Wie Lehramtsstudierende Kompetenzen für das digitale Unterrichten erwerben
Die Tübingen School of Education untersucht, wie Lehramtsstudierende auf die digitale Transformation vorbereitet werden können.
In ihrer Freizeit nutzen Schülerinnen und Schüler digitale Medien ganz selbstverständlich. Im Schulunterricht ist ihr Einsatz dagegen weniger üblich. Die Tübingen School of Education möchte dazu beitragen, dass sich das ändert und liefert Grundlagen für eine nachhaltige digitale Unterrichtsgestaltung. Dr. Ulrike Franke, Dr. Iris Backfisch und Prof. Dr. Andreas Lachner untersuchen, wie die dafür nötigen Kompetenzen bereits im Lehramtsstudium erfolgreich vermittelt werden können.
Unterricht mit digitalen Medien: Nicht ob, sondern wie!
Dem Einsatz von digitalen Medien in der Schule wird großes Potential zugeschrieben. Sie sollen die Unterrichtsqualität verbessern, die Motivation von Schülerinnen und Schülern steigern und zur Bewältigung von Herausforderungen in der digitalisierten Lebenswelt beitragen. Die bisherige Forschung zeigt jedoch ambivalente Befunde, deren Kernessenz lautet: Es kommt eher darauf an, wie digitale Medien im Unterricht eingesetzt werden und nicht nur, ob diese eingesetzt werden. Entscheidend ist demnach, dass der Einsatz digitaler Medien auf die Unterrichtsmethoden und die fachlichen Inhalte abgestimmt wird. Dabei geht es nicht allein um didaktische Aspekte, sondern auch um das Lehren und Lernen über digitale Medien und Medieninhalte, das grundlegend behandelt werden muss. Das bedeutet, den Blick zunehmend auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen in einer "Kultur der Digitalität" zu richten und die kulturellen, gesellschaftlichen und ethischen Herausforderungen, mit denen Schülerinnen und Schüler konfrontiert sind, auch im Unterricht verstärkt zu thematisieren.
Welche Kompetenzen Lehrkräfte für das digitale Unterrichten brauchen
Lehrkräfte benötigen ein hohes Maß an digitalisierungsbezogenem Professionswissen, das miteinander verknüpft, flexibel in der konkreten Unterrichtssituation eingesetzt werden kann. Das ist eine unabdingbare Voraussetzung, damit die Transformation des Lehrens gelingt. Eine weitere wesentliche Bedingung für einen nachhaltigen Einsatz digitaler Medien im Unterricht ist laut Forschung auch, dass Lehrkräfte grundsätzlich bereit und motiviert sind, diese in ihr Unterrichtskonzept zu integrieren.
Mediengestützten Unterricht planen: Das TPACK-Modell
Auf welche Weise können digitale Medien im Unterricht eingesetzt werden? Darauf liefert das Technological-Pedagogical-Content-Knowledge-Modell (TPACK-Modell) eine theoretisch begründete Antwort und beschreibt einen differenzierten Rahmen. Die Grundbausteine bilden dabei drei Wissensbereiche, die ganz allgemein für die Vermittlung von Lerninhalten bedeutsam sind: Pädagogisches Wissen (Pedagogical Knowledge, PK), Fachliches Wissen (Content Knowledge, CK) und Fachdidaktisches Wissen (Pedagogical Content Knowledge, PCK). Durch die Zusammenführung dieser drei Wissensbereiche mit einem neuen, vierten Bereich – dem Technologischem Wissen (Technological Knowledge, TK) – ergeben sich als Schnittmenge drei kombinierte Wissensbereiche. Erstens, das Technologisch-Pädagogische Wissen (Technological Pedagogical Knowledge, TPK). Es umfasst Kenntnisse zum Einsatz von Technologien in Lehr- und Lernkontexten. Dazu gehört die Verwendung von Tablets ebenso wie der Umgang mit Software-Anwendungen. Ein entscheidender Faktor ist dabei, dass dieses Wissen durch technologische Entwicklungen und Veränderungen stetig erweitert wird und auf diese Weise die Möglichkeit besteht, neue Technologien in den Unterricht zu integrieren. Der zweite Überschneidungsbereich, das fachbezogene, technologische Wissen (Technological Content Knowledge, TCK), beschreibt das Wissen darüber, wie sich Technik und Inhalte einer fachlichen Domäne wechselseitig beeinflussen. Im Kern des TPACK-Modells wird drittens das Technological Pedagogical Content Knowledge (TPACK) als den alle beteiligten Wissensbereiche vereinenden Überschneidungsbereich beschrieben. Er bezeichnet die Kenntnisse darüber, wie technologiegeprägte Fachinhalte didaktisch aufbereitet und in konkreten Vermittlungsszenarien für den fachlichen Kompetenzerwerb fruchtbar gemacht werden können.
Wie Kompetenzen für das digitale Unterrichten im Studium vermittelt werden können
Der Arbeitsbereich Digitalisierung der Tübingen School of Education beschäftigt sich mit der Fragestellung, was eine wissenschaftlich begründete und nachhaltige Integration digitaler Medien in den Unterricht auszeichnet und wie der kritische Blick auf digitale Medien und Medieninhalte bei angehenden Lehrkräften gefördert werden kann. Seit 2020 besteht ein entsprechendes Curriculum, das im Master of Education an der Universität Tübingen integriert ist und im Rahmen des QLB Projekts Digitalisierung in der Lehrerbildung Tübingen (TüDiLB) - Zentrum für Forschung und Transfer entwickelt wurde. Ziel des Curriculums ist es, Kompetenzen für das digitale Unterrichten und die motivationale Orientierung von angehenden Lehrkräften im Sinne eines didaktischen Dreischrittes zu fördern. Ansatzpunkt ist hierbei die Förderung des sogenannten Technological Pedagogical Content Knowledge (TPACK). Dieses beschreibt mediendidaktisches und medienerzieherisches Wissen über die Funktionen und didaktisch sinnvollen Einsatzmöglichkeiten digitaler Medien, um bestimmte Lehr- und Lernziele zu erreichen.
Schritt 1: Potenziale digitaler Medien erkennen und beschreiben
In einem ersten Schritt erwerben angehende Lehrkräfte die Fähigkeit, eine Vielzahl unterschiedlicher technologiegestützter Lernaktivitäten kritisch zu bewerten. Das heißt, sie als Lerngelegenheiten für Schülerinnen und Schüler zu sehen und dabei zu differenzieren, ob und wie sie das Lehren und Lernen im Klassenzimmer beeinflussen und in welcher Weise sie sich auf den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler auswirken.
Unterstützung bei der Reflexion und Bewertung des Potentials digitaler Medien
Angehende Lehrkräfte werden dabei unterstützt, das Potential der eingesetzten digitalen Medien im Unterricht zu beurteilen. Das geschieht auf der Basis von wissenschaftlichen Befunden. Zu diesem Zweck wurde auf der Webseite des Verbundprojekts TüDiLB ein Onlineangebot geschaffen, das Forschungssynthesen, wie beispielsweise Metaanalysen, Reviews oder theoretische Arbeiten, zielgruppengerecht aufbereitet und zahlreiche Implikationen für die Praxis bereitstellt.
Schritt 2: Digital gestützten Unterricht reflektieren und begründen
In einem zweiten Schritt wenden angehende Lehrkräfte forschungsbasierte Prinzipien des technologiebasierten Lehrens und Lernens an. Dabei reflektieren Sie kritisch die Einsatzmöglichkeiten digitaler Medien im (Fach-)Unterricht vor dem Hintergrund aktueller Befunde und theoretischer Modelle aus der Lehr- und Lernforschung. Diese Prinzipien können sowohl allgemein als auch fachspezifisch abgeleitet werden. Im Fokus steht dabei stets die Prämisse durch einen angemessenen didaktisch begründeten Medieneinsatz zur fachspezifischen Unterrichtsqualität beizutragen.
Schritt 3: Integration digitaler Medien im Unterricht
Mit dem dritten Schritt erproben angehende Lehrkräfte den Einsatz digitaler Medien im Klassenzimmer. Dabei sollen auch potenzielle Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern, wie etwa ihr Vorwissen, berücksichtigt werden. Auf dieser Grundlage können verschiedene digital gestützte Lernstrategien initiiert werden. Realisiert wird dies durch Hands-On-Erfahrungen in Lehr- und Lernlaboren. Hierbei werden Lehramtsstudierende an unterschiedliche Formate digitaler Medien, wie Smartboards oder Augmented-Reality-Anwendungen herangeführt. Diese können sie selbstständig ausprobieren und erproben. Während dieses Integrationsprozesses sollen die angehenden Lehrkräfte eigene zugrundeliegende Prozesse kontinuierlich überwachen und regulieren. Routinen und Verfahren zur Integration von digitalen Medien können somit gefestigt und unterrichtsbezogenes Erfahrungswissen anhand von konkreten Unterrichtsfällen organisiert und etabliert werden.
Lernmaterial als Open Educational Ressource
Einige der Lerninhalte, die im Rahmen der Entwicklung des Curriculums entstanden sind, stehen als Open Educational Ressourcen (OER) zur Verfügung. Die Lernmaterialien umfassen dabei ein Wiki mit mediendidaktischen und medienpädagogischen Themen, eine Reihe verschiedenen Erklärvideos zu Themen wie etwa „Fake News“ oder „Simulationen im Naturwissenschaftlichen Unterricht“. Auch fachspezifische Lernmodule und Unterrichtskonzepte gehören dazu. Darüber hinaus wurde gemeinsam mit der Technischen Universität Kaiserslautern LiveFeedbackPlus entwickelt. Dabei handelt es sich um ein internetbasiertes Videoanalyseprogramm, welches angehende Lehrkräfte dabei unterstützt, videobasierte Unterrichtssequenzen zu analysieren und gegenseitige Rückmeldung zu geben.
In speziell entwickelten mediendidaktischen Modulen können Lehrkräfte auf diese Weise in der Entwicklung ihrer mediendidaktischen Kompetenzen unterstützt werden. An der Tübingen School of Education wurde die Wirksamkeit solcher Lernmodule bereits für die Fächer Biologie, Mathematik, Philosophie, Englisch, Deutsch und Sport nachgewiesen. Lehramtsstudierende, die an einem solchen Lernmodul teilnahmen, erwarben signifikant mehr Kompetenzen für das digitale Unterrichten als Lehrkräfte, die das Lernmodul nicht besuchten. Hinsichtlich der Motivation der angehenden Lehrkräfte zeigten die Ergebnisse der Studie zudem, dass die Teilnehmenden durch das Lernmodul eine höhere Selbstwirksamkeit entwickelten, digitale Medien im Unterricht einzusetzen. Angehende Lehrkräfte können durch eine gezielte Medienbildung somit bereits im Studium fit für die Nutzung digitaler Medien im Fachunterricht gemacht werden.