Warum Sprachförderung für geflüchtete Kinder im Vorschulbereich so wichtig ist
Julian Seuring und Dr. Gisela Will betonen, dass der Ausbau von Kita-Betreuung und Sprachförderprogrammen notwendig ist, um Kindern mit Fluchterfahrung einen erfolgreichen Start in die erste Klasse zu ermöglichen.
Die Bildungschancen junger Geflüchteter hängen stark vom Erwerb der deutschen Sprache ab. Frühe Sprachbarrieren können langfristige Nachteile mit sich bringen. Ein schneller Abbau dieser Hürden ist daher umso wichtiger. Hierbei spielen Kindertagesstätten eine Schlüsselrolle, da sie den frühen Kontakt zur deutschen Sprache und eine gezielte Förderung ermöglichen.
Herausforderungen für den Zweitspracherwerb bei geflüchteten Kindern
Das Erlernen einer neuen Sprache ist ein langwieriger Prozess. Insbesondere der Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen, die notwendig sind, um dem Unterricht folgen zu können, nimmt oft mehrere Jahre in Anspruch. Untersuchungen zum Zweitspracherwerb – vor allem aus dem englischsprachigen Raum – zeigen, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationserfahrung unter günstigen Bedingungen innerhalb von vier bis sieben Jahren das sprachliche Niveau gleichaltriger Kinder erreichen können, die mit der Muttersprache aufgewachsen sind. Das Ergebnis und die Dauer des Zweitspracherwerbs hängen unter anderem davon ab, inwieweit vorhandene Kompetenzen in der Erstsprache übertragbar sind und wie intensiv die Zweitsprache gefördert wird.
„Eine längerfristige Bleibeperspektive, allgemeine kognitive Fähigkeiten und der Kontakt mit der deutschen Sprache im Alltag begünstigen den Zweitspracherwerb.“
Julian Seuring und Dr. Gisela Will
Für die spezifische Situation von geflüchteten Kindern in Deutschland liegen noch zu wenige Forschungsergebnisse vor, um eine Einschätzung über die zeitliche Entwicklung ihrer Deutschkompetenzen geben zu können. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass für den Zweitspracherwerb von Geflüchteten vergleichbare Faktoren entscheidend sind wie für andere Populationen mit Migrationserfahrung oder Migrationshintergrund. So begünstigen unter anderem eine längerfristige Bleibeperspektive, allgemeine kognitive Fähigkeiten und der Kontakt mit der deutschen Sprache im Alltag den Zweitspracherwerb. Bei gleichen Ausgangsbedingungen wären daher auch ähnliche Entwicklungsverläufe zu erwarten.
Es ist jedoch anzunehmen, dass geflüchtete Kinder häufig mit erschwerten Bedingungen konfrontiert sind. So haben die schwierigen Umstände vor und während der Flucht bei den Kindern oft zu längeren Unterbrechungen und Verzögerungen im Lernprozess geführt. Insbesondere jüngere Kinder haben vor ihrer Ankunft in Deutschland häufig noch keine Bildungs- oder Betreuungseinrichtung besucht und dementsprechend keine formale Förderung ihrer Erstsprache erhalten. Darüber hinaus können auch posttraumatische Belastungsstörungen sowie ein unsicherer Aufenthaltsstatus und die Wohnsituation in Deutschland das Lernen erschweren. Diese fluchtspezifischen Bedingungen können den Zweitspracherwerb verzögern, weshalb geflüchtete Kinder in besonderem Maße auf zusätzliche Förderangebote angewiesen sind.
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So können Kitas den Zweitspracherwerb fördern
Der Besuch einer Kita kann in zweierlei Hinsicht den Zweitspracherwerb unterstützen: Zum einen kommen die Kinder durch die alltägliche Interaktion mit anderen Kindern und Erziehenden mit der deutschen Sprache in Kontakt. Zusätzlich sieht das im KiTa-Qualitäts- und -Teilhabeverbesserungsgesetz verankerte Betreuungskonzept eine alltagsintegrierte sprachliche Bildung aller Kinder vor. Dies umfasst auch Vorleseaktivitäten und Sprachspiele, die speziell auf die Vermittlung frühkindlicher schriftsprachlicher Fertigkeiten abzielen (zum Beispiel die Buchstabennennung). Zum anderen bieten Kitas teilweise gezielte und strukturierte Sprachförderprogramme an. Diese sind speziell auf Kinder mit Sprachförderbedarf ausgerichtet und finden außerhalb des Regelbetriebs statt.
„Eine groß angelegte Studie zu den Bildungsverläufen von geflüchteten Kindern und Jugendlichen zeigt, dass der Besuch einer Kita wesentlich zur Förderung der deutschen Sprachkompetenz beiträgt.“
Julian Seuring und Dr. Gisela Will
Aufschluss über die Bedeutung des Kita-Besuchs für geflüchtete Kinder bieten die Ergebnisse der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Studie „ReGES – Refugees in the German Educational System“, einer groß angelegten Längsschnittstudie zu den Bildungsverläufen von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Bei den untersuchten Kindern im Vorschulalter (vier Jahre und älter) trägt der Besuch einer Kita wesentlich zur Förderung der deutschen Sprachkompetenz bei. Dabei profitieren die Kinder sowohl vom verstärkten Kontakt mit der deutschen Sprache im Rahmen der allgemeinen Betreuung als auch von einer strukturierten Sprachförderung. Die Teilnahme an strukturierten Sprachförderprogrammen erwies sich in diesem Zusammenhang als besonders vorteilhaft.
Kinder mit geringem Sprachkontakt profitieren besonders
Der Besuch einer Kita und die damit verbundene Sprachförderung ist für alle geflüchteten Kinder von Vorteil. Es zeigt sich jedoch, dass Kinder, die in ihren Familien und ihrem sozialen Umfeld kaum Kontakt zur deutschen Sprache haben, besonderes von einem Kita-Besuch profitieren. Gleichzeitig macht dieser Befund deutlich, dass Kinder unter diesen erschwerten Bedingungen auch entschieden auf die Sprachförderung in der Kita angewiesen sind. Ohne diese Förderung haben sie kaum eine Chance, überhaupt Deutschkenntnisse zu erwerben und diese auszubauen. Die institutionelle Integration und Förderung von geflüchteten Kindern kann somit bestehende ungleiche Voraussetzungen in den individuellen und familiären Lernumgebungen – zumindest teilweise – kompensieren. Dies unterstreicht einmal mehr die Notwendigkeit bedarfsorientierter Konzepte und Angebote.
„Weniger als ein Drittel der geflüchteten Kinder im Vorschulalter erhält eine Sprachförderung.“
Julian Seuring und Dr. Gisela Will
Warum die bestehenden Möglichkeiten zur Sprachförderung nicht ausreichen
Die Vorteile des Kita-Besuchs lassen vermuten, dass die etablierten Konzepte der Sprachförderung in qualitativer Hinsicht funktionieren. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse der ReGES-Studie, dass trotz des bestehenden Bedarfs weniger als ein Drittel der geflüchteten Kinder im Vorschulalter eine Sprachförderung erhält. Die Sprachförderung findet dabei nahezu ausschließlich im Kontext der Kitas statt; Förderprogramme außerhalb der Einrichtungen werden nur selten genutzt. Der Zugang zu Sprachförderung ist somit stark an den Besuch einer Kita gebunden. Kinder, die anderweitig betreut werden, haben demnach nur eingeschränkte Möglichkeiten, eine strukturierte Sprachförderung zu erhalten. Vor diesem Hintergrund erscheint es umso gravierender, dass circa ein Fünftel der geflüchteten Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren keine Kita besucht.
Viele Familien, deren Kind nicht in einer Kita betreut wird, berichten, dass sie keinen Kita-Platz bekommen konnten. Dieser Befund lässt vermuten, dass die relativ niedrigen Teilnahmequoten in erster Linie auf ein unzureichendes Angebot an Betreuungsplätzen und Sprachfördermaßnahmen zurückzuführen sind, und weniger darauf, dass die bestehenden Angebote nicht voll ausgeschöpft werden.
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Um die Bildungschancen für Kinder zu verbessern, fordert Prof. C. Katharina Spieß mehr Investitionen in Kindertageseinrichtungen und familienzentrierte Angebote.
In dem Bestreben, geflüchtete Kinder bestmöglich auf die sprachlichen Anforderungen in der Grundschule vorzubereiten, wäre es wichtig, einen frühzeitigen Zugang sowohl zu Kita-Betreuung als auch zu strukturierter Sprachförderung zu gewährleisten. Zusätzlich können bedarfsorientierte und langfristig angelegte Sprachförderprogramme dazu beitragen, anfängliche Sprachbarrieren abzubauen und mögliche Rückstände auszugleichen.