Warum ein späterer Schulbeginn viele Vorteile bietet –
und doch kaum umgesetzt wird

Den Schulbeginn nach hinten verschieben, würde eine Reihe positiver Effekte haben – aber auch Probleme mit sich bringen

Morgens, 8:00 Uhr in Deutschland. Die erste Schulstunde beginnt. Und schon in den ersten zehn Minuten werden mancher Schülerin und manchem Schüler die Augen schwer. Zum Lesen, Schreiben oder Rechnen kommt das Ringen mit der Müdigkeit.
Die Schule beginnt in Deutschland im Schnitt zwischen 7:30 und 8:15 Uhr. Doch ein späterer, flexiblerer Schulbeginn wird seit Jahren nicht nur diskutiert, sondern in mehreren Bundesländern auch erprobt. Unter anderem Schulen in Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen haben Erfahrungen mit Modellprojekten gesammelt. Aber warum steht der Schulbeginn eigentlich zur Diskussion? Müssen Kinder und Jugendliche nicht einfach rechtzeitig ins Bett gehen, um zum Schulstart fit zu sein?

1. Warum wird ein späterer Schulstart diskutiert?

Knapp ein Viertel der 11- bis 17-Jährigen in Deutschland leidet unter Schlafschwierigkeiten (Robert Koch-Institut, 2022). Die Ursachen für diese sind vielfältig, sie reichen vom blauen Bildschirmlicht, das Kinder noch zu später Stunde von Smartphones, Tablets und Computern entgegenleuchtet und die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin unterdrückt (u.a. Harvard Medical School, 2019) bis hin zu sozio-demografischen Merkmalen wie der Tatsache, dass Mädchen und Kinder von alleinerziehenden Eltern schlechter schlafen. Eine Reihe von Studien weist aber auch auf biologische Veränderungen hin, die Jugendliche in einen Konflikt mit den von der Schule verordneten Aufstehzeiten bringen: So hat jeder Mensch eine innere biologische Uhr, die ihn zu einer Lerche (früher wach, früher müde) oder einer Eule (später wach, später müde) macht. Wichtig dabei: Kinder sind meist Lerchen, werden aber als pubertierende Teenager eher zu Eulentypen, ihre Melatonin-Ausschüttung am Abend verschiebt sich um etwa zwei Stunden nach hinten. So rutschen sie in eine Art chronischen Übermüdungszustand, der sich wie ein Jetlag anfühlt – weil sie für das gesellschaftlich verordnete, schulische Lernprogramm zu spät müde werden und zu früh wieder aus dem Bett müssen (Randler, 2011).

2. Was sagt die Forschung zu einem späteren Schulstart?

Die Studienlage zu diesem Thema ist umfangreich – und in den Ergebnissen recht eindeutig. Ein späterer Schulbeginn erhöht die Schlafzeiten, was viele positive Effekte auslöst. So ergab eine Meta-Analyse von 2022, die 28 Studien mit 1,75 Millionen Schülerinnen und Schülern aus verschiedenen Regionen umfasste, dass eine Verzögerung des Schulbeginns um mindestens 30 Minuten zu einer durchschnittlichen Verlängerung der Schlafdauer für die Kinder und Jugendlichen um etwa 41 Minuten pro Nacht führte. Die Schülerinnen und Schüler profitieren von weniger Müdigkeit, höherer Aufmerksamkeit im Unterricht, einer verbesserten allgemeinen Tagesform und positiverer Stimmung (Yip et al., 2022). Schon 2013 stellte ein Forschungsteam aus Basel in seiner Untersuchung von 2700 Schülerinnen und Schülern im Alter von 13 bis 18 Jahren fest, dass sogar bereits eine kleine Verschiebung des Unterrichtsbeginns um nur 20 Minuten eine signifikante Verbesserung der Schlafdauer und des subjektiven Wohlbefindens der Schülerinnen und Schüler herbeiführt. Untersuchungen der Yale School of Medicine zeigen, dass Jugendliche, die weniger Schlafmangel haben, seltener unter Angstzuständen und Depressionen leiden (Yale School of Medicine, 2023). Auch bessere schulische Leistungen und Noten und eine verbesserte Gedächtnisleistung sehen Studien mit einem späteren Schulbeginn verknüpft (u.a. Marx et al., 2017). Das Risiko für gesundheitliche Probleme wie Übergewicht und Bluthochdruck wird ebenfalls mit mehr Schlaf gesenkt (Robert Koch-Institut, 2022). Und schließlich deuten Studien aus den USA sogar darauf hin, dass selbst der Schulweg sicherer wird. So weist etwa eine Studie im US-Bundesstaat Virginia nach, dass das Unfallrisiko bei Jugendlichen, die später zur Schule gehen, um bis zu 70 Prozent gesenkt werden kann (Vorona et al. 2011).

3. Welche Modelle werden als Alternativen zum regulären Schulstart erprobt?

An mehreren Schulen in unterschiedlichen Bundesländern wurde und wird inzwischen mit einem späteren Schulbeginn experimentiert. So können Schülerinnen und Schüler der Oberstufe am Gymnasium in Alsdorf bei Aachen seit mehr als sieben Jahren wählen, ob sie zur ersten oder zur zweiten Stunde starten. Die erste Stunde wird dabei als freiwillige Selbstlernstunde genutzt, in der die Jugendlichen eigenständig an Aufgaben arbeiten können. Das Modell wurde wissenschaftlich von der Ludwig-Maximilians-Universität München begleitet, die Forschenden wiesen ein höheres Wohlbefinden und bessere Lernleistungen nach (Biller et al., 2022).

Ab April 2024 testete auch das Gymnasium in Plochingen in Baden-Württemberg für sechs Wochen ein Gleitzeitmodell. Hier konnten Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse an zwei Tagen pro Woche zwischen einem regulären Unterrichtsbeginn um 7:50 Uhr und einem späteren um 9:40 Uhr wählen. In den ersten beiden Stunden konnten sie entweder ausschlafen oder in der Schule Aufgaben erledigen. Das Fazit fiel positiv aus: Die Schülerinnen und Schüler berichteten über weniger Müdigkeit und eine gesteigerte Motivation.

Weitere Modelle mit späterem Schulbeginn gibt es etwa in Halle in Sachsen-Anhalt, in Wiesbaden, Kassel (Hessen) und in Leipzig (Sachsen). In anderen Bundesländern wie Hamburg werden ebenfalls Spätaufsteher-Modelle ausprobiert (Quick & Keilbach, 2024).

4. Warum wird die Spätaufsteher-Schule nicht flächendeckend eingeführt? Welche Hindernisse gibt es?

Trotz einhelliger wissenschaftlicher Meinung zu den positiven Effekten eines späteren Schulstarts, stehen ihm in der Praxis einige Hürden im Weg.

  • Die Anpassung der Schulstartzeiten muss mit dem öffentlichen Nahverkehr oftmals umfassend abgestimmt werden, da viele Schülerinnen und Schüler auf Busse und Bahnen angewiesen sind, um zur Schule zu kommen. Fahrplanänderungen und zusätzliche Kosten könnten das Resultat sein. Dieses Problem ist besonders in ländlichen Gegenden oft schwerwiegender.
  • Oftmals müssen die berufstätigen Eltern zur Arbeit und damit früh aus dem Haus. Wenn die Schule später anfängt, brauchen sie eine zusätzliche Betreuung für ihre Kinder, bevor sie selbst zur Arbeit gehen. Einige Schulen bieten deshalb eine Frühbetreuung an – doch für die braucht es zusätzliche Ressourcen, die insbesondere in Zeiten von Lehrkräftemangel nicht überall zur Verfügung stehen.
  • Ein späterer Schulbeginn führt nahezu zwangsläufig zu einem späteren Schulende. Das bedeutet weniger Zeit am Nachmittag für Hausaufgaben, Freizeitaktivitäten, Sport oder Nachhilfe. Insbesondere für Schülerinnen und Schüler, die sich in Vereinen engagieren oder  anderen regelmäßigen Aktivitäten nachgehen, kann dies problematisch sein (Betzold, 2024). Auch viele Lehrkräfte stehen einer verkürzten Nachmittagszeit kritisch gegenüber.

5. Welchen Spielraum habe ich bei dem Thema als einzelne Schule?

Der Spielraum für Schulen, spätere Schulbeginnzeiten einzuführen, variiert je nach Schulstandort. Obwohl viele Bundesländer das Thema auf dem Schirm haben, gibt es bisher keine einheitlichen gesetzlichen Regelungen für spätere Schulstartzeiten. In einigen Bundesländern wie Niedersachsen, Bayern oder Hamburg haben Schulen zumindest theoretisch relativ große Freiräume, selbst Entscheidungen für einen späteren Schulstart zu treffen – allerdings geht es vor allem in ländlichen Gegenden nicht ohne Abstimmung mit dem öffentlichen Nahverkehr. Auch mit den Eltern muss eine Verschiebung des Schulbeginns wegen möglicherweise offener Betreuungsfragen gut abgestimmt sein.