Was sprachsensibler Unterricht leisten kann

Unterrichtskonzepte, die Schülerinnen und Schüler beim Erwerb von bildungssprachlichen Kompetenzen unterstützen, gewinnen zunehmend an Bedeutung. Wie wirksam sind solche Ansätze im Schulalltag und wo liegen die Grenzen?

Sprache spielt im Lernprozess eine entscheidende Rolle. Schließlich vermitteln Lehrkräfte mit ihrer Hilfe Lerninhalte. Für Schülerinnen und Schüler ist sie das zentrale Medium zum Abruf von Gelerntem und zentrale Ausdrucksform bei der Leistungsüberprüfung. Häufig wird Sprache als „Denkwerkzeug“ bezeichnet, mit dem fachliches Wissen vermittelt und abstrakte naturwissenschaftliche Vorstellungen verstanden werden. Doch Fachworte, komplexere Satzstrukturen und eine präzise Ausdrucksweise – kurz: Bildungssprache – müssen sich Schülerinnen und Schüler erst aneignen. Das bildungssprachliche Sprachregister entwickelt sich in Verbindung mit dem Lernen der Fachinhalte. Sprache und Fachunterricht sind daher untrennbar miteinander verbunden. 

Was ist sprachsensibler Unterricht?

An dieser Verknüpfung von sprachlichem und fachlichem Lernen setzen sprachsensible Unterrichtskonzepte an. Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler schrittweise an Register der Fach- und Bildungssprache heranzuführen – in Deutsch und Englisch ebenso wie in Mathematik, Chemie, Geografie oder Kunst. Fehlen diese spezifischen sprachlichen Fähigkeiten, können Schülerinnen und Schüler dem Unterricht nicht weiter folgen, weil sie dessen Inhalte nicht verstehen oder sich sprachlich nicht ausdrücken können. Nicht selten führen sprachliche Schwierigkeiten daher auch dazu, dass Lernende fachliche Unterrichtsziele nicht erreichen.

Migration als Lackmuspapier

Insbesondere die Beschäftigung mit den Sprachproblemen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund machte deutlich, wie bedeutsam die Sprachbildung für schulischen und beruflichen Erfolg ist und damit auch für gesellschaftliche Teilhabe insgesamt. Empirische Studien zeigen, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund durchschnittlich geringere sprachliche Kompetenzen aufweisen als ihre deutschsprachigen Mitschülerinnen und -schüler. Allerdings wurde in Studien auch bei vielen Kinder ohne Migrationsgeschichte eine geringe sprachliche Kompetenz festgestellt. In Deutschland trifft dies besonders auf jene Kinder zu, die im Vorschulalter und außerhalb der Schule wenig Erfahrung mit bildungssprachlicher Wissensvermittlung machen. Daher spielen auch Unterschiede im sozioökonomischen und bildungsbezogenen familiären Hintergrund eine wichtige Rolle bei der Forschung zu sprachsensiblem Unterricht.

„Sprachliche Kompetenzen sind eine zentrale Voraussetzung für Bildungserfolg.“

Dr. Martha Höfler

Sprachförderung als Baustein von Bildungsgerechtigkeit

Herkunftsbedingten Unterschieden entgegenzuwirken und zu mehr Chancengleichheit beizutragen, gehört zu einem wichtigen Aufgabenbereich von Schule und Unterricht. „Bildungsgerechtigkeit hat dabei viele Facetten“, erklärt Dr. Martha Höfler, die als wissenschaftliche Beraterin am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache arbeitet. „Sprachliche Kompetenzen sind eine zentrale Voraussetzung für Bildungserfolg. Das haben auch die PISA-Studien eindrücklich gezeigt. Die Berücksichtigung der sprachlichen Heterogenität von Schülerinnen und Schülern ist daher eine grundlegende Bedingung, um allen Lernenden die Chance zu bieten, sich am Unterricht aktiv zu beteiligen und inhaltlich folgen zu können.“

Für die Praxis bedeutet das, dass Lehrkräfte sprachliche Hürden im Fachunterricht zunächst identifizieren und Lernende anschließend dabei unterstützen sollten, diese zu überwinden. An erster Stelle steht dabei die Analyse der fachspezifischen sprachlichen Anforderungen des Unterrichts und die Ermittlung des Sprachstandes der Lernenden. Verstehen die Schülerinnen und Schüler die Fremdwörter in einem Text? Enthält eine Aufgabe Abkürzungen, mit denen Lernende nicht vertraut sind? Benutzt die Lehrkraft vermehrt Passivkonstruktionen bei der Vermittlung des Lernstoffs? Aufbauend auf dieser Ermittlung kann die Lehrkraft gegebenenfalls ihren Sprachstil korrigieren oder gezielte Unterstützungsmaßnahmen in ihren Unterricht integrieren, um die sprachlichen Fähigkeiten der Lernenden zu fördern.

Zwei Ansätze für sprachsensiblen Unterricht

Welche Maßnahmen in einem sprachsensiblen Unterricht konkret angewandt werden, unterscheidet sich je nach Ansatz. In den USA ist vor allem der SIOP-Ansatz (Sheltered Instruction Observation Protocol) verbreitet. SIOP ist ein Konzept des integrierten Fach- und Sprachenlernens, bei dem Lehrplaninhalte aufgaben- und lernzielorientiert vermittelt werden und Lernende zugleich darin gefördert werden, ihre Kompetenzen in der Unterrichtssprache weiterzuentwickeln. Zu den Maßnahmen gehören allgemeine didaktische Prinzipien, wie zum Beispiel die Verknüpfung neuer Lerninhalte mit dem Vorwissen der Lernenden, aber auch Strategien, die stärker auf die Entwicklung sprachlicher Kompetenzen abzielen – beispielsweise durch das Hervorheben von Schlüsselwörtern beim Aufbau von Hintergrundwissen. Ein ebenfalls verbreiteter Ansatz ist der Scaffolding-Ansatz. Dieser beschreibt individuelle, adaptive Unterstützungsmaßnahmen durch eine Lehrkraft im Unterricht. Bei sprachlichem Scaffolding werden Lernende schrittweise an die Bildungssprache herangeführt und die Hilfeleistungen – wie bei einem Gerüst – allmählich zurückgenommen, sobald Schülerinnen und Schüler die sprachlichen Anforderungen selbst bewältigen können. Für sprachschwächere Schülerinnen und Schüler können diese Hilfestellungen zum Beispiel Wortkarten oder Satzanfänge und Formulierungshilfen an der Tafel sein. Lernende mit fortgeschrittenen Kompetenzen können von Feedbacktechniken profitieren, bei denen Synonyme verwendet werden, um den Wortschatz zu erweitern. 

Wie wirksam sind sprachsensible Unterrichtskonzepte?

Sprachsensible Unterrichtskonzepte gewinnen sowohl international als auch national zunehmend an Bedeutung. Auch, weil sie verstärkt als verbindliches Ziel gesetzt würden, etwa in Kernlehrplänen oder in Referenzrahmen für die Schulqualität der Länder, so Höfler. Allerdings gab es bislang trotz der wachsenden Anzahl sprachsensibler Maßnahmen bislang kaum umfassende Bewertungen der Wirkung und der (positiven) Auswirkungen, die sich daraus für die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler ergeben. Am Mercator-Institut hat Höfler als Projektleiterin in den vergangenen Jahren daher eine Übersichtsstudie zur Wirkung von sprachsensiblem Unterricht durchgeführt und diese im Mai erfolgreich abgeschlossen. In diesem systematischen Review haben sie und ihr Projektteam über 50 internationale Wirkungsstudien zu sprachsensiblen Ansätzen ausgewertet – neben Deutschland unter anderem aus den Niederlanden, den USA, aus Chile, Indonesien und Südafrika.

„Mit Blick auf die internationale Datenlage konnten wir insgesamt feststellen, dass sprachsensible Ansätze das Lernen tatsächlich besser unterstützen können“, so die Bildungsforscherin. „Zum Beispiel haben wir eine Reihe an Studien gefunden, die zeigen, dass Textarbeit durch Techniken des reziproken Lehrens verbessert werden kann.“ Schülerinnen und Schüler könnten sich demnach besonders gut Inhalte aus natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Fachtexten erschließen, wenn sie abwechselnd Fragen zu den Texten stellen, Vorhersagen treffen, zusammenfassen und ihr Leseverständnis überprüfen, so Höfler. Darüber hinaus scheint es zielführend zu sein, die Mehrsprachigkeit von Schülerinnen und Schülern als Lernressource zu nutzen: „Uns liegen internationale Untersuchungen vor, die nachweisen, dass Zweitsprachlernende fachliche Inhalte besser durchdringen, wenn ihr gesamtes Sprachrepertoire in den Unterricht einbezogen wird und sie ihre Herkunftssprache beim Erwerb der Inhalte nutzen können“, erklärt die Bildungsforscherin. Gleichzeitig verweist Höfler darauf, dass in diesem Feld noch weitere Primärstudien notwendig sind. Die ausführlichen Ergebnisse der Übersichtsstudie veröffentlicht das Mercator-Institut im kommenden Jahr.

Wie kann die bildungssprachliche Kompetenz von Lernenden erhoben werden?

Eine Schwierigkeit bei der Forschung zu sprachsensiblem Unterricht, ist die Erfassung von bildungssprachlicher Kompetenz. In der Primärforschung gibt es unterschiedliche Messinstrumente, um bildungssprachliche Leistungen im Lesen, Schreiben, in der Mündlichkeit oder im Wortschatz zu erfassen. Nicht alle sind dabei allerdings gleich gut geeignet. In ihrem Review identifizierten Höfler und ihr Team auch einige Einschränkungen in der Testgüte. Darunter fällt zum Beispiel die inhaltliche Trennschärfe. Weil die korrekte Verwendung von Fachbegriffen nicht ohne das entsprechende Wissen zu Fachwörtern auskommt, lassen sich Fachsprache und Fachwissen nur schwer getrennt voneinander erfassen.

„Sprachsensible Ansätze können auch im Regelunterricht mit heterogenen Sprachvoraussetzungen angewendet werden.“

Dr. Martha Höfler

Von sprachsensiblem Unterricht profitieren alle

Eine wichtige Erkenntnis aus der Übersichtsstudie lautet: „Sprachsensibler Unterricht ist besonders für sprachlich schwächere Schülerinnen und Schüler geeignet – aber nicht nur“, so Höfler. „Es gibt mehrere Untersuchungen, die nachweisen, dass Lernende mit allen sprachlichen Kompetenzniveaus von solchen Unterrichtsansätzen profitieren“, erklärt Höfler. Dafür brauche es keine gesonderten Räume. Sprachsensible Ansätze könnten auch im Regelunterricht mit heterogenen Sprachvoraussetzungen angewendet werden. Solche Unterrichtskonzepte setzen am sprachliche Vorwissen der Schülerinnen an und Schüler und reagieren mit passgenauen Lernmitteln auf die unterschiedlichen Sprachkompetenzen.

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Bildungsforscherin Dr. Birgit Heppt spricht im Interview über die Bedeutung von Bildungssprache und erklärt, wie sprachsensibler Unterricht in einem heterogenen Klassenzimmer funktioniert.

Mehr Weiterbildung für Lehrkräfte gefordert

Außerdem macht das Review deutlich: „Die Effektivität von sprachsensiblem Unterricht hängt von der adäquaten Schulung der Lehrkräfte ab“, erklärt Höfler. Eine entscheidende Aufgabe im Bildungsbereich sei es daher, entsprechende Voraussetzungen in den verschiedenen Phasen der Lehrkräftebildung zu schaffen. Dazu gehöre zum einen, eine gute Grundausbildung in der universitären Ausbildung. Zum anderen sei es notwendig, kontinuierlich Weiterbildung und fachlichen Austausch zu ermöglichen. 

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Wie gut Lernende sprachlich gefördert werden können, hängt somit auch stark von effektiven Weiterbildungsmaßnahmen ab. Die Chancen und Grenzen von sprachsensiblem Unterricht sind indes klar, wie Höfler betont: „Sprachsensibler Unterricht kann schulischen Lernerfolg sehr gut unterstützen. Sozioökonomische Missstände, Probleme in den Familien, unzureichende Schulausstattungen und Lehrkräftemangel lassen sich dadurch aber nicht ausgleichen.“

Zur Person

Dr. Martha Höfler ist wissenschaftliche Beraterin am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Sie hat dort die Übersichtsstudie zur Wirkung sprachsensibler Unterrichtsansätze (WisU) geleitet.