Wie Lehrkräfte mit Schüler:innen über Cannabis sprechen können

Studien zeigen, dass der Konsum von Cannabis bei Jugendlichen in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Welche Rolle Lehrkräfte bei der Aufklärung übernehmen können.

Mindestens 40 Prozent der 18- bis 25-Jährigen haben Konsumerfahrungen mit Cannabis gemacht. Gerade für Heranwachsende ist Cannabis nicht ungefährlich. Worauf Lehrkräfte bei der Aufklärung achten können, erklärt Dr. Maurice Cabanis, Suchtmediziner, im Interview.

Redaktion: Parallel zur Legalisierungs-Diskussion hat sich der Cannabis-Konsum bei Jugendlichen deutlich erhöht. Können Sie uns einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen geben?

Dr. Maurice Cabanis: Ja, das ist richtig. Zwischen 2011 und 2021 hat sich die Prävalenz des Cannabiskonsums bei Kindern und Jugendlichen sogar verdoppelt. Besonders auffällig ist, dass etwa 40 Prozent der 18- bis 25-Jährigen schon mindestens einmal Cannabis konsumiert haben. Bei manchen Studien liegt die Zahl der Konsumerfahrungen sogar bei über 50 Prozent. Diese Gruppe ist also nicht zu unterschätzen, auch wenn der Anstieg bereits vor der Legalisierung begann.

Redaktion: Unser Körper produziert eigene Cannabinoide. Warum ist Cannabis-Konsum trotzdem gefährlich?

Cabanis: Unser Körper produziert tatsächlich eigene Cannabinoide, die sogenannten Endocannabinoide. Diese sind Teil des Endocannabinoid-Systems, das wichtige Funktionen in unserem Körper reguliert. Es gibt zwei Hauptrezeptoren für Cannabinoide: einen, der hauptsächlich das Gehirn beeinflusst, und einen, der auf Organe wirkt. Besonders in der Entwicklungsphase, also vom Säuglingsalter bis ins junge Erwachsenenalter, spielt dieses System eine entscheidende Rolle bei der Regulation von Botenstoffen. Ein Ungleichgewicht an Cannabinoiden kann zu Fehlentwicklungen führen – sowohl durch einen Mangel als auch durch eine Überstimulation.

„Je früher und je intensiver der Konsum, desto höher das Risiko für langfristige Schäden. In Extremfällen kann Cannabis Psychosen auslösen.“

Maurice Cabanis

Redaktion: Wie gefährlich ist Cannabis besonders für Kinder und Jugendliche? Gibt es langfristige Risiken?

Cabanis: Bei Kindern und Jugendlichen ist der Konsum von Cannabis besonders problematisch, weil sich das Gehirn und andere Organe noch in der Entwicklung befinden. Schadstoffe, wie sie im Cannabis enthalten sind, können die Leistungsfähigkeit und die Gehirnentwicklung erheblich beeinträchtigen. Je früher der Konsum beginnt und je intensiver er ist, desto höher ist das Risiko für langfristige Schäden. Diese können tiefgreifend sein und die kognitive Entwicklung stark beeinflussen.

Redaktion: Wie wirkt sich der Konsum von Cannabis konkret auf den Körper und die Psyche aus? Können Sie die unterschiedlichen Effekte beschreiben?

Cabanis: Die Wirkung von Cannabis ist sehr vielfältig und hängt stark von der Zusammensetzung der Substanz ab. Es kann euphorisierend wirken, die Stimmung heben und Ängste mindern, gleichzeitig aber auch müde machen und entspannen. Ein häufiger Effekt ist die Veränderung der Wahrnehmung, wobei bestimmte Sinne intensiver oder weniger intensiv erlebt werden. Allerdings kann Cannabis auch unangenehme Wirkungen haben, wie Angstzustände oder paranoide Gedanken, und in Extremfällen sogar Psychosen auslösen.

Redaktion: Welche Anzeichen können darauf hindeuten, dass jemand regelmäßig Cannabis konsumiert?

Cabanis: Es gibt einige körperliche und psychische Hinweise, die auf Cannabiskonsum hindeuten können, aber diese sind nicht eindeutig. Dazu gehören gerötete Augen, erweiterte Pupillen, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit oder Verlangsamung. Gleichzeitig kann Cannabis auch zu Enthemmung und Euphorie führen. Besonders auffällig wird es, wenn mehrere dieser Symptome zusammen auftreten, wie zum Beispiel Motivationsverlust und emotionale Leere. In solchen Fällen ist es wichtig, die betroffene Person behutsam anzusprechen, ohne sie zu konfrontieren.

Redaktion: Wenn der Konsum bei Jugendlichen bereits verbreitet ist, macht es dann überhaupt noch Sinn, Präventionsarbeit zu leisten?

Cabanis: Absolut. Prävention bedeutet nicht nur, Konsum zu verhindern, sondern auch, Schäden zu minimieren. Es geht darum, Gesundheitszustände zu verbessern und den Jugendlichen Werkzeuge an die Hand zu geben, wie sie mit Risiken umgehen können. Prävention sollte auch an verschiedenen Stellen im System verankert sein – von Schulen über Elternhäuser bis hin zu digitalen Angeboten. Wichtig ist, dass wir den Kindern und Jugendlichen zeigen, wie sie Substanzen ablehnen können, aber auch, worauf sie achten müssen, wenn sie bereits konsumieren.

Redaktion: Welche Maßnahmen halten Sie für besonders wirksam in der Prävention?

Cabanis: Prävention muss attraktiv gestaltet sein, damit sie bei den Jugendlichen ankommt. Es ist wichtig, dass Präventionsprogramme langfristig angelegt sind und über mehrere Schuljahre hinweg stattfinden. Dabei sollten sowohl persönliche face-to-face-Angebote als auch digitale Formate genutzt werden. Besonders erfolgreich sind Programme, die interaktiv sind und den Jugendlichen Spaß machen, denn ohne Interesse an der Prävention verliert sie an Wirkung. Eine ganzheitliche Präventionsstrategie sollte auch andere Substanzen wie Alkohol und Tabak berücksichtigen und neue psychoaktive Substanzen im Blick behalten.

Redaktion: Warum empfehlen Sie auch eher unbekannte Substanzen in die Präventionsarbeit mit aufzunehmen? Weckt man damit nicht eventuell schlafende Hunde?

Cabanis: Wir haben die Situation, dass sich unser Drogenmarkt gerade stark verändert aufgrund dessen, dass die Heroinproduktion in Afghanistan eingebrochen ist und wir uns der Gefahr ausgesetzt sehen, dass synthetische Opioide, die deutlich gefährlicher sind, auf den Markt kommen. In Kanada sieht man aktuell schon, dass Kinder und Jugendliche mit die gefährdetste Gruppe sind: Es sterben in Kanada bis zu acht Personen täglich. Darunter sind 12- bis 14-Jährige. Bevor wir wie Kanada in die Situation kommen, entsprechende Präventionsangebote erschaffen zu müssen, wenn es eigentlich zu spät ist, sollten wir die synthetischen Opioide und andere Substanzen besser jetzt schon in Präventionsprogramme aufnehmen.

Redaktion: Herr Doktor Cabanis, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Dr. Maurice Cabanis ist Ärztlicher Direktor an der Klinik für Suchtmedizin und Abhängiges Verhalten des Klinikums Stuttgart.