrends kommen schließlich nur die Aufgaben zum Einsatz, die sich sowohl aus fachdidaktischer als auch aus empirischer Sicht bewährt haben. 

Welche Kompetenzen werden im Fach Deutsch erfasst?

In den Bildungsstandards für das Fach Deutsch im Primarbereich werden die Kompetenzbereiche „Lesen – mit Texten und Medien umgehen", „Sprechen und Zuhören", „Schreiben" sowie „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen" unterschieden. Mit dem Lesen, dem Zuhören und der Orthografie werden im IQB-Bildungstrend allerdings nur Teile dieser umfangreichen Kompetenzbereiche erfasst. 

Die Testaufgaben zum Lesen im Fach Deutsch ermöglichen es zu überprüfen, ob Schülerinnen und Schüler die Inhalte altersangemessener Texte verstehen. Dazu werden den Kindern in der 4. Jahrgangsstufe Stimulustexte im Umfang von einer halben bis zu anderthalb Seiten vorgelegt, zu denen unterschiedlich komplexe Fragen zu beantworten sind. Als Lesetexte kommen sowohl literarische Texte als auch kontinuierliche und diskontinuierliche Sachtexte (zum Beispiel Tabellen und Diagramme) zum Einsatz. Mit den Testaufgaben zum Zuhören wird überprüft, inwieweit Kinder auditiv präsentierte Inhalte verstehen. Das Stimulusmaterial besteht unter anderem aus zwei bis neun Minuten langen Hörspielen oder Radiosendungen für Kinder, zu denen wiederum jeweils mehrere Aufgaben zu bearbeiten sind. Mit den Aufgaben zur Orthografie wird schließlich erfasst, inwieweit die Viertklässlerinnen und Viertklässler die korrekte Schreibweise von Wörtern beherrschen und Strategien kennen, um Schreibweisen abzuleiten. 

Welche Kompetenzen werden im Fach Mathematik erfasst?

Im Fach Mathematik unterscheiden die Bildungsstandards fünf Leitideen („Zahlen und Operationen", „Raum und Form", „Muster und Strukturen", „Größen und Messen"sowie„Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit"), die in den Erhebungen getrennt gemessen, für die Berichtlegung jedoch meist zu einer Globalskala zusammengefasst werden. Das Stimulusmaterial im Fach Mathematik besteht aus kurzen Anweisungen oder Problemstellungen, denen je nach Kompetenzbereich jeweils unterschiedliche Aufgabenstellungen folgen. Im Bereich Zahlen und Operationen ist unter anderem die Anwendung von Grundrechenarten gefordert. Im Bereich Raum und Form geht es beispielsweise darum, grafische Muster zu vervollständigen oder Figuren zu spiegeln und im Bereich „Muster und Strukturen" sollen die Kinder unter anderem Rechenketten vervollständigen oder mit Stellenwerttafeln umgehen. Aufgaben zum Bereich „Größen und Messen" erfordern das Einschätzen, Umwandeln und Zuordnen verschiedener Maßeinheiten und Größen und bei Aufgaben des Bereichs „Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit" sollen Schülerinnen und Schüler die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen einschätzen sowie Informationen aus Diagrammen entnehmen und interpretieren. 

Wie werden die Aufgabenhefte zusammengestellt?

Für das Fach Deutsch wurden insgesamt 21 Aufgaben mit 155 Teilaufgaben („Items“) zum Lesen, 16 Aufgaben mit 115 Items zum Zuhören und 204 Items zur Orthografie eingesetzt sowie 237 Aufgaben mit 406 Items zum Fach Mathematik. Jeder Schülerin bzw. jedem Schüler wurde nur eine Teilmenge dieser Aufgaben vorgelegt. Die Aufgaben waren jedoch so über die verschiedenen Testhefte verteilt, dass die Kompetenzen aller Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Auswertung auf einer gemeinsamen Metrik (Punkteskala) abgebildet und die Leistungen entsprechend verglichen werden können. Um Trendanalysen zu ermöglichen, kamen im Jahr 2021 dieselben Aufgaben zum Einsatz wie bereits im IQB-Bildungstrend 2016. Ein substanzieller Teil dieser Aufgaben wurde zudem bereits im IQB-Ländervergleich 2011 verwendet. 

„Durch die Zuordnung der in den Bildungstrendstudien gemessenen Testwerte zu den Kompetenzstufen lässt sich feststellen, welcher Anteil der Kinder die jeweiligen Anforderungen bewältigt.“

Dr. Rebecca Schneider und Dr. Stefan Schipolowski

Wie läuft die Erhebung ab?

An den Erhebungen im Primarbereich nimmt in der Regel eine Klasse pro Schule teil, wobei die beteiligten Schulen und Klassen nach einem Zufallsverfahren ausgewählt werden. Pro Klasse sind jeweils zwei Testtage vorgesehen, die in der Regel direkt aufeinanderfolgen. Die Gesamtdauer einer Testsitzung liegt in der 4. Jahrgangsstufe bei etwa zweieinhalb Stunden (160 Minuten) pro Tag und umfasst neben Testaufgaben und einem Fragebogen auch mehrere Pausen.

Wie wird das Kompetenzniveau der Schüler:innen ermittelt?

Um aus den Ergebnissen der Kompetenztests Aussagen über die in den Bildungsstandards definierten Kompetenzziele zu treffen, werden fachdidaktisch und lernpsychologisch begründete Kompetenzstufenmodelle eingesetzt, die am IQB entwickelt und von der KMK verabschiedet wurden. Hierbei wird die kontinuierliche Kompetenzskala im Rahmen eines sogenannten Standard Setting-Verfahrens in mehrere inhaltlich sinnvoll voneinander abgrenzbare Abschnitte eingeteilt, die als Kompetenzstufen oder Kompetenzniveaus bezeichnet werden. Die einzelnen Kompetenzstufen werden anhand einer systematischen Analyse der eingesetzten Testaufgaben inhaltlich beschrieben, um zu verdeutlichen, welche kognitiven Anforderungen Schülerinnen und Schüler in der Regel bewältigen können, wenn sie das jeweilige Kompetenzniveau erreicht haben.

Durch die Zuordnung der in den Bildungstrendstudien gemessenen Testwerte zu den Kompetenzstufen lässt sich feststellen, welcher Anteil der Kinder in Deutschland insgesamt sowie in den einzelnen Ländern die jeweiligen Anforderungen bewältigt. Bei dieser Einordnung steht im IQB-Bildungstrend das Erreichen von Regel- und Optimalstandards sowie das Verfehlen von Mindeststandards in den einzelnen Ländern und in Deutschland insgesamt im Vordergrund. Das Erreichen der Kompetenzziele wird dabei nicht nur für das jeweilige Erhebungsjahr, sondern auch im Zeitverlauf betrachtet (ipsative Vergleichsperspektive). Bei diesen Trendanalysen liegt der Fokus auf der Frage, inwieweit sich das erreichte Kompetenzniveau in Deutschland insgesamt und in den Ländern über die Zeit verändert hat und die Anteile der Schülerinnen und Schüler, deren Leistungen den Anforderungen der Bildungsstandards entsprechen, größer oder kleiner geworden sind. 

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Die Ständige Wissenschaftliche Kommission erläutert in ihrem neuen Gutachten Lösungsansätze.

Wie geht es nach dem IQB-Bildungstrend 2021 weiter?

Mit dem IQB-Bildungstrend 2021 liegt eine umfassende Analyse zum Erreichen der Bildungsstandards im Primarbereich nach mehr als einem Jahr Schulbetrieb unter Pandemiebedingungen vor. Die Ergebnisse des Bildungstrends liefern den Ländern und der Öffentlichkeit somit Anhaltspunkte, in welchen Bereichen besonderer Handlungsbedarf besteht. Anhand dieses Beschreibungswissens ist jedoch keine eindeutige Ursachenzuschreibung für die Unterschiede zwischen den Erhebungszeitpunkten und zwischen Ländern möglich. Welche Schlussfolgerungen aus den Ergebnismustern zu ziehen sind, lässt sich also anhand der Daten des Bildungstrends allein nicht beurteilen. Dies muss innerhalb der Länder unter Berücksichtigung zusätzlicher Informationen über das Bildungssystem und dessen Veränderungen im Untersuchungszeitraum diskutiert werden. 

Im Gegensatz zu den Vergleichsarbeiten (VERA) dient der IQB-Bildungstrend nicht der Unterrichts- oder Schulentwicklung. Die Schulen erhalten jedoch nach Veröffentlichung des Ergebnisberichts schulspezifische Rückmeldungen zu den Ergebnissen ihrer Schülerinnen und Schüler. Diese Rückmeldung enthält die Testergebnisse auf Schulebene im Vergleich zu den Testergebnissen der Viertklässlerinnen und Viertklässler desselben Bundeslandes sowie in Deutschland insgesamt.