Wissen prüfen statt Wissen abfragen – Warum die Hochschulbildung KI neu denken muss

Prof. Till Krause erklärt im Interview, warum Universitäten ihre Prüfungsformate überdenken sollten und wie KI dabei unterstützen kann.

Universitäten stehen vor einer entscheidenden Frage: Wie können Prüfungen in Zeiten generativer KI fair und sinnvoll bleiben? Prof. Till Krause plädiert für eine Neuausrichtung, die kritisches Denken und Wissenstransfer in den Fokus rückt. Er erklärt, warum traditionelle Prüfungsformate nicht mehr ausreichen – und wie KI in der Hochschulbildung dazu beitragen kann, Lehre und Prüfungen zu verbessern.

Redaktion: Herr Professor Krause, eine aktuelle Studie (s.u.) zeigt, dass 94 Prozent der mit generativer KI verfassten Prüfungsantworten in einem Psychologie-Studiengang nicht als solche erkannt wurden. Wie bewerten Sie als Professor für Medien und Kommunikation die Auswirkungen dieser Ergebnisse auf die Glaubwürdigkeit von Universitäten?

Prof. Dr. Till Krause: Ohne hier jetzt zu pauschalisieren: Manchmal habe ich das Gefühl, dass unsere Art, heute Prüfungen zu schreiben, teils immer noch auf der Annahme basiert, dass Wissen beziehungsweise Informationen ein rares Gut sind und dass man diesen Mangel verwalten muss. Und dies, obwohl wir heute die gegenteilige Situation haben – nämlich einen Überfluss an Wissen und an Fakten und Informationen – eine Situation, in der es eher darum geht, das vorhandene Wissen gut einzuordnen, zu kuratieren und es in einer sinnvollen Art und Weise zu verwalten.

Folglich ist die Frage, die wir uns stellen müssen: Wie prüfen wir Wissenserwerb ab? Diese Frage hätten wir uns eigentlich schon viel früher stellen müssen – und wir werden jetzt durch das Erstarken der Rolle der generativen KI mit Nachdruck damit konfrontiert.

„… unsere Art, heute Prüfungen zu schreiben, [basiert] teils immer noch auf der Annahme […], dass das Wissen beziehungsweise die Information ein rares Gut ist und dass man diesen Mangel verwalten muss.“

Prof. Dr. Till Krause

Redaktion: Woran liegt es, dass KI-Erkennungstools bei Prüfungen oft versagen? Werden sie nicht ausreichend genutzt, oder sind sie einfach noch nicht ausgereift genug?

Krause: Ich sehe diese Situation als eine Chance: Ist es nicht auch Aufgabe von Universitäten, diese neuen technischen Möglichkeiten zu nutzen, um den Wissenserwerb und die Wissensreproduktion neu zu denken? Klar ist Software nützlich, die KI-generierte Texte erkennen kann. Aber wir begeben uns in eine Sackgasse, wenn wir eine rein technische Lösung für eine gesellschaftliche Herausforderung suchen: Dadurch beginnen wir ein digitales Wettrüsten, das wir im Zweifelsfall nur verlieren können. Wenn es nur darum geht, die besseren und schnelleren Detektionsalgorithmen zu erschaffen, dann sind wir auf dem falschen Weg.

Und wir dürfen nicht vergessen: Wenn eine Studentin oder ein Student in einer Prüfung betrügen wollte, dann war das ja auch bereits in der Zeit vor dem Aufkommen der generativen KI möglich. Natürlich ist sie eine enorme Beschleunigung und macht vieles einfacher. Auch den Betrug. Aber ich finde: Wir sollten diese Art von Missbrauch nicht zu sehr überbewerten und in den Mittelpunkt stellen, sondern uns eher die Frage stellen: Wie können wir diese Technologie gewinnbringend nutzen?

„Wir dürfen nicht vergessen: Wenn eine Studentin oder ein Student in einer Prüfung betrügen wollte, dann war das ja auch bereits in der Zeit vor dem Aufkommen der generativen KI möglich.“

Prof. Dr. Till Krause

Redaktion: Riskieren wir, dass Studierende durch den Einsatz von KI wissenschaftliche Schreibfähigkeiten nicht mehr erlernen?

Krause: Es ist überhaupt nicht abzustreiten, dass es in Zusammenhang mit der Bereitstellung und Nutzung der generativen KI auch Gefahren und Probleme gibt, wenn die Fähigkeit zum kritischen Denken leidet oder die Kompetenz zur Beurteilung von wahr und falsch. Oder wenn man die Masse an Inhalten einfach nicht mehr überblicken kann, die dazu ja auch potentiell merkwürdige Weltbilder propagiert, beispielsweise in Bezug auf unklare Trainings-Algorithmen oder beim „Algorithmic bias“, also der Amplifikation bestimmter Annahmen, Macht- oder Geschlechterverhältnisse. Wenn aber gesagt wird, dass die Menschen aufgrund der KI nun „das Schreiben verlernen“ würden, dann kann ich dem nur teilweise zustimmen. Denn das Lamento, das eine neue Technologie die Menschen verdummen lässt, ist ja quasi schon Folklore geworden. Egal ob Buchdruck, Radio, oder sogar die Schrift: Vieles galt erstmal als Gefahr.

Natürlich ist die KI ein neuer Meilenstein. Wir müssen Wege finden, das Schreiben weiterhin zu trainieren. Stand heute ist es so, dass die Texte, die von der generativen KI erzeugt werden, häufig nur eine eingeschränkte Tiefe erreichen. Dennoch ist es nach wie vor so, dass man, um als Mensch diese Texte bewerten zu können – ein entsprechendes Wissen und eine entsprechende Text-Kompetenz benötigt.

Mit der KI werden Fähigkeiten wichtiger, die bisher dem Journalismus oder der Redaktion zugeordnet wurden: Um Texte bewerten und verbessern zu können, braucht es Erfahrung im Schreiben. Wer sich ausschließlich auf Maschinen verlässt, ist im Ernstfall oft verloren – ähnlich wie ein Pilot, der bei einer Notlage den Autopiloten deaktivieren und das Flugzeug manuell steuern können muss.

„Wir werden uns mit Hilfe der KI möglicherweise mehr in die Richtung entwickeln, dass man Skills benötigt, die bisher traditionell dem Journalismus oder dem Berufsbild der Redakteurin oder des Redakteurs angehören.“

Prof. Dr. Till Krause

Redaktion: Sie plädieren für eine Stärkung der mündlichen Formate in den Prüfungen an den Universitäten: Können Sie diesen Ansatz genauer darstellen?

Krause: Auch in der Arbeitswelt funktioniert vieles durch das mündliche Übermitteln von Geschichten. Natürlich ist es eine wichtige Fähigkeit, eine schriftliche Hausarbeit produzieren zu können. Zugleich ist es aber auch wichtig, auf die klassischste aller Kommunikationsformen zurückgreifen zu können: das Gespräch!

Mündliche Ausdrucksfähigkeit ist ebenso wichtig wie schriftliche. Es ist daher empfehlenswert, mündliche Prüfungsformate an Schulen und Universitäten einzuführen und zu stärken. Ab einem höheren Ausbildungsniveau ist es ohnehin üblich, schriftliche Arbeiten auch mündlich zu verteidigen, um in Echtzeit auf Argumente einzugehen und das Thema in der Tiefe zu durchdringen. In unserer komplexen Kommunikationswelt müssen wir lernen, Meinungen direkt zu vertreten und spontan auf Gegenargumente zu reagieren. Eine Möglichkeit wäre, schriftliche Hausarbeiten stichprobenartig durch mündliche Verteidigungen zu überprüfen – auch remote, durch vorher angekündigte Anrufe. Mündliche Prüfungen zeigen meist schnell, ob ein Prüfling sein Thema wirklich verstanden hat.

„Mündliche Prüfungen zeigen meist schnell, ob ein Prüfling sein Thema wirklich verstanden hat.“

Prof. Dr. Till Krause

Redaktion: Welche Änderungen würden Sie allgemein für universitäre Prüfungen empfehlen?

Krause: Man sollte sich als prüfende Person die Frage stellen: Was will ich vermitteln? Wenn es mir nur darum geht Wissen abzuprüfen, dann kann man ja, wie bisher, Klausuren in einem Raum unter einer direkten Aufsicht handschriftlich schreiben lassen. Selbst Online-Klausuren, die remote durchgeführt werden, können heutzutage technisch sehr effektiv überwacht werden.

Oder ist es vielmehr mein Ziel, anstatt der reinen Vermittlung von abprüfbarem Wissen ein abstraktes, logisches Verständnis von Inhalten oder Zusammenhängen zu erzielen?

Um ein Beispiel aus dem Bereich der Medienethik zu nennen – man könnte hier natürlich in einer schriftlichen Klausur die Frage stellen, mit der man einfach nur Wissen abprüfen will: „Nennen Sie mir drei wesentliche Konzepte einer Verantwortungsethik!“ Man könnte aber stattdessen auch in Form einer mündlichen Prüfung die Anforderung stellen: „Hier ist ein medienethisches Problem: Lösen Sie mir das mit Hilfe eines von Ihnen gewählten Modells. Lassen Sie mich dabei bitte an Ihrem Denkprozess teilhaben!“

Die Lehrenden sollten sich bereits vor der Prüfung entsprechend fragen: Was will ich eigentlich vermitteln? Geht es mir darum, Fakten ins Hirn zu meißeln, wenn auch nur kurzfristig? Oder möchte ich, dass die Lernenden auch dazu in der Lage sind, dieses Wissen anzuwenden? Wir leben ja – wie gesagt – nicht mehr in Zeiten eines Mangels, sondern eher eines Überflusses an Information: Da geht es ja insbesondere auch darum, Fakten einordnen und bewerten zu können – und aufgrund dieser Überlegungen entscheiden zu können, was wichtig ist und was nicht.

„Geht es mir darum, Fakten ins Hirn zu meißeln, wenn auch nur kurzfristig? Oder möchte ich, dass die Lernenden auch dazu in der Lage sind, dieses Wissen anzuwenden?“

Prof. Dr. Till Krause

Redaktion: Nehmen Sie uns bitte mit auf eine Reise in die Zukunft: Wie könnte eine Universität im 22. Jahrhundert aussehen beziehungsweise funktionieren? Stehen da dann Roboter im Vorlesungssaal, die uns unterrichten?

Krause: Hochschulen sollten sich weiterhin als Spiel- und Experimentierfelder verstehen, um den Umgang mit KI zu gestalten. Statt die Herausforderungen durch KI zu beklagen, sollten Universitäten fragen: „Wie wollen wir mit KI arbeiten? Was ist möglich, und was wollen wir ermöglichen?“ An der Hochschule Landshut arbeiten engagierte Kolleginnen und Kollegen an Lösungen, etwa im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt KIEBITZ. Ein möglicher Ansatz ist es, bestimmte Aufgaben an die KI auszulagern, insbesondere banale Tätigkeiten, während wir uns auf kreative und problemlösende Fähigkeiten konzentrieren. Überraschung, Originalität und ungewöhnliche Ideen bleiben menschliche Eigenschaften, die KI nicht vollständig ersetzen kann.
Darüber hinaus ist ein breiter gesellschaftlicher Diskurs notwendig, um festzulegen, welche Tätigkeiten automatisiert werden sollen und welche in menschlicher Verantwortung bleiben müssen. KI kann uns dazu anregen, grundlegende Fragen über unsere Menschlichkeit zu stellen. Sie kann uns bewusst machen, welche einzigartigen Fähigkeiten wir besitzen – eine Auseinandersetzung, die angesichts globaler Probleme dringend erforderlich ist. Im Idealfall führt der konstruktive Umgang mit KI zu einem tieferen Verständnis dessen, was es bedeutet, Mensch zu sein.

Redaktion: Herr Professor Krause, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zur Person

Prof. Dr. Till Krause ist Professor für Medien und Kommunikation an der Hochschule Landshut und vielfach ausgezeichneter Autor. Er ist Experte für digitale Medien, Podcasts, Journalismus und Storytelling mit und ohne Künstliche Intelligenz. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit dem Einfluss digitaler Medien auf Gesellschaft und Individuen sowie mit dem Einsatz von generativer KI in der Medien- und Wissensproduktion. An der Hochschule Landshut lehrt er im Studiengang „Neue Medien und interkulturelle Kommunikation” und engagiert sich in der Verknüpfung aus Wissenschaft und Praxis.