„Wir möchten Lehrerbildende dazu befähigen, souveräner mit empirischer Bildungsforschung umzugehen“
Für die Clearing House Unterricht-Academy beginnt evidenzbasierter Unterricht mit der evidenzbasierten Ausbildung von Lehrerbildenden.
Mit den aktuell lauter werdenden Forderungen nach mehr Fortbildungen für Lehrkräfte, rücken verstärkt auch Lehrerbildende in den Fokus. Das Angebot der Clearing House Unterricht-Academy setzt dabei auf die Vermittlung von wissenschaftlicher Evidenz.
Redaktion: Wie würden Sie den Ansatz der Clearing House Unterricht-Akademie beschreiben?
Prof. Dr. Tina Seidel: Ein Ziel der Clearing House Unterricht-Academy ist es, Lehrerbildende darin zu befähigen, souveräner mit empirischer Bildungsforschung umzugehen. Wir verstehen uns als Transferstelle zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis. Hierbei adressieren wir Lehrerbildende vor allem in ihrer Rolle als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren beziehungsweise als sogenannte Broker. Damit meinen wir Personen, die beide Sprachen sprechen, die Sprache der Forschung und die Sprache der Praxis, und die Erkenntnisse von beiden Seiten wertfrei weitertragen. Die Lerninhalte der Clearing House Unterricht-Academy unterstützen die Broker in dieser Art der Kommunikation und ermöglichen somit eine gezielte Professionalisierung in diesem Bereich. Entscheidungen treffen müssen die Lehrerbildenden/Broker allerdings nach wie vor selbst. Das gesamte Projekt Clearing House Unterricht, wovon die Academy ein Teilbereich ist, setzt auf eine wertfreie Darlegung von Evidenz. Wir haben uns „nur“ zum Ziel gesetzt, dass Broker ihre Entscheidungen reflektierter und souveräner treffen können.
Redaktion: Wie wollen Sie diese Entscheidungsgrundlage und damit das Evidenzverständnis von Lehrerbildenden fördern?
Dr. Claudia Müller-Kreiner: Wir setzen hierbei auf einen digitalen Selbstlernkurs, damit zeit- und vor allem kontextunabhängig gelernt werden kann. Zudem sind alle Materialien der Clearing House Unterricht-Academy unter einer OER-Lizenz (Open Educational Resources) zugänglich, sodass die angebotenen Materialien auch für die eigene Lehre genutzt werden können. Abgeschlossen werden kann das digitale Selbstlernangebot der Academy mit einem Zertifikat.
„Wir möchten den Lehrerbildenden ein Handwerkszeug bereitstellen, empirische Bildungsforschung zu verstehen und eigene Schlüsse zu ziehen.“
Dr. Claudia Müller-Kreiner
Redaktion: Welche Inhalte werden in der Clearing House Unterricht-Academy gezielt vertieft und warum sind genau diese für Lehrerbildende relevant?
Müller-Kreiner: Der Fokus des ersten Kursangebots der Academy, dem sogenannten Basiskurs, liegt auf dem Verständnis von grundlegenden Begrifflichkeiten der empirischen Bildungsforschung. Wir möchten den Lehrerbildenden ein Handwerkszeug bereitstellen, um souveräner mit empirischer Bildungsforschung umzugehen, diese zu verstehen und eigene Schlüsse zu ziehen. Damit unterstützen wir Lehrerbildende aller Phasen, ihre Lehre evidenzbasiert zu gestalten und Lehramtsstudierende mit empirischer Bildungsforschung vertraut zu machen. Im Zentrum der Module stehen dabei sowohl die experimentelle Unterrichtsforschung als auch Metaanalysen, die als Evidenzgrundlage unserer eigenen Kurzreviews dienen.
Umrahmt werden die Kursinhalte von der Rollenthematik als Multiplikatorin/Multiplikator/Broker und vor allem den Möglichkeiten zur Selbstreflexion dieser Rolle. Unsere Zielgruppe sind dabei Lehrerbildende aller (Fach-)Didaktiken, denn das Basisverständnis empirischer Bildungsforschung kann jeden unterstützen, evidenzbasiert zu lehren. Vor allem aber können und sollen die zur Verfügung gestellten Materialien subsidiär von Brokern an die eigenen Studierenden weitergegeben werden.
„Evidenzbasierte Lehrerbildung professionalisiert den Lehrberuf“
Dr. Annika Diery
Redaktion: Welche Chancen eröffnet eine an wissenschaftliche Evidenz ausgerichtete Lehrerbildung, um die Unterrichtsqualität zu verbessern und wo liegen ihre Grenzen?
Dr. Annika Diery: Eine an wissenschaftliche Evidenz ausgerichtete Lehrerbildung bedeutet für uns, dass hier Unterrichtsansätze und -praktiken vermittelt werden, die auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Als „solide Basis“ greift das Clearing House Unterricht auf metaanalytische Erkenntnisse der Bildungsforschung zurück. Im Rahmen einer evidenzbasierten Aus- und Weiterbildung erhalten (angehende) Lehrkräfte Informationen und Anregungen für die Auswahl, Umsetzung und Reflexion effektiven Unterrichts. Sie erfahren so Evidenz als eine zusätzliche Ressource und Bereicherung ihres Handlungsfelds. Eine weitere Chance evidenzbasierter Lehrerbildung sehen wir darin, dass sich der Lehrberuf weiter professionalisiert.
Aber der Beitrag einer evidenzbasierten Lehrerbildung ist auch begrenzt. Diese Grenzen hängen vor allem davon ab wie eng (bzw. locker) die Idee der Evidenzbasierung ausgelegt wird. Dem Clearing House Unterricht liegt ein pragmatisches Evidenzverständnis zu Grunde: Wir reihen wissenschaftliche Erkenntnisse als eine Ressource neben andere Formen von Evidenz ein – z.B. subjektive Erfahrungen, Überzeugungen, Rat von Kolleginnen und Kollegen, Lehrbüchern, und Vieles mehr. Ein wichtiges Merkmal dieser integrativen Perspektive ist, dass wissenschaftliche Evidenz (im Sinne meta-analytischer Erkenntnisse) nicht als der „magic key“ betrachtet wird. Komplexe Probleme brauchen komplexe Lösungen. Mit der Ausrichtung und dem Service des Clearing House Unterrichts bieten wir einen Schlüssel für ein Schloss in einem Gebäude mit vielen Türen.
Redaktion: Was sind Erfolgskriterien für einen gelingenden Forschungs-Praxis-Transfer?
Seidel: In Diskussionen um den Forschungs-Praxis-Transfer ist es entscheidend, den Transfer nicht nur unidirektional zu verstehen. Die Brücke, von der in diesem Zusammenhang oft gesprochen wird, hat zwei Seiten, die gleichwertig betrachtet werden müssen. Von beiden Seiten ist Respekt und ein Aufeinander-Zugehen gefordert. Gleichzeitig sollten beide Seiten den Transfer als nützlich und wichtig wahrnehmen, damit er gelingt. An dieser Stelle braucht es vor allem Broker, die motiviert sind, einen Austausch zwischen Forschung und Praxis aktiv mitzugestalten. Ein entscheidendes Erfolgskriterium hierfür ist es, Strukturen und Services anzubieten und vor allem auch Lehrerbildende in ihrer Rolle als Broker zu bestärken, wie es die Clearing House Unterricht-Academy nun anbietet.
Redaktion: Frau Professorin Seidel, Frau Doktorin Diery, Frau Doktorin Müller-Kreiner, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Zur Person
Prof. Dr. Tina Seidel ist im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung an der TU München verantwortlich für die Projektleitung des Clearing House Unterricht. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Unterrichtsforschung auf videobasierten Analysen von Lehrer-Schüler-Interaktionen und in der Lehrpersonenforschung auf medienbasierten Tools zur Verbesserung der Lehrkräftebildung.
Zur Person
Dr. Annika Diery ist promovierte Bildungsforscherin und Projektkoordinatorin des Clearing House Unterricht. Aktuell ist sie mit der Weiterentwicklung der Clearing House Unterricht-Academy und dem Ausbau des digitalen Kursangebots befasst. Inhaltliche interessiert sie sich unter anderem für Evidenzbasierung, Digitalisierung in der Bildung und Hochschullehre.
Zur Person
Dr. Claudia Müller-Kreiner ist promovierte Bildungsforscherin und Projektmitarbeiterin im Clearing House Unterricht mit Fokus auf die Academy. Sie ist seit Jahren in unterschiedlichen Projekten rund um das Themenfeld Erwachsenenbildung und Studium an Hochschulen und in Unternehmen tätig. Zudem arbeitet sie freiberuflich als (digitale) Trainerin und Beraterin mit den Schwerpunkten der Didaktischen Methoden, Digitalisierung in der Bildung, Evaluation, Problembasiertes Lernen & Game Based Learning.