Welche Werte brauchen wir in einer neuen Bildungswelt?

Welche Rolle spielen Haltungen der Lehrenden und Lernenden in der Zukunft? Darüber diskutierte das Podium 4 bei der Bildungsforschungskonferenz in Heilbronn. Eine Zusammenfassung.

Von welchen Werten sollten sich Schulen leiten lassen, wenn sie Kinder angemessen auf ihr zukünftiges Leben vorbereiten wollen? Auf dem Podium 4 der aim-Bidungskonferenz in Heilbronn wurde dieser Frage nachgegangen und auch deutlich auf bisherige Defizite im deutschen Bildungssystem hingewiesen.

Dr. Ulrich Hinz, zuständig für die Schülerförderung bei der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, umriss zu Beginn der Diskussion nochmals die Unsicherheit der künftigen Berufs- und Lebenswelt, in welche Schülerinnen und Schüler heute steuern und wie sie auch im OECD-Lernkompass dargestellt wird: 40 Prozent der Teenager wünschten sich, in Berufen zu arbeiten, die es in Zukunft nicht mehr geben wird, 65 Prozent der Grundschüler:innen würden in Zukunft einmal in Berufen arbeiten, die man heute noch gar nicht kenne. Hinz: “Es stehen große Disruptionen und große Transformationen an.” Das betreffe auch die Art des Arbeitens: ein stärker kompetenzorientiertes Arbeiten, weniger Hierarchien, flexible Teams. Hinz plädierte dafür, in den Veränderungen Chancen zu sehen, auf die es die Jugendlichen vorzubereiten gelte.

Selbstwirksamkeit durch Service Learning

Carla Gellert, Mitglied der Geschäftsleitung der Stiftung Lernen durch Engagement, schilderte das sogenannte “Service Learning” als eine Lernform, die Lehrkräften dabei helfen könne, Wissen mit werteorientiertem Kompetenzerwerb zu verknüpfen. “Service Learning” verbindet fachliches Lernen mit einem gemeinnützigen Engagement. Nach einer Phase der Wissensaneignung überlegten sich die Schüler:innen, wie sie ihr Wissen anwenden und damit auf Bedarfe in ihrem Umfeld reagieren könnten, erklärte Gellert. Die Schülerinnen und Schüler reflektierten dann im Unterricht, ”was sie für Kompetenzen über das Tun erworben haben. So erfahren sie unheimlich viel Selbstwirksamkeit.”

Burn-Out-Gefahr im aktuellen Schulsystem

Margret Rasfeld, Gründerin der Initiative "Schule im Aufbruch" zeichnete auf dem Podium ein kritisches Bild der heutigen Schule und der dort vermittelten Werte. Sie kritisierte unter anderem das Benotungssystem: “Das Problem mit den Noten ist, dass wir so weit gekommen sind, dass Kinder sich über die Noten definieren. Und dass Eltern ihre Kinder über die Note definieren.” Man entfremde Kinder im normalen Unterricht, weil sie zu viel Stoff vorgesetzt bekämen, zu viele Arbeitsblätter ausfüllen müssten. “Sie verlieren ihre Gestaltungsfreude und Begeisterung und wechseln in den Funktionsmodus oder steigen aus.” Schule mache krank, das zeige sich in zahlreichen viral gegangenen Briefen von Schülerinnen und Schülern und in Studien über die sozial-emotionale Befindlichkeit der Kinder. Rasfeld: “Schule führt dazu, dass Kinder mit neun Jahren im Burn-Out sind, das kann doch nicht sein.” 

Respektvolle Haltung gegenüber Schüler:innen

Fabian Karg, stellvertretender Direktor am Landesmedienzentrum Baden-Württemberg und Dozent für zukunftsorientiertes Lernen, Game-based Learning und digitale Lebenswelten, stimmte Rasfeld in Bezug auf die Defizite im System zu und stellte die Frage: “Warum begeben wir uns nicht auf Augenhöhe mit Kindern und Jugendlichen?” Wenn ein Schüler sich mit etwas beschäftige, könne man nicht sagen: “Dein TikTok ist Quatsch, wir bringen dir jetzt mal was bei: Bürgerliches Trauerspiel – das sind die Dinge, die dich zu beschäftigen haben.” Im Kern ginge es dabei um eine Haltungsfrage. Man müsse dem Kind einfühlsam gegenübertreten und sich mit seinen Problemen und Themen ernsthaft und mit Neugier auseinandersetzen, auch wenn man nicht gleich alles verstehe. Magret Rasfeld stimmte Karg zu und ergänzte: “Wir sagen ja so oft: Kinder müssen Empathie lernen. Ich glaube, auch wir Erwachsenen müssen lernen, Kinder mit Empathie wahrzunehmen.” Dies sei auch ein gewaltiger Rollenwandel für Lehrkräfte, die dabei bisher nicht ausreichend unterstützt würden. Der Lehrkräfteberuf komme aus dem Belehren, Disziplinieren, Bewerten, nun gehe es auf einmal ums Hinschauen und Wahrnehmen.

Zu Podium 3Wie sieht der Unterricht der Zukunft aus?
Wie bereitet Schule heute auf die Welt von morgen vor? Was muss sich dafür im Unterricht ändern? Diese und weitere Fragen besprach das Podium 3 auf der Bildungskonferenz in Heilbronn. Eine Zusammenfassung.

Inklusiver Sprachgebrauch

In der Arbeitswelt sehe man allerdings schon positive Entwicklungen, stellte Dr. Ulrich Hinz dar. “Junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben ein ganz ausgeprägtes Gefühl für Stress, für den Umgang mit belastenden Faktoren.” Auch Scheitern als positive Lernerfahrung wahrzunehmen sei ein wichtiger Aspekt, der jungen Menschen heute besser gelinge und weiter gefördert werden sollte. Fabian Karg hakte hier ein und wies darauf hin, dass auch der Sprachgebrauch eine wichtige Rolle spiele, um eine neue Haltung an Schulen zu etablieren. “Lehrer”, “Schüler”, “Scheitern”, “Klassenzimmer” – diese Begriffe schränkten den Begriff des Lernens auf überholte Settings ein und stünden einem Begegnen mit den Schüler:innen auf Augenhöhe im Weg. Lernen finde nicht nur in der Schule statt und sei auch keine Einbahnstraße, sondern dann fruchtbar, wenn es gemeinsam passiere. Ein erster wichtiger Punkt wäre daher “einfach mal inklusiver zu sprechen”.

Lernen, die Welt zu verändern

Margret Rasfeld nannte auf dem Podium noch einige Ansätze, wie man elementare Werte in der Schule verankern könne, darunter das Projekt “Frei Day”, bei dem Schülerinnen und Schüler sich vier Stunden pro Woche mit selbstgewählten, aktuellen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen auseinandersetzen, die sich an den Global Goals der Vereinten Nationen orientieren. In Projekten zu diesen Problemen sollten die Schülerinnen und Schüler das erfahren und entwickeln, was im regulären Unterricht bisher oftmals zu kurz komme: Mut, Verantwortungsbewusstsein, Kreativität und die Fähigkeit, die Welt zu verändern.