Wie soziale Medien als Lerngegenstand den Deutschunterricht bereichern können

Mit sozialen Medien wie TikTok und Instagram kann man sich Literatur angepasst an die Lebenswelt von Jugendlichen nähern.

Der Einsatz von sozialen Medien im Deutschunterricht lohnt sich doppelt, meint der Forscher und ausgebildete Lehrer Cedric Lawida. Denn durch diese Art der Auseinandersetzung mit Literatur lasse sich sowohl das Textverständnis der Schülerinnen und Schüler fördern als auch deren Medienkompetenz.

Redaktion: Sie haben Instagram im Deutschunterricht eingesetzt. Wie sah das praktisch aus?

Cedric Lawida: Die Schülerinnen und Schüler haben sich im Rahmen von Textprodukten, die sie auf Instagram erstellen, mit einem literarischen Werk auseinandergesetzt. Da sollten sie, um die Perspektivübernahme zu üben, die Gedankengänge und Erfahrungen einer literarischen Figur in Stories (Anm. der Redaktion: Eine Story ist eine Aneinanderreihung von Videos, Bildern und Texttafeln, die eine Geschichte erzählen) reflektieren. So eine Story zu erstellen, regt dazu an, das literarische Werk zu reflektieren, seine eigene Identität ins Spiel zu bringen und zu überlegen: „Das, was die Figur mitgemacht hat, kenne ich das vielleicht auch?". Klassischerweise nutzt man ja dazu ganz gerne den Tagebucheintrag, weil der auch diese Perspektivübernahme gut ermöglicht.

Redaktion: Wie sah die Aufgabenstellung ganz genau aus?

Lawida: Die Aufgabenstellung, sowohl in der 8. Klassen als auch in der Oberstufe, war ganz konkret: „Gestalte eine Story, in der die Hauptfigur seine bzw. ihre Erlebnisse reflektiert. Nutze dazu soziale Medien.“

Redaktion: Sie sagen, dass der Vergleich von Tagebucheintrag und Instagram-Story die digitale Textkompetenz fördern kann. Wie meinen Sie das?

Lawida: Mit dem Begriff „digitale Textkompetenz“ oder „digitale Textsouveränität“ sind in der Forschung Fähigkeiten gemeint, die zum souveränen Umgang mit den Besonderheiten und Mechanismen digitaler Texte befähigen. In dem Zusammenhang finde ich es wichtig, sich ganz explizit soziale Medien anzuschauen und mit ihnen zu arbeiten - denn die Lernenden sind in ihrer Lebenswelt dort täglich mit einer Vielzahl digitaler Texte, wie zum Beispiel Storys, konfrontiert. Und die funktionieren eben anders als etwa ein Tagebucheintrag. In einer Story auf Instagram können ganz viele verschiedene mediale Formen wie Ton, Bild, Text, Videos, GIFs oder Emojis zum Einsatz kommen, die auf bestimmte Weise aufeinander Bezug nehmen und dadurch eine eigene Bedeutung erhalten können, zum Beispiel durch die Verwendung oder die Kombination bestimmter Emojis. Vor allem Instagram lebt aber auch von der Konnektivität der geteilten Beiträge oder Stories, etwa in Form von Hashtags oder Verlinkungen. Soziale Medien animieren außerdem zur Interaktion, z. B. durch Likes, das Teilen oder die Kommentierung von Beiträgen. Deshalb habe ich digitale Medien mit ihren Eigenschaften explizit zum Lerngegenstand im Vergleich zu schriftlichen, gedruckten Texten gemacht. Auf diese Weise kann man sich der Mechanismen digitaler Texte bewusst werden. Wie funktioniert das? Wie werden verschiedene mediale Elemente wie Ton, Bild und Schrift kombiniert? Wo kann ich mit dem Medium und mit anderen Personen interagieren? Wozu gibt es Hashtags, wozu gibt es Links und so weiter. Einfach ein Bewusstsein dafür zu schaffen: in sozialen Medien funktionieren Texte so, und in einem Buch funktioniert es anders. Das finde ich eine wichtige Grundlage für eine Vielzahl anderer Themen, die man im Deutschunterricht vertiefen kann. Wie zum Beispiel die Reichweite digitaler und sozialer Medien, Fake News, Mobbing, das sowohl im Privaten als auch in der Schule stattfinden kann, und vieles andere.

Redaktion: Es gibt ja auch Schülerinnen und Schüler, die kein Smartphone oder keinen Instagram-Account haben…

Lawida: Ja, es hatten nicht alle Schülerinnen und Schüler Erfahrung mit sozialen Medien, die haben dann auch in kleinen Gruppen mit anderen zusammengearbeitet. Und ich habe ganz klar gemacht, dass sie das natürlich nicht auf ihren privaten Accounts veröffentlichen sollten, das ist ja nicht ihr Alltag.

Und wenn es in der Schule iPads gibt, dann lässt sich zum Beispiel die App Clips nutzen. Damit kann man Videos drehen, aber auch Storys gestalten. Und dann war das Vorgehen so, dass sie die Story gespeichert und mir geschickt haben. Und dann haben wir uns das über den Beamer angeguckt und reflektiert. Zunächst inhaltlich, aber dann auch im Vergleich zum Tagebucheintrag. Und da war das Spannende, dass das den Anstoß für viele Diskussionen gab, auch als soziale Medien in einer späteren Unterrichtseinheit nochmal thematisiert wurden und dann auf diese Aufgabe noch ganz oft Bezug genommen wurde.

Redaktion: Finden Sie, es ist Aufgabe von Schule, soziale Medien im Unterricht zu thematisieren?

Lawida: Ja, ich sehe eine große gesellschaftliche und lebensweltliche Relevanz für die Schülerinnen und Schüler, soziale Medien zu thematisieren. Wie bereits angesprochen, gibt es viele Aspekte, die man da reflektieren kann. Und ich finde, grundsätzlich kann man das erst, wenn man ein Verständnis hat von Merkmalen von digitalen Texten. Aber es gibt ja noch viel mehr Aspekte, die man in diesem Zusammenhang thematisieren sollte, wie zum Beispiel die Algorithmen, die dahinter stecken, auch sich bewusst zu machen, dass ich immer in einer Bubble stecke und welche Beeinflussungs-Strategien da genutzt werden. Wie erkenne ich, ob ein Influencer gerade Werbung macht oder wirklich aus seinem Alltag berichtet und so weiter.

„Literatur findet sowieso in sozialen Medien statt.“

Cedric Lawida

Und dann gibt es noch einen weiteren Grund, das Internet und soziale Medien auch explizit in den Literaturunterricht einzubinden: Literatur findet dort ohnehin statt.

Redaktion: Wie meinen Sie das, dass Literatur dort ohnehin stattfindet?

Lawida: Sie kennen vielleicht auch dieses Phänomen auf TikTok oder auch auf Instagram, dass man sich da Bücherlisten rumschickt und dann über Literatur diskutiert (Anm. der Redaktion: Häufig zu finden unter dem Hashtag #booktok).

Aber Literatur wird auch auf Instagram produziert. Es gibt einige Instagram-Nutzerinnen und -Nutzer, die ihre Lyrik auf Instagram veröffentlichen (z. B. rupikaur_).

Aber das geht auch noch viel weiter, dass Jugendliche auf Blogs oder halt eben auch in den sozialen Medien Fanfiction, zum Beispiel zu Harry Potter, schreiben. Also sich nicht darüber austauschen, sondern selber Literatur produzieren.

Redaktion: Brauchen Jugendliche denn diese vertiefte Auseinandersetzung mit digitalen Medien im Unterricht? Die meisten sind doch eh sehr viel in den sozialen Medien unterwegs.

Lawida: Ja, genau deshalb haben digitale und soziale Medien auch hohe Relevanz für den Unterricht, sodass die oben beschriebenen Funktionsweisen, Potenziale aber auch die damit zusammenhängenden Gefahren reflektiert werden können. Das steht auch im Einklang mit der Digitalstrategie der Kultusminister-Konferenz.

Der Eindruck entsteht häufig, dass Jugendliche in digitalen Medien total fit sind. Aber ungefähr ein Drittel der Schülerinnen und Schüler verfügt nur über unzureichende digitale Kompetenzen. Das hängt stark mit dem sozioökonomischen Hintergrund des Elternhauses zusammen.

Redaktion: Herr Lawida, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Cedric Lawida ist ausgebildeter Lehrer für die Fächer Deutsch und Niederländisch und seit 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität zu Köln. Er arbeitet am Mercator-Institut, wo er zu Themen im Schnittfeld von sprachlicher Bildung und Digitalität forscht und promoviert.