Wie sieht der Unterricht der Zukunft aus?

Wie bereitet Schule heute auf die Welt von morgen vor? Was muss sich dafür im Unterricht ändern? Diese und weitere Fragen besprach das Podium 3 auf der Bildungskonferenz in Heilbronn. Eine Zusammenfassung.

Bulimie-Lernen war gestern – wenn es nach dem OECD-Lernkompass geht, müssen Bildungseinrichtungen künftig wesentlich andere Schwerpunkte setzen, wenn sie Schüler:innen angemessen auf die Zukunft vorbereiten wollen. Auf der aim-Bildungskonferenz in Heilbronn wurde beim Podium 3 diskutiert, wie Unterricht diesen Anforderungen gerecht werden kann.

Wie so oft hilft auch beim Thema Bildung der Blick über den Tellerrand. Den konnte beim Podium 3 Prof. Dr. Anna Sliwka von der Universität Heidelberg liefern, die in der Diskussionsrunde von ihrer internationalen Forschung berichtete. Die Pädagogik-Expertin hatte etwa in Kanada, Skandinavien, Neuseeland und Australien Schulen besucht, die nach der Jahrtausendwende gegründet wurden und deren Bildungskonzepte studiert. Dabei beobachtete sie gemeinsame Muster der modernen Schulen, etwa dass Lehrkräfte überall in Teams zusammen arbeiteten, dass sie kooperativ Unterricht entwickelten.

Internationale Perspektive auf moderne Bildung

Aufgrund dieser Erfahrungen entwickelte Sliwka das Konzept des Deeper Learnings, bei dem Kinder sich zunächst essentielles Fachwissen aneignen. Lehrkräftezentrierter Unterricht stehe dabei nicht im Vordergrund, die Lehrkraft werde immer mehr zum begleitenden Coach, gelehrt und gelernt werde auch oftmals über digitale Plattformen, die den derzeitigen Wissensstand des/der Schüler:in berücksichtigten. Ausgehend von diesem Wissensfundament lernten Schüler:innen dann in Teams weiter und kreierten schließlich zum Abschluss ein „authentisches Produkt oder eine authentische Performance.” Die Idee hinter dem Konzept sei die Verknüpfung von 21st-Century-Skills, wie sie im OECD-Lernkompass beschrieben werden, mit fachlichem Wissen. „Die Forschung sagt dazu ganz klar: Keine Kreativität, keine Problemlösung ohne fachliches Wissen.” 

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„Die Beherrschung der Verkehrssprache ist das Fundament jeden Lernens und der Demokratie.“

Prof. Dr. Thomas Riecke-Baulecke

Prof. Dr. Thomas Riecke-Baulecke, Präsident des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung in Baden-Württemberg und Mitherausgeber des Online-Magazins schulmanagement, unterstrich nochmals, dass die Kollaboration mit der Lehrkraft den größten Effekt auf das Lernen der Schüler:innen habe – vor allem wenn sie sich dabei auf eine zentrale Frage fokussiert: „Was lernen die Kinder im Unterricht tatsächlich und wie können wir sie möglichst gut dabei fördern?” Von Anfang an gelte es, fachliches Wissen mit kreativen Lehrmethoden zu verzahnen und so das Wissen zu verfestigen. Noch wichtiger sei allerdings, „dass wir miteinander sprechen können". Die Beherrschung der Verkehrssprache sei „das Fundament jeden Lernens und der Demokratie.” Im Angesicht der neuen Skills, die etwa im Lernkompass beworben würden, müsse man im Blick haben, dass essentielle Kompetenzen wie die Sprache nicht „an den Rand gedrängt werden”.

Sliwka stimmte dem zu und betonte, dass beides möglich und notwendig sei: „Wir dürfen Schule nicht mehr im Entweder-Oder denken.” Basiskompetenzen auf die notwendigen Standards zu bringen sei ebenso wichtig wie gleichzeitig den Raum für Deeper Learning zu ermöglichen. Genauso könnten Lehrkräfte heute sowohl 20 Minuten instruktiven Input geben und dann in die Rolle des Lernbegleiters wechseln. 

Kollaboration vorleben

Anna Fröhlich, Schulleiterin einer dreizügigen Grundschule in Solingen (NRW) sowie Referentin, Multiplikatorin, Schulbuchautorin und Beraterin, beschrieb die Situation an ihrer Grundschule, wo viele Elemente der von Professorin Sliwka beschriebenen modernen Bildungskonzepte schon umgesetzt würden. Fröhlich unterstrich, dass Kinder nur teambewusst und kollaborativ lernen könnten, „wenn wir das vorleben”. Damit meine sie nicht nur Lehrkräfte, sondern auch Schulleitungen, die alle etwa in Mikro-Fortbildungen voneinander lernen könnten. Im Unterricht sei die Auswahl der richtigen Themen wie etwa nachhaltige Entwicklung wichtig und sinnvoll, an die möglichst viele Kompetenzen andocken könnten.

Dr. Franziska Lang von der Schulkommunikation der experimenta in Heilbronn, unterstrich den Wert außerschulischer Lernorte wie der experimenta und beschrieb, wie dort Pädagoginnen und Pädagogen individuell didaktisch und methodisch beraten würden. „Wir knüpfen dabei sehr stark an den Bildungsplan an.” Man könne Lernorte wie der experimenta hervorragend in der ersten Phase des Deeper Learning für den Erwerb von Fachwissen nutzen. Genauso erfolgreich könne man aber auch die in der Diskussion erwähnte Projektarbeit an den vielen Mitmachstationen der experimenta umsetzen.

Externe Lernorte richtig integrieren

Obwohl viele Lehrkräfte außerschulische Lernorte wie die experimenta als wertvoll wahrnehmen, würden sie eher uninspiriert als Add-on in den Unterricht integriert, merkte Professorin Sliwka an: Tatsächlich müsse schon in der gemeinsamen Planung von Unterrichtssequenzen eine bessere Verzahnung mit solchen außerschulischen Lernorten angestrebt werden. Die Realität sei stattdessen noch oft, dass man Orte wie die experimenta nur separat als „einen Klassenausflug nach den Zeugnissen” einbinde.

Anna Fröhlich brach zudem eine Lanze für das Eingehen auf die Kinder: „Im allerbesten Falle sind es die Schülerinnen und Schüler, die uns darauf aufmerksam machen, dass sie ein bestimmtes Phänomen oder Thema interessiert. Wir können die Kompetenzvermittlung dann daran anknüpfen." Lehrkräfte sollten den Mut entwickeln, „ein Stück weit auf die Kinder zu hören” und sich die Zeit nehmen, Themen zu ergründen, Ausflüge zu machen. „Es bringt nichts, alle zwei Wochen ein Thema anzuschneiden und dann weiterzugehen.”

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Verbindlichkeit in der frühkindlichen Bildung

Auch das Thema frühkindliche Bildung rückte nochmals in den Fokus der Diskussion, Professorin Sliwka forderte hier „eine ganz andere Verbindlichkeit” etwa durch Bildungspläne für den frühkindlichen Bereich, die einzuhalten seien. Das bedeute keine Verschulung der Kita, sondern eine spielerische, aber dennoch verbindliche Vermittlung der Vorläuferfähigkeiten. Sliwka: „Da läuft bei uns einiges schief, weil Grundschullehrkräfte in der ersten Klasse derzeit diese Heterogenität gar nicht mehr auffangen können, vor allem wenn sie allein arbeiten.” Rieke-Baulecke entgegnete, dass es in diesem Bereich in Deutschland einen tiefen Dissens darüber gebe, was in Kitas bildungstechnisch getan werden dürfe und was nicht – man müsse das Thema aber angehen. 

Überholte Notengebung

Auch die Angst vor Noten und Prüfungen, das als hinderlich empfundene „Teaching to the Test” und damit verbundenes Bulimie-Lernen wurde in der Diskussion aufgegriffen – ein Phänomen, was vielerorts ein Zuwenden zu neueren Lernmethoden hemme, wie auch in der anschließenden Fragerunde mit dem Publikum des Podiums deutlich wurde. Professorin Sliwka brachte hier nochmals die größere internationale Perspektive ein: „Es gibt international einen großen Paradigmenwechsel, der besagt: Wir vergleichen Kinder mit völlig unterschiedlichen Startvoraussetzungen nicht mehr miteinander.” Stattdessen setzten moderne Bildungssysteme wie das kanadische auf eine „kriteriale Bezugsnorm”: Es werde definiert, was die Basiskompetenzen seien und wie die Lernprogression aussehen sollte. Was muss ein Kind im Bereich Lesen können, was im Rechnen? Dann werde nur noch geschaut, ob das Kind gewisse Fähigkeiten erreicht habe oder noch nicht. Falls nicht, würde entsprechend gefördert. „Da gebe ich nicht dem Kind von einem Zahnarzt und einer Anwältin, dem jeden Abend zwei Stunden vorgelesen wurde, eine Eins in Deutsch und dem anderen, das aus Syrien über das Meer geflüchtet ist und wegen eines Kriegs drei Jahre gar nicht beschult wurde, eine Fünf. Das macht man in diesen Ländern einfach nicht mehr.” Auch in Deutschland gebe es hierzu positive Entwicklungen – etwa das Institut für zeitgemäße Prüfungskultur, eine von Lehrkräften gegründete Initiative.

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